- Hans Weber
- November 1, 2024
Brückensockel ohne Brücke, aber mit Mauthaus
Irgendetwas ist schon recht ungewöhnlich an diesem Haus. Aus schwerem Mauerwerk ragend, scheint aus der Uferbefestigung herauszuwachsen, um dann ganz oben zu einem von den Fluten verschonten leichten Fachwerkhaus zu mutieren.
Am nach dem Maler Adolf Kosárek benannten Kosárek Ufer (Kosárkovo nábřeží) und dort unter der Hausnummer 554/2 gelegen, lässt sich das eigentümliche Gebäude am besten von der heutigen Manes-Brücke (Mánesův most) studieren, die bis 1918 nach dem nach dem österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand hieß. Man sieht es auf dem großen Bild oben. In der Tat ist es so, dass dieses Haus unauflösbar mit der Brückengeschichte verbunden ist. Bis tief ins 19. Jahrhundert gab es nämlich in Prag nur eine einzige feste Brücke über die Moldau, nämlich die im 14. Jahrhundert erbaute Karlsbrücke (Karlův most). Allenfalls ergänzten kleine Fähren dieses Monopolangebot für die Flussüberquerung. Aber das war im 19.Jahrhundert, als Prag zur großen industriellen Metropole mit viel Verkehr heranwuchs, schlichtweg nicht mehr hinreichend. Nur, bis man eine richtige neue Steinbrücke fertigstellte, das dauerte noch eine Weile.
Erst in den Jahren von 1898 bis 1901 wurde die zweite solide-steinerne Brücke über die Moldau gebaut, die heutige Most Legii (Brücke der Legionen) – ursprünglich nach Kaiser Franz I. benannt. Wir berichteten darüber hier. Das heißt aber nicht, dass man nicht schon vorher durch Improvisation der immer drängerenden Lage Herr zu werden versuchte. Im Falle der Franz-Brücke gab es nämlich seit 1841 eine Ketten- oder Hängebrücke für Fußgänger. – eine aufwendige Konstruktion, bei der Ketten von Pylonen aus das Brückendeck mit dem Gehweg tragen. Dass man hier zunächst die preisgünstigere und schneller realisierbare Hängekonstruktion der stabilen Steinbrücke vorzog, war nicht ungewöhnlich. Auch die heutige Štefánikův most (Štefánik-Brücke), die zu Anfang noch Kaiser Franz Josef als Namensgeber hatte, war zunächst einmal eine 1908 erbaute Hängebrücke. Alles das half ein wenig, die Verkehrssituation über dem Fluss zu beruhigen, aber je mehr Straßenbahnen und Autos das Straßenbild bestimmten ,war klar, dass das eben doch nur ein Provisorium war.
Bei der heutigen Manes-Brücke war es genauso. Die wurde erst in den Jahren 1911 bis 1916 erbaut. Aber auch hier gab es zuvor einige Meter flussabwärts eine Kettenbrücke. Der sogenannte Rudolf Steg (Rudolfova lávka) wurde in den Jahren 1868/69 erbaut und nach dem damaligen Kronprinzen Rudolf genannt. Dieser Fußgängersteg hatte eine Gesamtspannweite von 96,01 Metern. Ein gusseisernes Brückentor mit einer Höhe von 17,5 m diente als Mittelpylon. 3,35 Meter betrug die Breite des aus britischen Stahl konstruierten Steges. Das Ganze war durchaus ein anspruchsvoller Bau, der von dem Bauunternehmer Franz Schön nach den Plänen des Architekten Karl Ritter von Wessely errichtet wurde. Die vom westlichen Ufer wegführende kleine Straße, die damals die Auffahrt war, heißt seit 1870 (dem Jahr der Einweihung des Steges) bezeichnenderweise immer noch U Železná lávky (Zum eisernen Steg).
Und wie finanzierte man das? Nun, bei der Karlsbrücke wurde im Mittelalter eine Brückenzoll erhoben. Wer den nicht zahlen wollte, musste halt schwimmen oder ein Boot mieten. Mit dem Zoll kam der 1233 von der Heiligen Agnes gegründete Ritterorden der Kreuzherren mit dem roten Stern zu unerhörtem Reichtum. Und auch die erste neue Brüche, die oben erwähnte heutige Brücke der Legionen, finanzierte sich zunächst durch einen kleinen Brückenzoll, wofür extra je zwei kleine neobarocke Wachtürmchen an jeder Flussseite gebaut wurden, die man heute noch bewundern kann. Und so ähnlich machte man es auch mit dem Rudolf-Steg. Und damit sind wir schon bei dem auffälligen Gebäude am Ufer. Das war nämlich das Zoll- oder Mauthaus (mýtní dům) und zugleich Heim des Zollkassierer. Als die Brücke 1916 durch die Manes-Brücke ersetzt und abgerissen wurde, verlor das Fachwerkhäuschen seine eigentliche Bestimmung. Und für die nun folgenden neuen Brücken über die Moldau verlangte man keinen Zoll mehr, sondern betrachtete die Mobilität in Prag als öffentliche Aufgabe, die aus dem Stadtsäckel bezahlt wurde (also von Steuerzahlern, die möglicherweise die Brücke gar nicht nutzten).
Noch heute kann man von östlichen Ufer her gegenüber den ehemaligen Steg- oder Brückensockel erkennen, den man im Bild rechts direkt links neben dem Fachwerkbau erkennt. Aber eben ein Brückensockel ohne Brücke. Das Mauthaus wurde schon sehr bald zu einem kleinen Wohnhaus umfunktioniert, dessen Bewohner stets hofften, dass kein allzu hohes Hochwasser kommt. Aber in den meisten Jahren ging es gut. Das große Hochwasser von 2002 richtete jedoch schwere Schäden an. Heizung, Bootssteg, Elektrik – alles kaputt. Zu diesem Zeitpunkt residierte (bzw. residiert noch) seit 1978 hier ein Clubzentrum des Jugendwohlfahrtsvereins Gemini, der das Gebäude schon 2004 renoviert und wiederhergestellt hat. Die schöne Lage am Fluss und das hübsche fachwerkgebäude sind das Risiko ja auch wert. (DD)
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