Der erste Botanische Garten

Gäbe es ihn noch heute, so wäre der Botanische Garten im Stadtteil Smíchov der mit Abstand älteste in ganz Prag. Nur noch wenige Spuren von ihm kann man in einem der Parks im Stadtteil erkennen.

Denn der große neue Botanische Garten in Troja wurde ja erst 1992 eröffnet (über ihn berichteten wir hier). Er ist der größte, pflanzenreichste und meistbesuchteste Botanische Garten in Prag, aber gewiss nicht der älteste. Von den existierenden Gärten kann der 1898 eröffnete kleine alte Botanische Garten der naturwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität in Prags Neustadt (wir berichteten hier) zu Recht als der älteste seiner Art genannt werden – aber nicht der erste. Die Ehre gebührt dem in Smíchov. Der begann allerdings zunächst nicht als Botanischer Garten. Seit 1595 war das Areal im Besitz der Adelsfamilie Michna von Vacínov. Anfang des 18. Jahrhunderts erwarb es der Jesuitenorden von der Famiiie, der einen großen Barockpavillon darauf errichten ließ, der von einer großen Gartenanlage umgeben war. Der Architekt des Gebäudes war kein Geringerer als der berühmte Barockarchitekt Kilian Ignaz Dientzenhofer, über den wir u.a. schon hierhier, hier und hier berichtet haben. Die Lage war gut gewählt, denn das damalig ländliche Smíchov lag ein wenig fernab und der Garten bot eine zusätzliche Distanz, weshalb die Jesuiten es während der von Seuchen begleiteten Große Hungersnot in Böhmen in den Jahren 1770-72 als sicheren Rückzugsort nutzten. Passenderweise befand sich im Pavillon auch die Ordensapotheke, denn im Garten hatten die Jesuiten Heilkräuter gepflanzt.

Die Zeit der Jesuiten kam 1773 zu einem abrupten Ende, denn der Orden wurde in diesem Jahr von Papst Clemens XIV. auf Druck verschiedener Monarchen Europas aufgehoben und erst 1814 wieder erlaubt. Königin Maria Theresia beschloss 1775, dass das freigewordene Areal ganz im Sinne ihrer aufklärerischen Ansichten in einen wissenschaftlich betriebenen botanischen Garten umgewandelt werden sollte. Als Direktor setzte die den an der Karlsuniversität lehrenden Professor Joseph Gottfried Mikan, ein Chemiker und Botaniker. Eigentlich war er vor allem Chemiker. Aber bald schaffte er es mühelos, einen Ruf als großer Botaniker zu erwerben, unter anderem durch ein Buch, dass der Klassifizierung und Beschreibung der Pflanzen des neuen Botanischen Gartens dienen sollte und den für jedermann recht einprägsamen Titel trug: Catalogus plantarum omnium juxta systematis vegetabilium Caroli a Linné editionem novissimam in usum horti botanici Pragensis (1776). Jedenfalls machte er seine Arbeit beim Aufbau des Botanischen Gartens so gut, dass sich sogar Kaiser Franz I. es sich 1804 nicht nehmen ließ, bei einem Besuch Prags einen Abstecher hierhin zu machen.

Als Mikan 1812 in den Ruhestand ging (er starb zwei Jahre später), übernahm sein Sohn Johann Christian Mikan die Direktion des Gartens. Der war von seinem Vater zum Top-Botaniker ausgebildet worden und vergrößerte die Pflanzenkollektion auch bei einigen Sammelexpeditionen, etwa der Österreichischen Brasilien-Expedition von 1817/18. Die brasilianischen Pflanzen beschrieb ausführlich in seinem 4bändigen Buch Delectus Florae et Faunae Brasiliensis (1820-1825). Er ergänzte den Garten durch neue Gewächshäuser. 1831 folgte ihm der Mediziner und Botaniker Vincenz Franz Kosteletzky, der vor allem die Gewächshäuser verbesserte, um Pflanzen unterschiedlicher Klimazonen gerecht zu werden. In neuen Häusern waren nun rund 13.000 Pflanzenarten zu bewundern – nicht schlecht! Aber spätestens beim katastrophalen Hochwasser von 1845, das in seiner Wucht erst wieder 2002 übertroffen wurde, war Kosteletzky klar, dass der Standort des Gartens direkt am damals noch nicht befestigten Ufers der Moldau, dort, wo heute die Jirásek-Brücke (Jiráskův most) von der Neustadt her auf das Smíchover Ufer trifft, eher suboptimal war. Schon unter Mikan d.Ä. hatte die Überschwemmung schon 1785 verheerende Zerstörungen angerichtet. Üble Überflutungen waren insgesamt schlichtweg keine Seltenheit. Der Schaden war jedesmal enorm.

Nach dem Hochwasser von 1890, das sogar die Karlsbrücke schwerstenst beschädigte, war Schluss. Der Garten in Smíchov wurde geschlossen. Die Stadtväter beschlossen, einen neuen Standort zu suchen. So entstand der heute noch bestehende alte Botanische Garten, der seine Pforten 1898 öffnete, und deutlich höher gelegen war. Das Areal des Smíchover Botanischen Gartens durchlief nun eine stürmische Entwicklung bzw. Schrumpfung. Mit der Ansiedlung der Ringhoffer Werke (Maschinen- und Eisenbahnbau; wir berichteten hier) im Jahr 1852 setzte in Smíchov eine rapide Industrialisierung und Urbanisierung ein. Große Wohnblockprojekte sorgten dafür, dass das Areal an allen Seiten die größten Teile verloren. Der Uferdamm, das heutige Janáčkovo nábřeží (Janáček Damm), der auch als Verkehrsader angelegt war, schnitt den Garten von der Moldau ab. Die Auffahrt zur Jirásek-Brücke (erbaut 1933) schnitt den nördlichen Teil endgültig ab und verkleinerte die Anlage noch mehr.

Immerhin hatte man schon 1929 begonnen, aus dem verbliebenen Rest eine Gartenanlage oder Park zu gestalten, die ein wenig an die Tatsache erinnern sollte, dass hier einmal die Botanik den Vorrang genoss. Der neue Garten wurde Dienzenhoferovy sady (Dientzenhofer Garten), um an die architektonische Leistung dieses Barockbaumeisters zu gemahnen. Das hielt aber die Stadtväter nicht davon ab, die beiden kulturhistorisch bedeutsamen Dientzenhofer-Gebäude aus der Jesuitenzeit – Pavillon und Apotheke – schon 1930 abreißen zu lassen. Obwohl von starkem Verkehr umrauscht, bietet der Dientzenhofer Garten, der nurmehr ein vages Fragment des alten Botanischen Gartens ist, durchaus Reizvolles. Er zeichnet sich immer noch durch großen Pflanzenreichtum aus, etwa durch Oleander oder Myrten. Die imposanteste Erinnerung, ja geradezu das Symbol des Botanischen Gartens ist aber zweifellos die riesige Stieleiche (Quercus robur), die möglicherweise bis zu 160 Jahre alt ist, wie Experten schätzen – also noch unter Kosteletzky gepflanzt wurde. Sie ist über 20 hoch, hat einen Stammumfang von 378 cm (Stand 2013) und verfügt über eine ungewöhnlich große Kronenbreite von über 23 Meter. Seit 2005 ist sie als ein nationales Naturdenkmal streng geschützt. Sie verdeckt auch ein wenig den von realsozialistischer und brutalistischer Ästhetik geprägten Brunnen aus Stahl und Beton, der hier wohl 1977 hingebaut wurde (Bild oberhalb rechts). Überhaupt: Der enorme Bestand alter und großer Bäume schirmt den Spaziergänger, der sich hierhin verirrt, von Stadtlärm ab. Ein wenig kann man die Ruhe erahnen, die hier geherrscht haben muss, als sich hier ein ein dem wissenschaftlichen Studium gewidmeter Botanischer Garten befand. (DD)

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