Auf den Spuren Jaroslav Hašeks VII: Die Kneipe des Parteiflügels

Eine Kneipe gibt es immer noch in der Polská 1261/34, Ecke Třebízského, im schönen Stadtteil Vinohrady. Die heißt U Bohouše, hat eine ordentliche Speisekarte und wirkt sehr gepflegt. Das mag sie deutlich von der Kneipe unterscheiden, die sich hier früher einmal unter anderem Namen befand – und die durch keinen Geringeren als dem Erfinder des Soldaten ŠvejkJaroslav Hašek, ihren kleinen, aber sicheren Platz in der Geschichte Böhmens zugewiesen bekam.

Denn der trinkfeste, begnadete und witzige Schriftsteller hat ja schließlich auch die praktische Politik bereichert. Er ist der eigentliche Erfinder der sogenannten Spassparteien, von denen es heute viele gibt. Aber die Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes – auf Tschechisch: Strana mírného pokroku v mezích zákona (griffig abgekürzt: SMPVMZ), die er und seine Kumpanen aus der örtlichen Bohème 1904 gründeten, war die erste von ihnen. Mit Hašek stellte sie 1911 in Vinohrady (das damals noch nicht zu Prag gehörte) sogar einen Reichsratskandidaten auf, der aber nur 36 Stimmen bekam. Darüber bericheten wir bereits hier. Aber möglicherweise war das der Truppe sowieso egal, denn es ging ja um den Spaß und ein wenig darum, sich über die Politik lustig zu machen.

Aber was eine richtige Partei – Spasspartei oder nicht – angeht, so besteht sie immer aus Parteiflügeln. So auch die SMPVMZ. Und damit sind wir bei der Kneipe in der Polská (die damals, bis 1940, um genau zu sein, noch Nerudova hieß). Die Kneipe trug damals den Namen U Bláhů (Zum Bláha), benannt nach ihrem Kneipier Antonín Bláha. Einige Zweifler haben herausgefunden, dass es zu dieser Zeit noch andere Bláhas gab, die in Prag eine Kneipe betrieben, weshalb nicht gesichert sei, dass das hier auch tatsächlich die in Hašeks Buch über die Partei (allerdings nur im ungekürzten tschechischen Original) erwähnte ist., Als da waren: František Bláha irgendwo in Střížkov, Josef Bláha in Žižkov und ein anderer Josef Bláha in Střížkov (solche Informationen findet man in diesem Verzeichnis aller Kneipen, die Hašek nachweislich besucht hat). Da die SMPVMZ aber in Vinohrady wirkte, wären alle diese Kneipen vielzu abgelegen gewesen. Gehen wir also davon aus, dass, wenn wir heute ehrfürchtig vor dem Eingang des U Bohouše stehen, wir uns vor dem Gebäude des alten U Bláhu von Antonín Bláha befinden.

Hier trafen sich meistens (aber nicht immer) die Dacani genannten Mitglieder der Partei. Dacan ist ein heute etwas veraltetes umgangssprachliches Wort für irgendetwas zwischen Bösewicht und Schurke. Hašek erläutert das mit den Flügeln fast ernst: „Die politischen Organisationen der verschiedenen Parteien haben in Böhmen und in Mähren unterschiedliche interne Bestrebungen. Das allgemeine Programm ist natürlich das gleiche, aber das Leben der Organisationen ist in Böhmen und Mähren unterschiedlich. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms entwickeln sie sich auf die gleiche Art und Weise, aber auf eine Art und Weise, die ihrer Umgebung eigen ist.“ Und: „Politisch waren sie natürlich eine Einheit, aber privat waren sie sehr unterschiedlich.“ Das klingt fast wie die Parodie einer sozialwissenschaftlichen Abhandlung zur Partei, vor allem, wenn Hašek gerührt hinzufügt, dass es das gewesen sei, „dass eine Woche lang die Mehrheit der Dacani zusammen sein würde, dass sie einander nicht im Stich lassen würden, und dass sie eine Woche lang einander helfen, füreinander sorgen würden.“ Es wird aber im Laufe der Erzählung klar, dass es anscheinend um mehrtägige Dauerbesäufnisse handelte, bei denen diejenigen, die vor Trunkenheit nicht mehr gehen konnten, von den anderen mitgeschleppt wurden.

Die Stammbasis der Dacani war eben das U Bláhů. Hašek besuchte sie wohl öfters und war offenbar „beeindruckt von diesen „Programms edler Unterhaltung, bei dem wir im Grunde alle ein Körper und eine Seele waren.“ Aber eigentlich war das Programm, wenn man seinen Schilderungen glauben darf, nicht wirklich anders als das, was der „Mainstream“ machte, wenn er in nahegelegenen Kneipen wie dem U Zlatého Litru (Zum Goldenen Liter) trafen oder alle gemeinsam im berühmten Kravín (Kuhstall) tagten. In dieser Form gab es das U Bláhů schon sehr bald nach den Reichsratswahlen von 1911 (mit der die SMPVMZ auch ihren Höhepunkt überschritten hatte) nicht mehr. Antonín Bláha verkaufte das Haus und seine Kneipe für 204.000 Kronen 1913 an einen Wirt namens Matějka. Bei dem Gebäude handelt es sich um ein vierstöckiges Neorenaissance-Mietshaus aus der Zeit um 1900, dessen Erdgeschoss wohl seither immer eine Kneipe oder Gaststätte beherbergte. Aber nur das U Bláhů wurde nachhaltig literarisch verewigt. (DD)

Mehr zu Hašek: Auf den Spuren Jaroslav Hašeks I: Die Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes

Und auch: Auf den Spuren Jaroslav Hašeks II: Im U Kalicha

Ebenso: Auf den Spuren Jaroslav Hašeks III: Das Denkmal

Und natürlich: Auf den Spuren Jaroslav Hašeks IV: Geburtsort in der Gendarmeriewache

Nicht zu vergessen: Auf den Spuren Jaroslav Hašeks V: Švejk mit Hundeköttel

Schließlich: Auf den Spuren Jaroslav Hašeks VI: Großes Kino bei den Vierzehn Nothelfern

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