Die künftige Germanistik stellt sich vor

Auf der PRAGESTT stellen jährlich Studentinnen und Studenten sowie Doktoranden aus aller Welt ihre Bachelor- und Masterarbeiten, sowie Dissertationsprojekte vor. In diesem Jahr reichte das von queerer Literatur bis zu Identitätsfragen bei Parzival.

Vom 24. bis zum 25. März fand an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität die zwölfte „Prager germanistische Studierendentagung“ (PRAGESTT) statt. Sie dient dem internationalen Austausch junger Germanisten und der Förderung ihrer Forschungsprojekte. Damit bietet sie in einem doppelten Sinne das, was Prof. Manfred Weinberg von der Karls-Universität in seinem Einführungsvortrag als „Heutige Ansichten einer künftigen Germanistik“ bezeichnete.

Die studentisch organisierte Konferenz ist inzwischen eine echte Institution in der Prager Germanistik. Im Jahr 2011 organisierten Studentinnen und Studenten der Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag die erste Tagung dieser Art. Seitdem sei die Organisation fest in studentischer Hand, erklärt Lukaš Felbr, einer der Hauptorganisatoren der diesjährigen PRAGESTT. Finanzielle Unterstützung gebe es wenig, doch genug, um die Konferenz ordentlich durchzuführen und ein wenig Verpflegung für die Teilnehmer bereitzustellen, erklärte der Promotionsstudent. Die wichtigsten Geldgeber seien die Philosophische Fakultät und die Deutsche Botschaft in Prag.

Heutige Ansichten einer künftigen Germanistik

Für den Einführungsvortrag konnten die Studierenden Prof. Manfred Weinberg gewinnen, der seit 2010 an der Karls-Universität lehrt. Er trug, wie bereits erwähnt, zum Thema: „Heutige Ansichten einer künftigen Germanistik“ vor. Einen Vortrag mit diesem Titel hielt Weinberg bei der ersten PRAGESTT im Jahr 2011 schon einmal. Über die Jahre hätten sich einige seiner Ansichten jedoch geändert, so der Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft. Insbesondere seine Auffassung, dass Literaturgeschichte zwangsläufig an Nationalgeschichte geknüpft werden müsse, habe er revidiert. Seine Erfahrung beim Studium der deutschsprachigen Literatur Böhmens habe ihn darauf gestoßen, dass der begriffliche Rahmen der „Region“ für eine zeitgemäße Literaturgeschichtsschreibung geeigneter sei. Er löse das Dilemma einer Literaturgeschichte, die zwar rechtens der Überzeugung sei, dass die Grenzen literarischer Strömungen nicht mit Staats- und Epochengrenzen übereinstimmen müssen, jedoch ohne klar bestimmte geographische oder zeitliche Grenzen ihres Sachgebiets an inhaltlicher Schärfe verliere.

Prof. Manfred Weinberg während seines Eröffnungsvortrages. Foto: Manuel Rommel

Eine inhaltliche Aufweichung der Germanistik beobachtete Weinberg auch und insbesondere anhand der Themenauswahl zeitgenössischer Vorträge auf verschiedenen renommierten Konferenzen. Diese seien häufig „lächerlich speziell“, wie zum Beispiel Vorträge zu literarischer Entomologie [Lehre von den Insekten, Anm. d. Red.] zeigten. Stattdessen forderte Weinberg eine Besinnung auf die Kernkompetenzen der Germanistik, insbesondere eine Stärkung der Literaturtheorie. Angesichts knapper finanzieller Mittel, um die es insbesondere in der Tschechischen Republik schlecht bestellt sei, müsse sich die Germanistik auf ihre gesellschaftliche Aufgabe besinnen und diese erfolgreich vermitteln. Auf Nachfrage antwortete Weinberg, dass diese gesellschaftliche Aufgabe insbesondere in der Bearbeitung des Selbstverständnisses der Gesellschaft liege, denn insbesondere eine Debatte wie die um den Begriff regionaler Literatur zeige, dass man im literaturwissenschaftlichen Diskurs ein Denken vorbereiten könne, das zum Beispiel die Region Böhmen als Konstrukt verstehe, das von zahlreichen ethnischen und kulturellen Einflüssen geprägt sei. Sie könne deshalb nicht von rein nationalen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Dieser Perspektivwechsel könne auch das gesellschaftliche und politische Bewusstsein positiv beeinflussen.

Nach dem Vortrag von Weinberg begannen die Studentinnen und Studenten sowie Doktoranden ihre Vorträge. In zwölf Sektionen stellten sie ihre Projekte vor. Zu den Sektionstiteln zählten unter anderem: „Diskurs und Kommunikation“, „Selbst, Seele und Identität“ und „Wer aus der Geschichte nicht lernt…“. Ein Vortrag dauerte je 20 Minuten, danach gab es jeweils zehn Minuten Zeit für die Diskussion. Zur Debatte standen unter anderem der österreichische (Anti-)Heimatroman, die Literaturtheorie Roland Barthes‘, Identitätskonstruktion im Parzival, queere Protagonisten mit Migrationshintergrund in der zeitgenössischen Literatur und vieles mehr.

Ausführliches Rahmenprogramm

Ein Vortrag des DAAD zu Auslandsstipendien, insbesondere für jene, die in Deutschland einen Studien- oder Forschungsaufenthalt absolvieren möchten, begleitete die Tagung. Zur abendlichen Auflockerung des Programms boten die Organisatoren der Tagung am Freitag einen literarischen Escape-Room an, in dem die Spieler die Gesetze einer verlorengegangenen Sprache entschlüsseln mussten und dabei etwas darüber lernen konnten, wie Sprache unser Verständnis der Welt (ver-)formt. Am Samstagabend führte Frau Petra Liebl die Tagungsteilnehmer auf einem literarischen Spaziergang durch die Prager Altstadt und brachte damit die zwölfte PRAGESTT zu einem geselligen Abschluss.

Mehr Fotos von der Tagung finden Sie auf der Facebook-Seite von PRAGESTT: https://www.facebook.com/pragestt

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