Bei den Nilpferdbadewannen

Hroší lázeň – auf Deutsch: Nilpferdbadewanne – nannte der offenbar mit Humor gesegnete Bildhauer Josef Klimeš seine Kreation, eine Kombination von Großskulptur und Treppe, die das Herz eines jeden Freundes des brutalistischen Stils der 1970er/1980er Jahre höher schlagen lassen muss. Roher Beton in Fülle – und das ohne ein unnötig ablenkendes Umfeld! Denn drumherum sieht man auch sonst nichts anderes als Beton.

Auf den ersten Blick könnte der Spaziergänger, den es in das graue Gewirr von Eisenbahngleisen, Auffahrten und Zubringern zur Barrandov Brücke (Barrandovský most) verschlagen hat, denken, dass es sich um Stützpfeiler mit einer Aufhängung für eine dann doch nicht gebaute weitere Zubringertrasse handelt. Aber es handelt sich in der Tat um echte Kunst am Bau. Und hier, auf dem östlichen Ufer der Moldau gibt es in Sichtweite noch ein zweites Exemplar, das recht ähnlich aussieht und deshalb auch Hroší lázeň II heißt (Bild links). Man muss sich allerdings auf komplizierten Wegen am Rand der dicht befahrenen Schnellstraße dahin durchkämpfen. Echte Nilpferde dürften weder in Hroší lázeň I noch in Hroší lázeň II jemals gebadet haben, aber man muss zugeben, dass die Bezeichnung irgendwie doch den Nagel auf den Kopf trifft.

Die hiesige Ufer-Schnellstaße, die hier mit Zubringern des Prager Autobahnrings zusammentrifft, führt durch ein sehr schmales Terrain, denn der Uferstreifen wird eng durch die steil aufsteigenden Barrandov-Felsen begrenzt. Deshalb ist hier auch solch ein dichtes Gewirr von Straßen auf allen Ebenen (plus einer am Ufer fahrenden Eisenbahn). Und natürlich alles in rohem Beton, der die wachsende Zahl der Anhänger des einstmals verschrienen Brutalismus nur so verzücken muss (ansonsten ist das natürlich immer noch nicht unbedingt jedermanns Ästhetik).

Das war natürlich der angesagte Baustil als die Barrandov Brücke erbaut wurde. Sie wurde nämlich in den Jahren 1978 bis 1988 nach den Plänen des Architekten Karel Filsak (dem wir u.a. das berühmte Hotel Intercontinental in der Altstadt verdanken) gebaut. Auf dem Bild rechts kann man die Brücke von den Stufen von Hroší lázeň II aus schön begutachten. Die Brücke aus Spannbeton ist insgesamt 352 Meter lang und bis zu 55 Meter breit. Sie besteht aus zwei separaten Fahrbahnen mit je vier Fahrspuren, von denen die erst (südliche) schon 1983 eröffnet wurde. Sie verbindet die Stadtteile Barrandov (Westufer) und Braník (Ostufer). Weil das ganze Arrangement auch den Verkehr zum Autobahnring hin- und wegleitet, herrscht hier heftigster Autoverkehr. 2017 sollen hier 142.000 Autos am Tage im Durchschnitt über die Moldau gefahren sein. Die Brücke gilt als hoffnungslos überlastet.

Wie dem auch sei: nach der Eröffnung im Jahre 1988 wurden hier die beiden Nilpferdwannen (die der Volkmund auch manchmal als „Krmítko pro slony“ bezeichnet, auf Deutsch: Elefantenfutterstelle) als Kunstwerke aufgestellt, wobei die architektonisch in die Brückenkonstruktion intergriert sind. Neben ihrem Status als Kunstwerk dienen sie auch als Überdachung von Treppenaufstiegen. Wer unbedingt im Zubringerchaos die Straße wechseln oder eine der bewachsenen Verkehrsinseln aufsuchen möchte, kommt von hier aus auf das „Erdgeschoss“ und kann andernort wieder aufsteigen. Und zwar in unterschiedlicher Weise.

Bei Hroší lázeň II ruht die eigentliche „Wanne“ auf einem Treppenhaus, das um eine Ecke führt. Im Zwischendeck hat man eine Blicknische gelassen, die – vor allem am Umfeld gemessen – eine schöne Aussicht auf die Felslandschaft des gegenüber liegenden Ufers erlaubt (Bild links). Das ist schon fast Illusionskunst. Man muss sich ein wenig die Ohren zuhalten, damit man den Verkehrslärm nicht hört, aber dann konnte man an eine Idylle glauben – aber nur von diesem Blickwinkel aus.

Biegt man um die Ecke und geht herunter, dann verliert sich die Illusion. Man befindet sich zwischen Betonwänden am Straßenrand und kann sich auf einem kleinen Bürgersteig langsam auf den Weg machen.

Eine Unterführung weiter steht man vor Hroší lázeň I. Der sieht ähnlich aus, aber die Wanne ist nicht in die Treppe intergiert. Die Wanne schwebt geradezu frei auf einem umfänglichen Rundpfeiler, der längs geriefelt ist. Dadurch, so könnte man als Phantasiebegabter meinen, spielt das Ganze auf klassisch-antike Säulen mit ihren Kanneluren an. In dieser Weise freischwebend wirkt die Wanne noch brutalistischer als die von Hroší lázeň II, obwohl bei doch ungefähr gleich groß konstruiert sind. Die Treppe hinauf auf den Zubringer führt jetzt nicht durch ein Treppenhaus, sondern diagonal an der Säule vorbei unter der Wanne (die hier Regendach wird) hindurch.

Die beiden Nilpferdbadewannen konnten übrigens froh sein, dass sie erst 1989 hier aufgestellt wurden. In dem Jahr endete ja bekanntlich auch der Kommunismus. Das hatte die Umbenennung der ursprünglich nach dem ehemaligen kommunistischen Staatspräsidenten Antonín Zapotocký damals Antonín Zapotocký Brücke (most Antonína Zápotockého) benannten Brücke zur Folge. Nilpferdbadewannen sind eine viel zu lustige Idee, als dass man sie mit einem verstorbenen Stalinisten in Verbindung bringen sollte. Neben einer politisch neutralen Barrandov-Brücke dürften sich die grundsätzlich demokratie-freundlichen Nilpferde, so sie sich doch einmal hierhin zu einem erfrischenden Bade einfinden sollten, erheblich wohler fühlen.

Wie dem auch sei, so sehr sie von der Straßenperspektive auch ein wenig aussehen mögen, als ob hier ein Stück Zubringer unvollendet geblieben wäre, so sehr beeindruckt der Blick von unten (links wieder Hroší lázeň II). Man sieht, wie sehr der Bildhauer versucht hat, dass sein Kunstwerk inmitten der gigantischen Brücken- und Zubringerarchitektur immer noch optisch herausragend wirkt. Es ist die schiere Wucht des Betons, die man hier bewundern kann. Das Ganze erinnert ein wenig an einen alten Schiffsrumpf, wobei dieser Eindruck durch die Abdrücke der Holzverschalungen, die für den Guss verwendet wurden, noch einmal verstärkt wird.

Man soll aber bei dieser Gelegenheit nicht annehmen, das der Bildhauer, Josef Klimeš, nur ein Mann für’s Grobe war, der Gigantomanie in Beton goß. Vielmehr konnte er auch anders. Nämlich durchaus figürliche und feine Darstellungen (Beispiel hier). Kurz: Er war ein vielseitiger Künstler. Hier hatte er sich eben – wie es ein guter Künstler tun muss – über den Kontext seines Werkes (der nun einmal eine Betonbrücke ist) Gedanken gemacht, und dies durchaus sehr passend mit mit augenzwinkernder Phantasie realisiert. Es nur schade, dass die Barrandov-Brücke nicht so prominent und bekannt ist wie die Karlsbrücke, sondern eher abgelegen. Deshalb sehen sich wohl nur wenige Touristen je die beiden Nilpferdbadewannen an. Nur hartgesottene Brutalismus-Fans verirren sich hierher.

Komplett ist die Beschreibung der beiden Wannen aber noch nicht, wenn man sich nicht mit dem gegenüber liegenden Ufer befasst. Dort in Braník ist das Gewirr der Zubringer etwas geringfügiger wirr als drüben in Barrandov, aber eben immer noch recht komplex. Und so kann man im Vorbeifahren mit der Ufer-Straßenbahn die Skulptur Rovnováha (Balance/Gleichgewicht) bewundern – ebenfalls ein Werk von Klimeš. Der Titel des Werkes ist natürlich nicht so lustig wie der der „Nilpferdbadewannen“, aber doch recht sinnfällig. Leider ist sie von einer Werbetafel am Wegesrand etwas verstellt. Die Skulptur besteht wieder aus einer Säule mit Kanneluren (wie Hroší lázeň I). Darauf befindet sich aber keine Wanne, sondern ein auf dem „Rücken“ liegender Betonhalbkreis, der aber an einer Seite unregelmäßig „ausflattert“. Das erweckt den Eindruck eines schwer zu stabilisierenden Gleichgewichts. Die Möglichkeiten, die uns Stahl und Beton geben, um schwierige Gleichgewichte zu meistern, werden also recht augenscheinlich gemacht. Auch hier ließ der Künstler seinen Hintersinn walten. (DD)

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