Der Müller und der Wassermann

Der Juni ist die perfekte Zeit, um dem Alltag zu entfliehen und sich in der Natur zu erholen. Die Tage sind lang, die Temperaturen angenehm und die Landschaften erblühen in voller Pracht. Das Altvatergebirge ist im Juni ein echter Geheimtipp für Wanderer. Grüne Wälder, tosende Wasserfälle und schroffe Gipfel bieten ein abwechslungsreiches Terrain für abenteuerlustige Wanderer. Die Region hat aber nicht nur eine herrliche Landschaft, sie bietet auch viele schöne Sagen. Eine davon passt gerade zu der Gegend bei Karlsbrunn und ins Oppatal.

Wer von den Altvaterhöhen hinabsteigt, kommt ins liebliche Wiesental der Oppa. Aber hier treibt der Wassermann an den Ufern sein Unwesen, und es war auch schon so schlimm gewesen, dass die Leute in der Umgegend es gar nicht mehr ertragen konnten. So etwa ging es den Müllersleuten von Beneschau, die abends immer ins Dorf schlafen gehen mussten, weil der Wassermann allzu sehr in der Mühle rumorte.

Ein fremder Müllersbursche kam da wie von ungefähr aus den Bergen und versprach dem Meister ohne Umschweife, ihm aus seiner argen Not zu helfen. Die Nacht war kaum hereingebrochen und der Fremde hatte eben seine Geige aus dem Ledersack geholt, um sich ein Liedlein zur guten Ruh zu spielen, da flog heftig die Tür auf, und herein trat der Wassermann, ganz grün gekleidet wie ein Jäger, eine kecke hohe Feder am Hut, die wasserhellen Augen herausfordernd auf den Gesellen gerichtet. Doch der ließ sich nicht stören, und je mehr der Grünrock dem weichen Klang der Geige lauschte, um so versöhnlicher wurde sein Blick. „Lehr mich bitte das Geigenspiel!“

„Gern, aber zuvor muss ich dir die Fingernägel beschneiden, damit du nicht die Geigensaiten zerreißt. Komm zur Hobelbank.“

Willig folgte der Wassermann und ließ sich die Hände in den Schraubstock spannen. „Was nun?“ „Das wirst du gleich sehen“, antwortete seelenruhig der Gesell, griff zur Raspel, und – ritsch, ratsch – zog er sie über die Finger, dass sie bluteten und dem Störenfried Hören und Sehen verging. „Hör auf! Hör auf!“, brüllte der festgeklemmte Wassermann. „Gleich, nur muss ich noch den Fiedelbogen streichen.“ Nahm ihn und drosch aus Leibeskräften zu.

Das gottesjämmerliche Geschrei war weithin im Dorf zu hören, so dass der Müller eilends hinzu kam, seinen Lederriemen von der Hose löste und all seinen seit Langem aufgespeicherten Zorn auf den grünen Buckel entlud, dass dieser bald ins Bläuliche schimmerte. Der Wassermann wand sich heulend hin und her, bis es ihm schließlich gelang, sich loszureißen und mit einem Fluche zu entwischen. Nun war in der Mühle Ruhe, und Meister und Geselle konnten sich zum Schlaf niederlegen.

Am Morgen, als der Müller zeitig aufstand, um sich bei dem hilfreichen Fremdling mit einem guten Frühstück zu bedanken, war dieser bereits über alle Berge. „Sicher war es der gute Geist Altvater selbst, der den Wassermann verscheucht hat“, meinte die Müllerin, als sie bemerkte, dass das Bett gar nicht angerührt worden war.

Der Müller hatte nun Sorge, der Wasserkobold könne vielleicht wiederkommen und sich rächen. Und er kam auch. Als er aber in der Hand des Meisters die Raspel gewahrte, die er in so unangenehmer Erinnerung hatte, zog er es vor, kehrt zu machen und auf Nimmerwiedersehen mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Oppa zu tauchen. Der Müller aber kaufte sich eine Geige, denn ihm war jetzt ganz der Sinn der Redensart aufgegangen, die besagt – jemanden eins aufspielen.

Dem Wassermann freilich war die Liebe zur Musik vergangen. Wahrscheinlich ist er von der Oppa zur Oder abgewandert, wo Altvaters Macht ihr Ende hat und die Männer Hosenträger statt Riemen zu tragen pflegen. Denn der Ledergurt brannte noch auf seinem blaugrünen Buckel.

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