- Hans Weber
- November 1, 2024
Das Haus des Weingroßhändlers
In Prag weiß man nicht nur das gute Bier zu genießen, sondern auch den guten Wein, der hier übrigens in Hülle und Fülle wächst. Von Weinseligkeit zeugt jedenfalls diese kleine Statue des antiken Gott des Weins, Bacchus, die sich in einer Nische des Schier Hauses (Schierův dům) am Altstädter Ring (Staroměstské nám. 1/3), Ecke Pařížská befindet.
Das dreistöckige Gebäude verdankt seinen Namen Franz Schier, dessen Vater, ein erfolgreicher Landwirt und Gaststättenbesitzer im nördlich von Prag gelegenen Trávník, in die reiche Familie Oppelt eingeheiratet hatte, Mit seinem ererbten Geschäftssinn und der Familienzugehörigkeit wurde 1856 der Sohn der Erbe und Eigner des Weingroßhandels seines Onkels Josef Oppelt (dem Bruder von Franz‘ Mutter) in Prag. Die Firma hieß fortan zu Ehren des verstorbenen Onkels Josef Oppelt’s Neffe (Firma Jos. Oppelta synovec), aber irgendwie war es faktisch natürlich eine Firma Franz Schier. Und die boomte unter dem Neffen Schier. Es wurde Zeit für einen großen und mondän-repräsentativen Firmensitz mitten in Prag. Ein Ort am Altstädter Ring war bald Ende der 1880er Jahre gefunden, aber die Sache hatte einen Haken.
Denn das Areal um die Pařížská, an die das Grundstück grenzte, war früher der Rand des alten jüdischen Ghettos. Seit der Judenemanzipation von 1849 gab es aber keinen Ghettozwang mehr für Juden, die sich nun frei in der Stadt ansioedeln konnten. Das alte Ghetto mit seinen allzu engen Gassen verwandelte sich aber in ein Elendsviertel, Als die Prager Städtväter 1893 mit der Umsetzung ihres Plan einer völligen Neugestaltung des Viertels (im Sinne dessen, was man heute Gentrifizierung nennt) begannen, wurden die dortigen Gebäude ohne großes Federlesen abgerissen. Nur mit Mühen konnten denkmalschützerisch tätige Menschen wenigstens den Abriss der schönsten verbliebenen öffentlichen Bauten – insbesondere das Rathaus und die Synagogen – verhindern. Aber die sonstige Bausubstanz, die arg heruntergekommen war und nicht mehr modernen Ideen von Wohkultur entsprach, wich den breiten Luxusalleen und Einkaufsstraßen, wie wir die dort heute noch bewundern können. Irgendwie hatte Schier gehofft, dass er das dort bereits bestehende Gebäude, das der neuen Weinzentrale weichen sollte, ebenfalls schnell beseitigen konnte.
Da täuschte er sich, denn das war kein heruntergekommenes Ghettohaus, sondern ein leibhaftiger Barockpalast aus dem Jahre 1704, geplant von dem bedeutenden Architekten Johann Blasius Santini-Aichl (erwähnten wir u.a. hier und hier). Die hochbarocke Fassade soll von dem nicht minder bedeutenden Architekten Kilian Ignaz Dientzenhofer (auch hier, hier und hier) gestaltet worden sein, oder doch zumindest in dessen imposanten Stil. Im Bürgertum kam immer mehr ein Bewusstsein für Denkmalschutz auf und dafür, dass es bei manchen Baudenkmälern um einen Teil des nationalen Erbes ging (im Jahr 1900 sollte daraus der erste Denkmalschutzverein in Prag entstehen). Der Widerstand war groß. Aber Schier war klever. In dieser Zeit spielten zunehmend sanitäre Erwägungen bei der Stadtplanung eine Rolle. Wasserversorgung und Flutsicherheit lagen im Argen. Nach sieben Jahren Auseinandersetzung wurde der alte Palast zum hoffnungslosen Sanierungsfall erklärt und schon 1896 stand hier statt eines prächtigen Barockpalastes ein prächtiges Neobarockhaus. Man mag dem alten Haus zurecht nachtrauern, aber mittlerweile hat sich das neue Haus eine eigene kunsthistorische Reputation erobert.
Denn bei der Fassadengestaltung hatte Schier nicht gegeizt. Es ging ja um das Aushängeschild seines Weingroßhandels. Gleich drei Bildhauerprofis heuerte er dafür an. Einer davon war Jindřich Říha (wir erwähnten ihn u.a. bereits hier), der auch den kleinen, aber zum Weingewerbe passenden Bacchus erstellt hatte. Dann waren da noch Vilím Amort, einem Spössling einer weit verzweigten Bildhauerdynastie, und Josef Kropáček, über den ich nichts herausfinden konnte. Amort verdankt man vor allem die Skulptur zweier Atlanten unter dem Eckerker. Sie sollen angeblich den Kampf zwischen dem alten (fanatischen) und dem neuen (aufgeklärten) Zeitalter darstellen, aber nicht jeder Kunstkritiker konnte mit dieser Namensgebung etwas anfangen, da die beiden überaus beeindruckenden Figuren keine entsprechen unterschiedlichen Attribute aufweisen und auch irgendwie unkontrovers mit einander umzugehen scheinen.
Persönlich habe ich den Verdacht, dass gar nicht die Erkeratlanten gemeint waren, sondern die beiden Figuren über dem großen Eingsngsportal auf der Seite zum Altstädter Ring. Die unterscheiden sich zwar in den Attributen nicht wesentlich, gebärden sich aber gegensätzlich. Die rechte weibliche Figur weist die verschlagen dreinschauende männliche Figur links mit lehrender Pose ein wenig zurecht. Das könnte besser zum Titel passen, aber es ist eine bloße unbewiesen Annahme von mir. Künstlerisch wertvoll ist die Statuengruppe allemal.
Neben diesen beiden großen Statuengruppen kann man, wenn man den Blick über die Fassade schweifen lässt, noch unzählige mehr an liebevoll gestalteten skulpturalen Element entdecken (Beispiel Bild rechts). Allerdings scheint außer dem kleinen Bacchus keines einen Bezug zu Wein oder Weinhandel zu haben. Das war nicht immer so, denn ursprünglich befand sich nahe bei Bacchus auf der Front zur Pařížská ein großes Mosaik mit dem Thema Die Weinlese (vinobraní). Leider war während des Prager Aufstands (siehe u.a. auch hier und hier) gegen die Nazis im Mai 1945 der Altstädter Ring einer der blutigen Schauplätze. Viele der von den ahnungslosen Touristen hier bewunderten alten Gebäude, sind gar nicht wirklich so alt, sondern Rekonstruktionen (auf hohem Niveau, wie dieses Beispiel zeigt).
Auch das Schier Haus wurde schwerstens beschädigt. Insbesondere auch das Wein-Mosaik wurde restlos zerstört. Als die Architekten Jaroslav Stránský (eigentlich eher ein Spezialist für Funktionalismus und nicht für Neobarock) und Karel Storch das Gebäude in den Jahren 1946 bis 1949 wiederherstellten, ließ sich das Mosaik anscheinend nicht mehr restaurieren. Aber der Weingroßhandel von Franz Schier, der 1929 verstarb, existierte da schon nicht mehr. Kein Mosaik muss hier für Wein mehr werben. Im Erdgeschoss betreibt heute ein internationaler Schmuckhändler sein Gewerbe. Schade ist es trotzdem drum. Aber auch ohne Mosaik hat der gute Weingroßhändler uns beeindruckendes Gebäude hinterlassen.
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