- Hans Weber
- November 1, 2024
Der Geldtempel von Vršovice
Wer in diese Halle eintritt, der wird eher an das Wort „Geldtempel“ denken, und nicht an ein so profanes Wort wie „Bank“. Prachtvoller und reicher ausgestattet geht es kaum noch.
Dazu muss man wissen, dass die Sparkasse (Spořitelna) des Stadtteils Vršovice (Prag 10) in der Zeit ihres Baus ja auch keine Stadtteil-Filiale der Prager Sparkasse (über die wir schon hier berichteten). Vršovice gehörte ja damals noch nicht zu Prag. Es hatte im Jahr 1902 seine eigenen Stadtrechte bekommen und wurde erst 1922 als Teil von Prag eingemeindet. Als das Gebäude am heutigen Vršovické náměstí 67/8 errichtet wurde, schrieb man das Jahr 1911/12 und war folglich noch unabhängig. Und der erste Bürgermeister der Stadt, Josef Herold, hatte ambitionierte Pläne für seine Stadt. Auch redete man damals nicht von einer „Sparkasse“, sondern der Besitzer war die Kreditgenossenschaft Vršovice (Vršovická záložna). Die war schon 1888 auf Betreiben Herolds, der damals Landtagsabgeordneter war, gegründet worden. Das Gründungsjahr sieht man noch als Steinmosaik im Boden vor dem Eingang.
Die große Zeit der Blüte kam jedoch erst 1909. Der Stadtrat von beschloss in diesem Jahr, der Kreditgenossenschaft Garantien für ein großes Darlehen zu geben, was das Wachstum der Bank und die Errichtung des Gebäudes möglich machte. Im Gegenzug bekam die Stadt über kostenlose Darlehen die Gelegenheit für umfangreiche Landkäufe. Der erworbene Grund und Boden wurde parzelliert und es entstanden große und reich ausgestattete Miets- und Wohnhäuser, die zum Teil sieben Stockwerke hoch waren (ein Beispiel präsentierten wir hier) Das bisher eher dörfliche Vršovice bekam dadurch einen dezidiert städtischen Charakter. Die Kreditgenossenschaft finanzierte aus Dankbarkeit gegenüber dem Rat dabei öffentliche Baumaßnahmen größtenteils mit kostenlosen Krediten, was eine eher unkonventionelle Vorgehensweise war. Der Dank der Garantien des Rates initierte Boom der Kreditgenossenschaft, die von der nunmehr regen allgemeinen Bautätigkeit profitierte, hielt noch lange an. Noch im Jahr 1920 verfügte sie über Einlagen im Wert von fast 17 Millionen Kronen, Kredite im Wert von 8 Millionen Kronen und einen umfangreichen Grundbesitz. Die nominell genossenschaftliche Rechtsform suggeriert, dass hier Kleinsparer als „Genossen“ involviert waren. Tatsächlich waren die Teilhaber hauptsächlich die (meist recht wohlhabenden) Ratsherren und auch die ausführenden Bauunternehmen waren wohl politisch gut angebunden.
Heutige Kartellrechtler würden vielleicht mit einigem Grund diese enge „Vetternwirtschaft“ mit kritischem Blick betrachten. Bei der Gedenktafel für die Eröffnung des Gebäudes fällt bereits auf, dass der Name „Herold“ mehrfach vorkommt. Otokar Herold, der – wie man liest – der Kreditgenossenschaft agierte, war zum Beispiel der Sohn von Josef Herold und folgte ihm später als Bürgermeister nach. Dass der als Vizepräsident Bedřich Herold aufgeführte Vizepräsident ein Verwandter des Bürgermeisters war, ist wohl keine abwegige Vermutung. Dass auf der Seite gegenüber auch noch Josef Herold als Gründer und Lokalpatriot geehrt wird, erstaunt da wenig (Bild oberhalb rechts). Aber irgendwie verkürzte das Ganze die Dienstwege erheblich und trug tatsächlich zur Modernisierung und zum Wachstum der Stadt bei. Auch nach der Eingemeindung zu Prag 1922 blieb die Kreditgenossenschaft selbständig, obwohl Vršovice es nicht mehr war. Erst die Kommunisten beendeten das so erfolgreiche Eigenleben der Kreditgenossenschaft, indem sie sie 1952 in das zentrale Netzwerk der Sparkassen eingliederten. Aus dem lokalen Institut wurde ein Teil des nationalen Sparkassensystems. Seit dem Jahr 2000 ist das ganze sogar internationalisiert, denn der Eigner Tschechische Sparkasse (Česká spořitelna) wurde damals von der Ersten Bank Österreichs übernommen. Der Name Česká spořitelna blieb hierzulande jedoch nominell erhalten und schmückt daher heute das Gebäude der einstigen Kreditgenossenschaft.
Von deren Blütezeit zeugt auch das Gebäude der Kreditgenossenschaft im Zentrum von Vršovice. Für dessen Planung und künstlerische Ausgestaltung wurden höchste Maßstäbe angelegt, wobei Geld keine Rolle spielte. Man gewann für die Konzeption den renommierten Architekten Antonin Balšánek (wir erwähnten ihn bereits u.a. hier, hier und hier), der dabei einen anderen Großmeister des Prager Jugendstils, Osvald Polívka (frühere Beiträge u.a. hier, hier, hier, hier und hier) einbezog. Was dabei herauskam, war Jugendstil vom Feinsten.
Man siehe nur den opulent gestalteten Eingang mit seinem hübschen Glasdekor, den wir im Bild rechts bewundern können. Dabei handelt es sich aber nur um einen Nebeneingang! Für die künstlerischen Gestaltung zeichnete sich eine Unzahl von damals ausgesprochen prominenten Malern, Stukkateuren und Bildhauern verantwortlich, die sich die Kreditgenossenschaft offenkundig leisten konnte. Die skulpturale Ausstattung der Fassade ist zum Beispiel das Werk des Bildhauers und Medailleurs Josef Pekárek, der auch drinnen im Eingangsbereich die beiden oben erwähnten Erinnerungstafeln für die Gründung der Genossenschaft und für Bürgermeister Herold gestaltete.
Die Fassadengestaltung wirkt zwar imposant, aber nicht überladen. Die ornamentalen Motive überwiegen gegenüber den figuralen. Ihre überwältogende Wirkung wird allerdings durch die vor dem Gebäude auf hohen Säulen thronenden beiden Falken – ein Werk des Bildhauers Josef Jiří Hlava. Und darüber befinden sich auf dem Dachsims zwei Statuen des Bildhauers Ladislav Šaloun (wir erwähnten ihn u.a. bereits hier, hier, hier und hier) der wohl bekannteste der an diesem Gebäude mitwirkenden Skulptoren, dessen Hauptwerk das gigantische Denkmal für Jan Hus auf dem Altstädter Ring ist. Im Bild links sieht man eine davon, eine als weibliche Figur dargestellte Allegorie von Glück und Wohlbefinden.
Šalouns Allegorien umrahmen dabei übrigens das Wappen des gerade zur Stadt gewordenen Vršovice, das am 24. November 1902 von Kaiser Franz Joseph offiziell verliehen wurde, worüber man ganz besonders mit Stolz erfüllt war. Denn ohne eine kaiserliche Genehmigung (die Teil komplizierter bürokratischer Prozesse war) gab es im Habsburgerreich keine gültigen Wappen, die man führen durfte. Vršovice war ja bereits am 2. März des Jahres zur Stadt erhoben worden, musste aber doch noch etliche Monate auf das genehmigte Wappen warten.
Tritt man in das Gebäude ein, das dann erst 1913 eröffnet wurde und seinen Betrieb aufnahm, so beeindruckt zunächst die reich ausgestattete Eingangshalle mit Treppe. Der Weg zur Haupthalle wirkt für den Betrachter geradezu wie der Aufstieg in den monetären Olymp. Die gestaffelten und reich in floralem Jugendstil-Dekor gestalteten Glasfenster verleihen dem Ganzen eine geradezu erhebende Wirkung und schaffen interessante Lichteffekte. Man ist also auf die eigentliche Halle gut vorbereitet.
Kommen wir nun in die Haupthalle, die wir im großen Bild oben bewundern können, und die das Herzstück des Gebäudes ist. Der Blick fällt sofort auf das monumentale Gemälde, das die Rückseite abschließt. Das von dem Maler, Bildhauer und Schriftsteller Jakub Obrovský gemalte Bild zeigt eine Allegorie auch Wohlstand und Gewerbefleiß – Themen, die der Kreditgenossenschaft naturgemäß nahelagen. Obrovský wurde ein Jahr später (d.h. 1913) Mitglied der Böhmischen Akademie der Wissenschaften und Kunst. Vor dem Bild steht die Statue einer fleißigen Näherin mit Spinnrad, die der international bekannte Bildhauer Franta (František) Úprka schuf, ein Schüler des bedeutenden Bildhauers Bohuslav Schnirch (wir berichteten über ihn u.a. hier, hier, hier hier, hier und hier).
Verstärkt wird die optische Wirkung der Kunstwerke noch durch das tunnelförmige Kuppelgewölbe, das aus buntem und floral ornamentiertem Glas besteht. Es sogar für Helligkeit und und einen schönen Farbeffekt. Und das Ganze lässt den Raum, der bereits sowieso recht beeindruckende Ausmaße hat, noch einmal größer erscheinen. Wie überhaupt die Halle an sich ausgesprochen kunstvoll ausgestattet ist. Gerahmt wird das Gewölbe von spitzbögigen Arkaden, die mit unter anderem mit Stuck-Medaillons verziert sind, die der Bildhauer Antonín Štrunc (wir erwähnten ihn u.a. schon hier) gestaltet hat. Sie zeigen allegorische Darstellungen von weiblichen Figuren und Pflanzenmotiven, die die Jahreszeiten und die damit verbundene landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit symbolisieren solle,
Auf dem Weg hinaus sollte man den Blick im Eingangsbereich kurz nach rechts wenden, um durch eine Glastür (für den Normalkunden also unzugänglich) den Aufgang in den ersten Stock zu sehen, der mit entzückenden Putten aus bunter Keramik beschmückt ist. Man ahnt, dass die Pracht des Gebäudes nicht bei der öffentlichen Haupthalle endet, sondern dass der diskret empfangene Großkunde hier damals schon im richtigen Ambiente sich wohlfühlen konnte. Früher wie heute verfehlte dieses ungewöhnliche Gebäude, dass man in einem solchen Stadtteil nicht erwartet, nie die Wirkung auf den Besucher. (DD)
Source
Recent posts
See AllPrague Forum Membership
Join us
Be part of building bridges and channels to engage all the international key voices and decision makers living in the Czech Republic.
Become a member