Die Sonne scheint seit 1394

Über dem Eingang dieses fünfstöckigen Wohn- und Mietshaus in der Gorazdova 333/18 scheint immer die Sonne. Unerschütterlich und fest in Stuck geformt. Und das tat sie im übertragenen Sinne schon als das Haus in der heutigen Form noch nicht existierte.

Nicht umsonst entdeckt man weiter oben den ebenfalls in einer Stuck-Kartusche gerahmten Namenszug „U Slunce“, was soviel heißt wie „Zur Sonne“. Das hat etwas mit Geschichtsbewusstsein zu tun. Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts wurden große Teile der mittelalterlichen Stadt in Prag abgerissen und durch moderne Wohnhäuser ersetzt. Dabei hatte man oft schlechtes Gewissen, weil damals gerade unter Tschechen ein geschichtsbewusster Nationalismus im Schwange war. Deshalb wurde zum Beispiel 1900 der erste Prager Denkmalschutzverein gegründet, der Klub Za starou Prahu (Verein für das Alte Prag). Da aber aus Gründen des Bevölkerungswachstums und der sanitären Verhältnisse Stadterneuerungen nötig und angebracht waren, versuchte man bisweilen, bei neuen Häusern die Erinnerungen an die alten wachzuhalten (Beispiele zeigten wir bereits hier und hier).

Als im Jahre 1905 der Architekt Antonín Souček und der Bauunternehmer Josef Hercík dieses Haus hier erbauten, wussten sie um die Geschichte des für den Bau abgerissenen Hauses. Als das frühere Haus im Jahre 1394 erstmals erwähnt wurde, hieß es bereits U Slunce. Damals gehörte es dem Rektor der Altstädter Schule bei der St.-Nikolaus-Kirche (Kostel svatého Mikuláše) am Staroměstské náměstí. Der Abriss und Neubau im neobarocken Stil war Teil einer Städteplanung, bei der das umliegende Viertel im Süden der Neustadt „gentrifiziert“ wurde, wie man das wohl heute nennt (wir berichteten bereits hier und hier). Die Gegend in der Nähe des Moldauufers, in der sich im Mittelalter der Rektor niedergelassen hatte, war früher das Viertel der Fischer und Flößer, und daher eher recht arm. Der Bau der Uferpromenade (fortan konnten richtige Dampfer passieren, wo früher nur armselige Flöße trieben) sorgte für sozialen Wandel und es entstanden durchaus luxuriöse und große Wohnhäuser wie das hier beschriebene. Und dabei brachte man eben eine Art Hausschild an, das an das ursprüngliche Haus erinnerte.

Die heutige Gorazdova, wo es steht, hieß im Jahre 1905 noch Podskalská. Sie wurde erst zwei Jahre nach dem Krieg nach dem tschechisch-orthodoxen Bischof Gorazd benannt, einem von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfer. Das Haus war bei 1952 in Privatbesitz bis es von den Kommunisten enteignet wurde. Danach zog hier auf dem zweiten Stockwerk für eine Weile die Geschäftstelle der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa). Die zog aber im März 1959 wieder aus, um sich größere Räumlichkeiten zu suchen. Die Büroräume wurde darob wieder in Apartments verwandelt. Nach dem Fall des Kommunismus wurde das Gebäude in den frühen 1990ern wieder privatisiert und immer wieder renoviert – zuletzt 2016/17 durch den Einbau neuer Lifte und der Erneuerung von Wasserrohren und Stromleitungen. Man findet dort heute Apartments des gehobenen Preissegmentes, wo es sich gut leben lässt. Und dazu passt es ja, wenn stets die Sonne scheint. (DD)

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