Auf den Spuren von Bohumil Hrabal IV: Die Papierpresse

Als einer der ganz großen tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts war Bohumil Hrabal immer auch ein akurater Beobachter der seelischen Narben, die die Schrecken des doppelten Totalitarismus – Nationalsozialismus und Kommunismus – bei den Menschen hinterließen.

Die Gedenktafel an dem eher unscheinbaren vierstöckigen Gebäude in der Spálená 79/10 (Neustadt) erinnert daran, dass dabei sehr viel eigene und leidvolle Erfahrungen einflossen. Einer von Hrabals bedeutendsten Romanen, Allzu laute Einsamkeit (Příliš hlučná samota) von 1976, verdankt wohl seine Existenz der Tatsache, dass er hier in der Spálena vin den Zeiten des Kommunismus in einem großen Betrieb für Materialverschrottung (sběrné suroviny) abrbeiten musste. Dank der Nazis hatte er sein 1935 begonnenes Studium erst 1946 abschließen können. Und unter den Kommunisten, die letztlich nur real-sozialistische Propaganda gelten ließen, wurde der Einstieg in die lange geplante Schriftstellerkarriere für einen originellen und widerspenstigen Geist wie ihm schwierig. Erst 1963 setzte er seinen Beschluss um, von der Schriftstellerei zu leben. Vorher übte er etliche Jobs aus, um zu überleben. Unter anderem wurde er Fahrdienstleiter bei der Bahn, was ihn 1966 zu der grotesk-düsteren Geschichte Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht (Ostře sledované vlaky) anregte.

Und dann folgte die Episode, an die die Gedenktafel in der Spálena (großes Bild oben) erinnert. Die Inschrift lautet übersetzt: „In diesem Haus des ehemaligen Geländes der Firma für Altmaterialsammlung fand der Schriftsteller Bohumil Hrabal, der hier 1954-1959 als Altpapierpacker arbeitete, die Inspiration für das Buch Allzu laute Einsamkeit.“ Mit ihrem Regierungserlass vom 8. März 1949 Nr. 88/1949 hatten die Kommunsiten in Prag die Altmaterialsammlung und -wiederverwertung systematisiert und (staatlich) zentralisiert, weshalb in mehreren Stadtteilen solche Sammelzentren entstanden. Der angehende Schriftsteller musste hier nun Bücher und Zeitschriften mit einer Papierpresse zu transportierbaren Ballen zusammendrücken. Das machte Hrabal fünf Jahre lang, aber es inspirierte ihn zu dem erst 1976 erschienen Roman Allzu laute Einsamkeit (Příliš hlučná samota). Dort geht es um den einsam im Keller arbeitenden Papierpresser Haňťa, der allerdings schon 35 Jahre dabei ist. Dieser erzählerische Trick ermöglicht es Hrabal, einen längeren Geschichtsabschnitt aus der Perspektive eines einsamen und abgeschirmten Menschen zu schildern. Von der Geschichte einer Roma-Frau, die unter den Nazis im KZ verschwindet bis zur Buchzensur der Kommunisten erreichen den Protagonisten die Geschehnisse, die ihn immer pessimistischer und grübelnder hinterlassen. Die Figur des Hanta soll Hrabals Kollegen in der Papierpresse (er arbeitete also nicht so alleine wie die Romanfigur) namens Jindřich Peukert (auch Pojkrt) nachempfunden sein, den man wohl oft Heinrich Hajný oder eben auch Haňťa nannte. Aber eigentlich ist es der Schriftsteller Hrabal selbst, der hier seine meist dunklen Gedanken teilt. Der (möglicherweise) echte Peukert schien wesentlich extrovertierter zu sein, wenn man Hrabals Geschichte Baron Prášil von 1963 glauben darf, wo Peukert als Protagonist Zeitschriften aus der Presse mitgehen lässt, die er in der Tram den darob irritierten Passanten laut vorliest, und der heimlich Bücher vor der Presse rettet, um sie Antiquariaten zu verhökern.

Hrabal wendet in Allzu laute Einsamkeit eine Erzähltechnik an, die er im Tschechischen „pabít“ nennt, was in Deutsch oft „bafeln“ genannt wird. Alles ist nur der unendliche Gedankenfluss, der Geschichten in Sätzen verbindet, die sich manchmal über ganze Seiten erstrecken. Dabei spielt die Literatur, die er mit der Presse vernichtet eine zentrale Rolle, die alles verbindet. Im wesentlichen scheint es sich um Literatur zu handeln, die von den Kommunisten als unerwünscht betrachtet wurde. Haňťa macht es sich zur Gewohnheit. die Ballen zu zu arrangieren, dass außen auf dem Ballen immer besonders schöne oder widerständige Bücher aufgeschlagen sichtbar sind. Obwohl er sich nie am offenen Widerstand beteiligte (er unterzeichnete zum Beispiel nicht die Charta 77), war bei allen seinen Büchern klar, dass er unter der kommunistschen Herrschaft litt. 1975 erhielt er sogar zeitweilig ein Publikationsverbot, das erst teilweise gelockert wurde, nachdem er auf Druck des Regimes eine erniedrigende Selbstbezichtigung und Loyalitätsadresse veröffentlichte.

Deshalb schrieb Hrabal sein Buch wahrscheinlich schon 1976, traute sich aber erst 1989 (nach dem Ende des Kommunismus) es zu veröffentlichen. Obwohl gerade Allzu laute Einsamkeit ein besonders introspektiv geschriebenen Buch ist, zeigt sich gerade hier die ungeheure Beobachtungsgabe und Realitätswahrnehmung Hrabals. Die Orte der Handlung sind real und werden detailreich beschrieben. Und so muss man sich nicht wundern, dass das Gebäude der ehemaligen Altmaterialsammelstelle tatsächlich noch existiert, wenngleich es heute nicht mehr diesem Zweck dient. Derartige Betriebe sind heutzutage aus naheliegenden Gründen der Wahrung der Umweltqualität der Stadt eher am Stadtrand angesiedelt. In kommunistischen Zeiten (und auch davor) kannte man solche Bedenken noch nicht. In der Spálena 79/10 befinden sich heute Läden und Büros.

Man erkennt den ursprünglichen Zweck nicht mehr, zumal schon damals die Zufahrt von Lastwagen über den Innenhof eines Nebengebäudes erfolgte, und die Fassade zur Spálena schon immer wie die eines normalen Büroblocks wirkte. Erst wenn man durch die unscheinbare Haustüre und den dahinter liegenden Flur geht, kommt man in den Bereich, den man heute noch ansieht, dass er dereinst einem gewerblichen Zweck diente. Man kann unter den Glaskacheln des Gewölbe dieses Vorraums noch die Athmospäre der alten, längst aufgegebenen Müllsammelstelle erahnen. Einige Jahre nach Hrabals Tod im Jahre 1997, der wahrscheinlich ein Selbstmord war, brachte man außen am Gebäude die metallene Gedenkplakette an, die an seine Tätigkeit als Papierpacker und an das Werk, das dadurch seine Entstehung verdankt, erinnert. (DD)

Siehe auch:

Auf den Spuren von Bohumil Hrabal I: Rätselhafter Tod

Auf den Spuren von Bohumil Hrabal II: Palast mit Automatenrestaurant

Auf den Spuren von Bohumil Hrabal III: Die Mauer, wo das Haus stand

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