Die Mär von der Selbstbestimmung

Der Blutzoll der Sudetendeutschen war hoch: 54 Männer, Frauen und Kinder starben im tschechischen Kugelhagel. Betroffen waren die Orte Kaaden, Aussig, Eger, Karlsbad, Mies, Arnau und Sternberg. Die Opfer von damals verdienen es, dass man ihrer durch Teilnahme an den Märzfeiern gedenkt.

Der 4. März 1919 ist Teil der sudetendeutschen Identität und nimmt im kollektiven Gedächt­nis der Sudetendeutschen einen breiten Raum ein, steht dieses Datum doch für staatliche Ge­walt, Mord, Missachtung des Selbstbestimmungsrechts und nationale Unterdrückung. Der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson hatte in seinem 14-Punkteprogramm eine Neuordnung Europas auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker vorgestellt. Mehr als 3 Millionen Sudetendeutsche beriefen sich auf dieses Recht, ebenso beanspruchte die im November 1918 gegründete Republik Deutsch-Österreich die mehrheitlich deutsch besiedelten Gebiete Böhmens und Mährens. In Saint Germain sprach die Entente das Selbst­bestimmungsrecht aber den Tschechen und Slowaken zu. Bereits während des Kriegs war Tomáš G. Masaryk und Edvard Beneš die Souveränität zugesagt worden.

Am 4. März 1919 wurden daher landesweit gleichzeitig friedliche Demonstrationen abgehalten. Es war die So­zialdemokratie unter Josef Seliger, die wegen einer drohenden Geldentwertung dazu aufgeru­fen hatte. Außerdem konstituierte sich an diesem Dienstag in Wien der Nationalrat der Re­publik Deutsch-Österreich. Dem neuen Parlament gehörten auch 24 Vertreter der Sudeten­deutschen an, die noch 1911 in den Reichsrat entsandt worden waren. Jetzt wurden sie jedoch nicht mehr zur Wahl des Nationalrats zugelassen. Das Regime in Prag hatte das zu verhindern gewusst! Getrieben von wirtschaftlichen Ängsten und der drohenden Abspaltung vom öster­reichischen Mutterland folgten Massen von Sudetendeutschen den Aufrufen. Zu den Schüs­sen auf die Demonstranten kam es, weil das tschechische Militär auf einen existenzbedrohen­den Volksaufstand vorbereitet wurde und überreagierte. Zu einem ernsthaften Zwischenfall kam es nur in Sternberg. In Kaaden war der Auslöser eine Rangelei um das Hissen einer Flag­ge. Überall sonst fehlten solche Vorfälle. Aber auch in den beiden kritischen Fällen war der Gebrauch scharfer Munition unangemessen. Der Blutzoll der Sudetendeutschen war hoch: 54 Männer, Frauen und Kinder starben im tschechischen Kugelhagel. Betroffen waren die Orte Kaaden, Aussig, Eger, Karlsbad, Mies, Arnau und Sternberg. Die Opfer von damals verdienen es, dass man ihrer durch Teilnahme an den Märzfeiern gedenkt.

 

Dr. Peter Wassertheurer

(aus „Witikobrief“, Feber 2023)

Coolidge zum Massaker des 4. März 1919

Calvin Coolidge (1872-1933), 1919 Berater des US-Präsidenten Wilson und später, von 1923 – 1929 selbst US­-Präsident (der 30.), äußerte sich am 10. März 1919 wie folgt:

„Heute herrscht zwischen Deutschböhmen und Tschechen eine tiefe Feindschaft, und es gibt keinen Grund zu erwarten, dass diese Feindschaft in naher Zukunft überwunden wird. Das Blut, das am 4. März geflossen ist, als tschechische Soldaten in vielen Städten in die deutsche Menge schossen, wurde in einer Weise vergossen, dass es kaum zu verzeihen ist. Gab es im November letzten Jahres in deutschen Kreisen vielleicht noch eine gewisse Bereitschaft, die politische Zugehörigkeit zu den Tschechen aus wirtschaftlichen Gründen aufrechtzuerhalten, so ist sie heute praktisch verschwunden …”.

Zu den Ansprüchen der Tschechen auf das Sudetenland äußerte sich Coolidge am 10.März 1919 wie folgt. „Wenn den Böhmen das gesamte von ihnen beanspruchte Gebiet zugestanden würde, wäre das nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich für die Zukunft des neuen Staates und vielleicht sogar unglücklich.”

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