- Hans Weber
- December 18, 2024
Das Leiden der Kinder
Nach dem Attentat auf den „Schlächter von Prag“, dem stellvertretenden Reichsproktor Reinhard Heydrich, im Mai 1942 verübten die Nazis grausame Rache, nicht nur an den Mitgliedern des Widerstandes, sondern wahllos an der Zivilbevölkerung. Zu den traurigen Opfern zählten auch Kinder, wovon dieser eigentlich so idyllische Ort Zeugnis ablegt: Das Schloss Jenerálka (zamek Jenerálka) an der Nad Habrovkou 2308/3 im Stadtteil Nebuice.
Über 5000 Menschenleben kosteten die Racheaktionen. Neben des Hingerichteten wurden auch Menschen in die Konzentrationslager geschleppt. Was geschah mit den Kindern der Ermordeten und Verschleppten? Für die war eine harte Internierung vorgesehen, Dafür wurde das Schloss Jenerálka geräumt und zweckentfremdet. Das Schloss bestand im 18. Jahrhundert nur als einem der heutigen Wirtschafts-gebäude. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es im neobraocken Stil so umgebaut und vor allem vergrößert, dass man erst jetzt die Bezeichnung Schloss verwendete. Der Name rührt daher, dass sich der (nicht gesicherten!) Überlieferung ein Teil des österreichischen Generalstabs residierte. Da es im Tschechischen kein „G“ gibt, wurde das Ganze in „Jenerálka“ umgeformt.
Besser nachwiesen ist, dass der bekannte Landschaftsmaler August Friedrich Piepenhagen hier bis zu seinem Tode 1868 lebte. Im Jahre 1922 wurde das Schloss vom Unterstützungs- Fond für die Veteranen der Tschechoslowakischen Legionen des Ersten Weltkriegs gekauft. Die hatten sich der Entente angeschlossen, um das Land von der Habsburgerherrschaft zu befreien (frühere Beiträge u.a. hier, hier, hier hier und hier). Der Fond baute das Schloss als Heim für kriegsbehinderte Veteranen der Legionen. 1925 wurde es eröffnet und gab rund 170 Veteranen ein Heim und Pflege. Nach dem Attentat auf Heydrich nutzten die Nazis nunmehr Teile dieses Schlosses, um für die Kinder der von ihnen Ermordeten und Verschleppten ein Kinderheim einzurichten. 46 Kinder von zwei bis 16 Jahren wurden hierhin verschleppt.
Das Kinderheim, das ab Sommer 1942 von der Gestapo betrieben und überwacht wurde, war natürlich kein eigentliches Kinderheit, das dem Wohl der Kinder diente. Den Kindern wurde kein Lesen und Schreiben beigebracht. Wohl um sie zu „enttschechisieren“ durften sich die Kinder nie mit ihren Nachnamen anreden. Es herrschte eiserne Disziplin und Schikane. „Wir waren von unseren Eltern abgeschnitten, von allem, was wir liebten. Wir sollten unsere Namen vergessen und unser Schicksal war ungewiss. Die Eltern wurden kurz darauf im Konzentrationslager Mauthausen hingerichtet,“ erinnert sich Alena Staňková, eine der Überlebenden, die 2012 die Gedenkplakette einweihten. Ein wenig Verbesserung trat ein, als im August 1944 das Heim aufgelöst und die Kinder in das Internierungslager Svatobořice in Mähren verlegt wurden. Hier herrschten ein wenig bessere Bedingungen. Die Kinder bekamen zum Beispiel wieder ein wenig Unterricht in Lesen und Schreiben. Im erst Anfang 1945 endete das Martyrium der Kinder mit der Befreiung wirklich.
Das Schloss selbst wurde nach dem Krieg zu einem Forschungsinstitut für Elektrotechnik umgewandelt. In der Zeit des Kommunismus wurde das Gebäude vernächlässigt und verfiel. Nach der Samtenen Revolution von 1989 erwarb es die Kirche der Baptisten als Bildungseinrichtung, die es aber 2016 wieder verkauften. Seither wird es als Schulungszentrum des Educational and Cultural Center Jenerálka betrieben. Das Gebäude ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Man kann einige der neobarocken Wirtschaftsgebäude und die Frontseite sehen, vor der ein recht zugewachsener Park oder Garten liegt. Ansonsten bleiben die architektonischen Schönheiten dem Vorbeikommenden verschlossen. Allerdings hat man tatsächlich im Außenbereich der schrecklichen Ereignisse der Nazizeit gedacht,
An einem der Wirtschaftsgebäude, das früher wohl eine Gaststätte war, wurde im Juni 2012 in Gegenwart von Überlebenden und Politikern des zuständigen Rates von Prag 6 eine Gedenkplakette angebracht. Die Plakette verwendet das Motiv einer Stickerei mit dem Gesicht eines kleinen Mädchens (großes Bild oben), das aus den Sammlungen der Gedenkstätte Theresienstadt entlehnt wurde. Die Stickerei wurde von Ludmila Valčíková angefertigt, der Schwester von Josef Valčík, einem der Mitstreiter der Heydrich-Attentäter, der zusammen mit anderen in der Kirche St. Kyrill und Method (wir berichteten darüber hier) am 18. Juni 1942 beim Kampf gegen die Nazi-Schergen ums Leben kam. Das Tuch solle für ihre Nichte „Miládka“ sein. Für die Stickerei benutzte sie Stoffe und Fäden aus dem von den Nazis vernichteten Ort LIdice, von wo man sie in das Gefängnis in Theresienstadt transportiert hatte. Ludmila Valčíková wurde dort von Juni bis Oktober 1942 inhaftiert, danach ins Konzentrationslager Mauthausen verschleppt und kurz darauf im Alter von nur 19 Jahren hingerichtet. (DD)
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