- Hans Weber
- November 1, 2024
Dorfkirche und Glockenturm
Von der Autobahn aus fällt das Ensemble von Glockenturm und Kirche jedesmal auf, wenn man von Prag Richtung Norden fährt. Irgendwann wird man doch zu neugierig. Also befindet man sich irgendwann auf dem schönen Hügelgebiet im Ortsteil Vepřek von Nová Ves u Nelahozevsi im Kreis Mělník rund 25 Kilometer nördlich von Prag. Und man steht wirklich auf altehrwürdigem historischen Boden!
Eigentlich dürfte die Nähe der durchaus vielbefahrenen Autobahn D8 (E55) wegen des Lärms nicht für alle Bewohner als Glücksfall wahrgenommen werden. Für Historiker und Archäologen war es aber ein ebensolcher. Denn erst während des Baus der Autobahn legte man Kulturrelikte frei, die darauf hinwiesen, dass hier auf dem Gebiet des pittoresken kleinen Dörfchens (Bild links) schon in der Steinzeit hier Menschen siedelten. Die Siedlungsgeschichte blieb seither ungebrochen. Auch keltische Funde aus der Bronzezeit (Knovízer Kultur) grub man bei der Gelegenheit in Vepřek aus. Auch nach der Fertigstellung der Autobahn kamen immer wieder Archäologen hierher, um dann – wie etwa in den Jahren 1992 bis 1995 – in Sachen böhmischer Frühgeschichte reich fündig zu werden.
Aber richtig in die Geschichte trat Vepřek erst 1346 ein, also in der Regierungszeit von Karl IV., als Böhmen seinen Aufschwung nahm. Da wurde der Ort erstmals in einem Register schriftlich erwähnt. Und nur unwesentlich später, im Jahre 1352, erbaute man hier die Kirche Mariä Geburt (Kostel Narození Panny Marie), unter der Schutzherrschaft (Patrozinium) der Gottesmutter geweiht wurde. Zieht man vor seinem geistigen Auge alle moderneren Gebäude aus dem Ortsbild von Vepřek weg, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass auch ohne die späteren Anbauten die Kirche recht stattlich und groß war für eine so kleine Gemeinde. Ursprünglich handelte es sich nur um einen fast quadratischen Bau, der etwa den mittleren Teil des heutigen Gebäudes (Bild rechts) ausmachte.
Primär diente die Kirche natürlich als örtliche Pfarrkirche für die anscheindend ebenfalls im Jahr 1352 ins Leben gerufene Pfarrgemeinde.
Aber es gab offentsichtlich noch einen „Nebenzweck“ für das Gebäude. Besonders auffallend sind nämlich bei dem ursprünglichen Bauteil die weit oben liegenden Fenster und die dicken Mauern mit ihren Stützstreben. Das sieht recht solide aus und sollte es wohl auch sein. Obwohl unter Karls Herrschaft in Böhmen recht große Rechtssicherheit herrschte, war man in diesen Zeiten trotzdem nie sicher vor Überfällen. Die Kirche wurde wohl möglicherweise als eine sogenannte Wehrkirche konzipiert, in der die Anwohner bei Gefahr Zuflucht suchten und sich verteidigen konnten – bis die Eindringlinge die Geduld verloren und abzogen oder Hilfe von außen kam. Diese Art von Kirchen nahm vor allem im 14. Jahrhundert erstmals einen größeren Aufschwung und verbreitet sich zunächst hauptsächlich in Süddeutschland und Böhmen.
In dieser Form blieb die Kirche bis zum 17. Jahrhundert bestehen. Der Dreissigjährige Krieg hinterließ auch in Vepřek seine Spuren. Nach der Niederlage Böhmens gegen die Habsburger in der Schlacht am Weißen Berg (1620) hatte die Kirche lange Zeit keinen eigenen Pfarrer, sondern wurde von einer anderen Gemeinde „mitbedient“. Ein eigener Pfarrer wurde erst 1737 hier wieder eingesetzt.
Das heißt aber nicht, dass sich in Sachen Erneuerung der Kirche sich in dieser Zeit nichts tat. In den Jahren 1684 bis 1697 wurde die Kirche grundlegend im Stil des Barock umgebaut und verändert. Das Schiff wurde durch eine Apsis und einen Vorbau deutlich verlängert. Die ursprünglich hochgotischen Fenster des alten Gebäudeteils wurden recht originell barockisiert, wie man im Bild rechts sehen kann. Die Kirche erhielt in dieser Zeit im wesentlichen damit die äußere Form, die sie auch heute noch hat.
Trotzdem gab es in der Folge immer wieder kleinere Erneuerungen. 1752 wurden vor allem im Innenraum weitere Barockisierungen vorgenommen. Kleinere Umbauten und Reparaturen gab es in den Jahren 1892, 1902 und 1907, die sich aber nicht übermäßig signifikant auf das Außenbild auswirkten. In den Zeiten des Kommunismus litt die Kirche, wie in dieser traurigen Epoche üblich, ein wenig an Vernachlässigung und auch heute denkt man, ein paar Eimer Farbe könnten gut tun. Aber insgesamt steht es um die Kirche, die von einem hübschen alten Kirchhof mit alten Gräbern umgeben ist, gut. Und irgendwann wurde oben auch ein kleiner Turm, Dachreiter genannt, angebracht, denn die Kirche hat keinen eigenen und integrierten Kirchturm.
Den brauchte sie auch eigentlich nicht. Denn die „Skyline“ von Vepřek prägt nicht nur die Kirche Mariäa Geburt, sondern vor allem der separate Glockenturm (zvonice), der die eigentliche Sehenswürdigkeit des Ortes ist (siehe auch großes Bild oben). Diese Art von freistehendem Campanile ist typisch für die Region nördlich von Prag um Slaný und Mělník, und der von Vepřek gehört zu den schönsten Exemplaren im regionstypischen Stil. Erbaut wurde er im Jahre 1456. Damals gehörte das Dorf dem Domkapitel des Prager Veitsdoms. Durch den Bau des Turmes wurde die Kirche, die sich nur wenige dutzend Meter entfernt befindet, in die Lage versetzt, die Menschen der Umgebung mit hinreichender Phonstärke auf anstehende Gottesdienste aufmerksam zu machen. Im 15. und 16. Jahrhundert war der Glockenturm mit zwei Glocken ausgestattet, mittlerweile sind es deren sogar drei.
Der Turm ist schon seit 1958 als geschütztes Denkmal registriert. Seit der letzten gründlichen Renovierung im Jahr 2002 sieht er blitzblank aus und ist in bestem Zustand. Eine Infotafel vor dem (für Besucher geschlossenen) Eingang des Glockenturms liefert Informationen über die Konstruktion und Geschichte des Turms und über die dazugehörige Kirche. Bei dem Glockenturm handelt es sich um ein gestuftes Gebäude mit quadratischem Grundriss. Nur das Erdgeschoss ist aus Stein gebaut und weiß verputzt. Ein fein verarbeitetes Gesims schließt diesen Teil oben ab. Der Überbau und das Walmdach sind aus Holz konstruiert. Die Dachkonstruktionen sind hübsch mit Holzschindeln bedeckt. Ein kleines vergoldetes Metallkreuz schließt den Turm oben auf dem Dach ab. Das Ganze steht in einer kleinen und wohl gepflegten Grünanlage, von der aus man hinunter auf die schöne umgebende Landschaft blicken kann.
Um diese Landschaft in ihrer Schönheit (trotz der Autobahn in der Nähe) zu bewundern, eignet sich Vepřek übrigens ausgezeichnet als Ausgangspunkt eines kleinen Wanderausfluges entlang der Moldau, die hier ruhig ihrem Zusammenfluss mit der Elbe entgegen strömt. (DD).
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