- Hans Weber
- November 1, 2024
Bier und Steaks von Lokomotiven serviert
Es ist eine Mordsgaudi. Auch wenn manche Prager etwas snobistisch die Nase rümpfen, weil sich hier am Wenzelplatz (Václavské nám. 802/56) natürlich arg viele Touristen vergnügen, muss man hier einfach gewesen sein: Im Výtopna, dem Restaurant (nicht nur) für Eisenbahnbegeisterte.
Výtopna heißt auf Deutsch so etwas wie ein Betriebswerk oder Lokschuppen, der für die Wartung von Lokomotiven genutzt wird. Der Name passt irgendwie, denn die Bestellungen nimmt zwar noch ein in der Regel recht freundlicher Kellner oder Kellnerin auf, aber an den Tisch gebracht bekommt man Speis und Trank von kleinen Lokomotiven, die punktgenau und vermittels komplizierter digitalisierter Technik auf dem in der Mitte des Tisches befindlichen Gleisen landen. Die Lokomotiven mit je einem Güterwagen zum Getränke/Essens-Transport kommen nach einer Weile sogar wieder zurück, damit man Gläser und Besteck wieder abtransportieren kann. Die Speisen auf dem Güterwagen werden in extra abgeschlossenen Behältern serviert, damit sie auch frisch bleiben.
Das Ganze ist groß konzipiert (obwohl das Restaurant trotzdem überfüllt ist, weshalb eine Reservierung empfohlen wird). Die Gleislänge beträgt rund 900 Meter. Jeder der verschiedenen Elektrolokomotiven, die im Maßstab 1.22,5 (Modellgröße G) liebevoll hergestellt wurden, verfügt über echte Geräusche, Beleuchtung und ganze zwei Motoren. Die Lokomotiven sind, je nach Bauart, 60 bis 130 cm lang. Damit die Speisen (aber natürlich auch das feinst-gezapfte Bier) hier möglichst schnell beim Kunden ankommen, haben die kleines Lokomotiven immerhin eine Geschwindigkeit von satten 20 km/h drauf. Auf recht robust sind sie, denn sie haben in der Regel eine Zuglebensdauer von rund 500.000 bis 700.000 Modellkilometer. Und wenn sie dann mit dem guten Bier angefahren kommen, freut sich ein jeder wie ein Kind.
Ganz selten, wirklich nur ganz selten passiert schon einmal ein Eisenbahnünglück, bei dem aber meines Wissen bisher niemand wirklich zu schaden kam. Im Gegenteil: Irgendwie trägt so etwas zur richtig klassischen Eisenbahnatmospäre bei.
Ins Leben gerufen wurde das Výtopna von dem Geschäftmann Petr Fridrich. Der hatte dabei eine Art Franchise-Unternehmen im Kopf. Schon 2009 hatte er in Staré Brno ein erstes Lokal mit Modelleisenbahn-Bedienung eröffnet. Es folgten Restaurant in Orlová (2010), in Ostrava (2012) oder Brno (2012). In Prag wurde hier am Wenzelplatz das Výtopna im Jahre 2013 eröffnet, im Jahr darauf gab es noch eine Prager Filiale im Einkaufszentrum Palladium (wir berichteten hier). Fast alle die Filialen sind aber nach einer Weile pleite gegangen oder machen sich selbständig, wie das Restaurant in Orlová, das nun unter der Bezeichnung Depo Orlová läuft. Heute gibt es noch zwei Výtopnas, nämlich am Naschmarkt in Wien und eben in Prag am Wenzelplatz.
Und das in Prag läuft und läuft. Das hat nicht nur etwa mit den Eisenbahnen zu tun, sondern mit der (zugegebenermaßen nicht ganz billigen) hohen Qualität der Speisen und Getränke zu tun. Es gibt ein paar kleine tschechische Spezialitäten, aber im wesentlichen findet man internationale Bierküche wie Burger. Aber der Hauptstolz des Hauses sind die Steaks, die in verschiedensten Varianten (inklusive japanischer Wagyu) und Zubereitungsformen angeboten werden. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Und dann sind da noch die Getränke. Die sind so vielfältig wie sonst kaum mehr. Herausstechen tut die Liste mit Bier vom Fass, die schon mit vier eigenen Výtopna-Sorten beginnt (Helles, Dunkles, Indian Pale Ale und Indian Pale Lager), dann aber noch zahlreiche Biere von tschechischen Kleinbrauereien präsentiert, darunter sogar das in Tschechien eher seltene Weizenbier (hier durchaus authentisch gelungen von der Kleinbrauerei Beránek gebraut). Dem Qualitätsstandard bei Essen entspricht also der Qualitätsstandard beim Bier, bei dem keine phantasieloses Industriebier auf den Tisch kommt. Der Bierumsatz, so das instinktive Bauchgefühl, ist jeden Abend enorm. Entsprechend groß ist auch die gleich fünf Spuren umfassende Zapf- und Auffüllstelle, die man links im Bild sieht. Hier kann zu Stoßzeiten wirklich eine Menge von guten Hopfentrank wegschaffen!
Da das Výtopna ja schon mittags geöffnet ist, und nicht nur zu den Abendzeiten trinkfeste Touristen, ist es sicher auch für Familien geeignet – nicht zuletzt wegen der Speisekarte (viele Burgerspezialitäten, die ja bei KIndern immer ankommen!), aber vor allem doch weil die Eisenbahnen, die zum Teil durch romantische-pittoreske Landschaftsgestaltungen fahren, einen Erlebniswert aufkommen lassen, der jung und alt gleichermaßen begeistern kann. Zumal eigentlich nie eine eine Sauftouristenstimmung aufkommt. Vielleicht wird durch die Lokomotiven eher das kleine Kind im Manne erweckt, denn der krude Exzesstrinker.
Ach ja, ganz komplett ist die Beschreibung nicht, wenn man nicht ein paar Worte über das Gebäude verliert, in dessen erstem Stock sich das Výtopna befindet. Es handelt sich nicht um eines altes oder historisierendes Gebäude, sondern eher um einen modernen Pionierbau, dem sechsstöckigen Palác Fenix (Phoenix Palast) – ein Geschäftsgebäude mit Läden und Einkaufpassage, das in den Jahren 1928-30, als es entstand, zu den Meisterwerken des Funktionalismus gehörte. Kein Geringerer als der damalige Stararchitekt Josef Gočár wirkte damals an den Planungen mit, über den wir immerhin schon u.a. hier, hier hier oder hier berichtet haben. Aber als diese architektur-historischen Betrachtungen verlieren dann doch an Bedeutung, wenn die liebevoll gemachten Lokomotiven mit den guten Gaben an einem vorbeigerauscht kommen. (DD)
Recent posts
See AllPrague Forum Membership
Join us
Be part of building bridges and channels to engage all the international key voices and decision makers living in the Czech Republic.
Become a member