Böhmische Kämpfer (mit Hund)

Das Wappen Österreichs auf dem Schild und tapfer vorwärts stürmend. Auf Häuserfassaden dieser Zeit sieht man so etwas in Prag eher selten, war da doch meist eine tschechische Nationalmythologie angesagt, die mit Habsburg-Österreich eher wenig zu tun haben wollte.

Wir finden dieses interessante Fresko im Stil des Historismus auf der Hausfront des dreistöckigen Mietshauses an der Dukelských hrdinů 693/37 (Ecke Sochora) im Stadtteil Holešovice. Das wurde im Jahr 1894 gebaut und zwar durch den Bauunternehmer Josef Rixy nach den Plänen des Architekten Jan Zeyer, dem Bruder des wohl etwas bekannteren Schriftstellers Julius Zeyer (wir berichteten hier) und Vater des bekannten Malers Jan Angelo Zeyer.

Zeyer war ein innovativer Architekt und als solcher setzte er Ende des 19. Jahrhunderts im Stadtteil Holešovice Maßstäbe als Städteplaner. Die Stadt sollte sich durch moderne Verkehrsinfrastruktur (Straßenbahnen) auszeichnen, wozu breite Alleen gelegt wurden, die von bürgerlichen Mietshäusern (das Apartment war eine relativ neue Erfindung) gesäumt wurden. Das kann man in der Dukelských hrdinů (benannt nach der Schlacht am Dukla-Pass, wo 1944 slowakische Aufständische mit der Roten Armee gegen die Nazis kämpften) schön beobachten, die damals natürlich noch nicht so hieß, sondern Bělského – nach einem Bürgermeister namens Václav Bělský. Aber die besondere – und ab dann von unzähligen Architekten nachgeahmte – Idee Zeyers war, die modernen Stahlkonstruktionen der Apartmentbauten in den historisierenden Stil der Neorenaissance zu fassen, wobei der Schwerpunkt auf Fassadengemälden lag, die patriotisch-tschechische Geschichtsromantisch verbreiteten. Derartiges sieht man in der ganzen großen Dukelských hrdinů in Massen. Und mit dem Haus 693/37 begann es.

Zeyer beschäftigte bei seinen unzähligen Häusern einige der bedeutendsten Historienmaler des Neorenaissancestils in Böhmen. In Holešovice war es sehr häufig Láďa Novák (den erwähnten wir schon hier) oder Adolf Liebscher (u.a. hier und hier), der übrigens für das ursprünglich hier befindliche Restaurant einige Deckenfresken gemalt hat. Aber die Fassade beherrscht hier nur einer, der bekannteste aller Historienmaler des Landes, Mikoláš Aleš (von uns u.a. erwähnt hierhier und hier). Der brachte am obersten Stockwerk des Hauses erst einmal sehr zierliche teils florale, teils allegorische Sgraffiti (Kratzbilder aus verschiedenfarbigen Stuckschichten); eine Technik, die gerade in der böhmischen Renaissance weit verbreitet und populär war (bekanntestes Beispiel ist der Schwarzenberg Palais in der Burgstadt).

Aber der Blickfang ist zweifellos das große Schlachtgetümmel, dass sich wie ein Fries um das Gebäude zieht. Der Kämpfer mit dem österreichischen Wappen befindet sich auf dem Fries zur Seite der Dukelských hrdinů hin. Er kämpft zusammen mit anderen Soldaten ganz offensichtlich gegen die Türken.

Die sind geradezu klischeehaft dargestellt – mit Turbanen, Krummsäbeln und Halbmondinsignien. Es handelt sich wohl um eine Szene aus dem Ersten Österreichischen Türkenkrieg, der von 1526 bis 1533 tobte, an dem zur Rettung des bedrohten Ungarns viele böhmische Kämpfer teilnahmen, deren tapferes Tun Teil der tschechischen Nationalmythologie wurde. Da bei der entscheidenden Schlacht von Mohacs (1526) König Ludwig II (der zugleich in Böhmen und Ungarn regierte) heldenhaft fiel, wurde danach Ferdinand I. von Habsburg böhmischer (und ungarischer) König. Das wurde aber durch eine Wahl der Stände besiegelt, so dass fortan hier Habsburger und Böhmen in diesem Krieg gemeinsam kämpften. Die stolze Präsentation verletzte daher auch im nationalistischen 19. Jahrhundert keine patriotischen Gefühle der Tschechen, sondern strich ihren Heldenmut heraus – obwohl man später viel an der Habsburgerherrschaft auszusetzen hatte.

Dass sich hier also keine pro-österreichische/pro-habsburgische Grundhaltung zeigt (was in Prag zu dieser Zeit in der Tat ungewöhnlich gewesen wäre), darauf deutet auch ein Fassadendetail hin, das man leicht übersehen könnte. Auf der Wand des zweiten Stockwerks befinden sich nämlich in Stuck gefasste Symbole des Freimaurertums, nämlich Winkel und Lot (Senkblei). Unter tschechischen Nationalisten war der Katholizismus so etwas wie ein Symbol für die Habsburgische Fremdherrschaft seit dem Dreissigjährigen Krieg. Das machte die Tschechen zu einer recht säkularen Nation und Freimaurerei wurde gerade an Fassaden gerne zu Schau getragen, um seinen (tschechischen!) Patriotismus zu demonstrieren. Detaillierteres schrieben wir in diesem Blog dazu hier.

Um die Ecke zur Sochora: Hier sehen wir eine Schlachtszene aus einem andern Krieg, nämlich den Dreissigjährigen Krieg. Die Kämpfer scheinen etwas uninspiriert und nicht sonderlich kampfesfreudig daherzukommen. Vielleicht sind sie gerade auf dem Weg zur Schlacht  am Weißen Berg von 1620 (wir berichteten u.a. hier), wo sie dann auch eine Niederlage kassieren, die die Herrschaft der Habsburger endgültig (und diesmal im Gegensatz zu 1526 unfreiwillig und ohne Wahl) verfestigte und die Freiheit Böhmens beendete.

Aber sie tragen stolz die Flaggen zweier böhmischen Länder – Böhmen (Löwe mit Doppelschwanz, wir berichteten hier) und Schlesien (Adler mit silbernem Brustmond), wie die Bildausschnitte oberhalb zeigen.

Und außerdem haben sie einen Hund dabei. Und jeder weiß, dass ein guter Tscheche auch immer ein guter Hundenarr ist! Hoffentlich passiert dem Tier nichts in der Schlacht… Wie dem auch sei: Unter den vielen patriotisch-historischen Neo-Renaissance-Fassaden ist das hier eine der hintergründigsten. Tschechischer Patriotismus mit österreichischem Wappen und mit Hund. Das Zeyersche Haus regt in der Tat zum Nachdenken an… (DD)

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