Abrissgefährdeter Brutalismus

Wird er zwischen zwei ausgesprochen traditionellen Häuser im Stil der Neorenaisannce eingezwängt, wirkt der Brutalismus gleich noch einmal ein Stück brutaler. Was echten Fans des Architekturstils – und deren Zahl steigt in den letzten Jahren – wahrscheinlich einen zusätzlichen freudigen Adrenalinstoß versetzen kann.

Man kann nicht leugnen, dass die Fassade und die Dachaufbauten mit ihren zwei seltsam fabrikmäßigen Schornsteinen schon etwas Bezwingendes an sich haben. Es sieht alles so unwohnlich aus, wie es die brutalistische Vorstellung reiner Formen, rohen Betons und viel Stahl und Gals vorschreibt. Es war ja auch nie als Wohnhaus konzipiert, das Gebäude für Militärbauten (Budova Vojenské stavby) in der Boženy Němcové 1881/5 (Prag 2). Formell diente sollte das Gebäude ursprünglich militärischen Zwecken dienen. Gebaut wurde es nämlich im Auftrag des dem Verteidigungsministerium unterstellten Öffentliche Bauunternehmen Militärbau (Výkres Veřejně prospěšnych staveb, VVPS).

Die Pläne für das fünfstöckige gebäude stmmten von den Architekten Jan Hančl und Stanislav Dlabal, die beide für das Militärische Projektinstitut (Vojenský projektový ústav, VPÚ) arbeiteten, das für die Planung und Durchführung größerer städtebaulicher Projekte zuständig war. Woran man sieht, dass man das mit der militärischen Dimension nicht übertrieben bewerten sollte. Die kommunistische Wirtschaft – besonders in den Zeiten des Kalten Krieges – glich immer ein wenig einer Kriegsökonomie. Folglich mischten sich bei vom Verteidigungsministerium lancierten Baumaßnahmen oft zivile und militärische Projekte. Und so konnte man hier auch schon einmal ein Hotel bauen, wie etwa das berühmte Hotel International (wir berichteten bereits hier).

Die Errichtung des Gebäudes dauerte eine Weile. Zwischen 1973 und 1976 erstellten die beiden Architekten den Entwurf und zwischen 1978 und 1982 wurde es fertiggestellt. Es kam einem großen Teil des Bürokapazitätsbedarfs des VVPS entgegen, dessen Verwaltungsapparat rund 1600 Beschäftigte aufwies. Nachdem der Kommunismus 1989 sein verdientes Ende gefunden hatte, wollte man im Lande natürlich auch in der Bauwirtschaft mehr Marktwirtschaft wagen und das Kartell zwischen Verteidigungsminsiterium und zivilen Wirtschaftsaktivitäten zerschlagen. Die Firma sollte rein zivil privatisiert werden, was schon 2000 krachend scheiterte und mit dem Konkurs endete. Das Gebäude wechselte in den Besitz eines Investors, der es innen umbaute und dort Nutzraum und Wohnungen vermietet. Seit 2019 ist ein Verkäufer für Wellness-Bad-Bedarf der nach außen sichtbarste Nutzer. Mit dem Besitzerwechsel kam eine eher unschöne Zeit für Liebhaber brutalistischer Architektur. Vor die Dachaufbauten (dem optischen Highlight) wurde 2004 eine riesiger Werbebildschirm gesetzt, der das Gebäude definitiv verunstaltete.Darüber gab es sogar einen von Architekt Hančl (der sein Urheberrecht geltend machte) angestrengten Rechtsstreit mit dem Eigentümer. Unterstützt von einer Bürgerinitiative, die Demonstrationen organiserte, bekam er recht. Das Werbe-Board wurde 2019 entfernt.

Der Eigner schien darob die Lust am Gebäude zu verlieren und beantragte 2021 Abriss. Was die Bürgerinitiative, die von vielen Künstlern und Architekten unterstützt wurde, zu immer heftigerer Gegenwehr provozierte. Zur Unterstützung gab es im zur Nationalgalerie gehörenden Messepalast (Veletržní palác) eine große Ausstellung unter dem Titel Nicht Abreißen! (Nebourat!). Die erweckte viel Interesse für vom Abriss gefährdete brutalistische Architektur in Prag und versuchte, diese Ära der Designkunst aus der Schmuddelecke zu holen, in der sie bis dato meist gestellt wurde. In der Tat konnte man darauf verweisen, dass es bereits zum Abriss ungewöhnlich wertvoller Architektur gekommen sei (Beispiel hier). Das bedrohte Budova Vojenské stavby war dabei eines der Kernschaustücke zu schützender brutalistischer Architektur. Und man hatte ja auch – neben den seit 1992 bestehenden Denkmalschutz – Argumente, die für einen Erhalt sprachen. Zwar bildet die Architektur stilistisch einen durchaus beunruhigenden Kontrast zu den Nachbargebäuden, andererseits hatten die Architekten die Fassadenstruktur und Simse genau auf deren Maße abgestimmt. Zudem bildete es den Abschluss der Sichtachse zur nahen erne Nusle Brücke (die damals noch Gottwald-Brücke hieß), einem Bau von 1973 der brutalistischer und passender kaum gestaltet sein könnte. Es ging um ein Ensemble als Ganzes.Vom Gebäude konnte man die Brücke und ihre sich hier symmetrisch teilende Auffahrt über einen kleinen Park wundervoll beäugen.

Ja, und dann ist da noch die Kunst am Bau. In den 1970ern, als das Gebäude gebaut wurde, gab es eine gesetzliche Pflicht, bei der Planung öffentlicher Gebäude. Und hier hatte man das nicht als lästige Pflichterfüllung gesehen, sondern mit dem Bildhauer Jan Bartoš, einen bekannten Künstler gewonnen, dem man nicht nur in Prag vielerorts ein künstlerisch sehr vielseitiges Oeuvre verdankt – etwa die bekannte Skulptur der Kosmonauten (sousoší kosmonautů) bei der Metrostation Háje (wir berichteten bereits hier darüber) aus dem Jahr 1978 und das 2009 angefertigte Denkmal für die von den Kommunisten 1950 hingerichtete Widerständlerin Milada Horáková auf dem Heldenplatz (náměstí Hrdinů), über das wir hier berichtet haben. Sein Relief voller brutalstisch inspirierter Formgebung zeigt eine stilisierte Karte von Prag und seiner Stadt- und Verkehrsentwicklung, wobei sie zugleich auf die Metro verweist, die unter dem Haus und unter der Brücke verläuft. Das passte zum Zweck und Baustil des Hauses.

Der Rat von Prag 2 hat die vom Eigner für den Abriss eines denkmalgeschützten Gebäudes erforderliche Sondergenehmigung zwar hweftig diskutiert, aber noch nicht genehmigt. Und so steht das Budova Vojenské stavby immer noch an seiner Stelle – vielleicht etwas vernachlässigt, aber strukturell wohl noch in gutem Schuss. Der Ausgang ist offen, denn der Erhalt brutalistischer Architektur-Denkmäler ist immer noch umstritten. Vor allem, weil dieser Stil – obwohl damals auch im freien Westen weit verbreitet – hierzulande immer noch mit dem Erbe des Kommunismus verbunden wird. Trotzdem setzt immer mehr die Einsicht durch, dass es sich auch hier um eine Kunstepoche mit künstlerischem Verdienst handelt, die man nicht durch Abriss völlig ins Vergessen stürzen sollte. (DD)

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