- Hans Weber
- November 1, 2024
Dramatisches Heldenleben
Ein ungewöhnlicher Held, der in Prag ein ungewöhnliches Denkmal gesetzt bekommen hat: Josef Bryks. Fliegerheld, Ausbrecherkönig und Opfer von Nazis und Kommunisten gleichermaßen. Im weit nordöstlich gelegenen Stadtteil Černý Most (Prag 9) hat ihn der Maler und Illustrator Vladimír Strejček (zugleich Chef des Designstudios Drawetc) auf einer Treppe verewigt.
Warum in Černý Most? Normalerweise werden Denkmäler eher am Geburtsort oder am Sterbeort errichtet. Bryks verband in dieser Hinsicht und auch sonst nichts mit diesem Stadtteil. Aber Černý Most ist der Ort, wo man in besonderer Weise das Andenken an die Piloten aufrecht erhält, die während des Zweiten Weltkrieges in die britischen Royal Air Force (RAF) gegen Hitler und für die Befreiung der Tschechoslowakei kämpften. Fast alle kehrten 1945 in die Heimat zurück, nur um ab 1948 unter den Kommunisten, die gerade die Macht ergriffen hatten, drangsaliert und/oder verhaftet zu werden. In den Augen der Kommunisten hatten sie sich im Krieg zu sehr mit dem westlichen Klassenfeind eingelassen. Unzählige verdiente Helden des Landes verschwanden so hinter Gefängnismauern und viele von ihnen sollten ihr Leben in der Haft lassen. Der Ortsteil Černý Most besteht im Prinzip aus riesigen und wenig ansehnlichen Plattenbau-Komplexen aus den 1980er Jahren, zu denen später Einkaufszentren und Gewerbegebiete kamen. Als die Siedlungen errichtet wurden, bekamen die Straßen dort die Namen kommunistischer (meist sowjetischer) Funktionäre verpasst.
Nach der Samtenen Revolution von 1989 war eine Umbenennung natürlich unumgänglich und geboten. Die Stadtväter von Prag 9 hatten darob die Idee, alle Straßen des Stadtteils nach in der RAF dienenden tschechoslowakischen Fliegerhelden des Zweiten Weltkriegs zu benennen, deren Andenken in kommunistischer Zeit so durch den Dreck gezogen worden war. Und so finden sich hier heute Straßen, die etwa nach Karel Janoušek, dem General, der die eigenen tschechoslowakische Verbände in der Royal Air Force kommandierte (wir berichteten bereits hier), benannt sind. Oder nach Karel Stránsky, der 1944 von einem Einsatz über der Normandie nicht wieder zurückkehrte, oder nach Otto Smik, der 1944 innerhalb von 32 Minuten über London drei deutsche Flugbomben vom Typ V1 abschoss und bald darauf sein Leben über den Niederlanden verlor, oder nach Josef František, der 1940 während eines Einsatzes verschollen ging und mit mindestens 17 Abschüssen der erfolgreichste tschechische Jagdflieger der RAF war. Und natürlich gibt es eine Bryksova Straße, benannt nach Josef Bryks, der in der Erinnerungskultur eine besondere Rolle spielt als der glänzendste aller Helden der tschechoslowakischen Royal-Airforce-Piloten.
Bryks hatte seine Militärkarriere 1935 als Kavallerist in der tschechoslowakischen Armee begonnen, wechselte aber 1937 zur Luftwaffe. Als das Land unter Naziherrschaft geriet, floh er – wie viele seiner Kollegen – 1940 über Rumänien nach Frankreich, wo er sich der dortigen Luftwaffe anschloss. Als die Nazi-Truppen im selben Jahr auch Frankreich überrannten, schaffte er es, sich nach Großbritannien abzusetzen, wo er in die Dienste der Royal Air Force trat. Als Jagdflieger diente er vor allem als Geleitschutzpilot oder flog Nachteinsätze. Im Juni 1941 wurde sein Flugzeug so getroffen, dass er über der Normandie mit dem Fallschirm abspringen müsste. Er geriet nach einigen Tagen in verschiedenen Verstecken in Kriegsgefangenschaft. Das war für ihn besonders gefährlich. Für die Nazis war der tschechische Marionettenstaat des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren völkerrechtlich anerkannt und ein nicht-feindliches Gebilde. Folglich wurde jeder Tscheche, der im Dienst der Royal Air Force stand, als Landesverräter und Verbrecher betrachtet, weshalb jedem in Gefangenschaft geratenen tschechoslowakischen Piloten die standrechtliche Hinrichtung drohte.
Weil er fließend Englisch sprach, glaubten ihm die Deutschen, dass er in Wirklich ein Brite namens Joseph Ricks sei. Und als „Ricks“ begann er nun seine neue „Karriere“ als „Ausbrecherkönig“. Aus dem Gefangenenlager Oflag VI-B im westfälischen Dössel gruben er und 5 Mitgefangene sich am 19. April 1942 einen über 10 Meter langen Tunnel zur Freiheit und teilten sich in Zweiergruppen auf. Erst am 31. April wurde er auf dem Weg in de Schweiz gefasst. Im Juli landete er im Lager Oflag VI-A bei Soest und wurde in in Einzelhaft gesteckt. Mitgefangene schafften es trotzdem, ihm Klingen zu besorgen, mit denen er sich den Weg durch den Holzboden schnitt und am 17. August 1942 nur mit einem Pyjama bekleidet floh. Auf einem Luftwaffen-Flugplatz in der Nähe versuchte er eine Me 109 zu stehlen. Als das misslang, floh er zu Fuß nach Süden, wobei es ihm immer wieder gelang, seine Verfolger zu täuschen. Erst 22 Tage später und 300 Kilometer weiter fasste man ihn im fernen Mannheim.
Nach einigem Hin und Her wurde er in das Lager Oflag XXI-B bei Szubin im besetzten Polen verlegt. Im März 1943 floh er in einem Abwassertank auch hier und schloss sich unter dem polnischen Namen Josef Brdnisz und als Schornsteinfeger getarnt der im Untergrund agierenden Polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) an. Hier unterstützte er den Warschauer Ghettoaufstand, indem er Waffen für die verzweifelten jüdischen Widerstandskämpfer ins Areal schmuggelte. Ein Denunziant verriet an die Gestapo, dass er und ein Mitstreiter sich in dem Haus einer Frau Błaszkiewiczowá versteckt hielten. Beide wurden nach einer Razzia gefangen. Frau Błaszkiewiczowá – eine Mutter von zwei Kindern – wurde umgehend hingerichtet. Im nahen Warschauer Pawiak Gefängnis wurde Bryks/Ricks schwer gefoltert, was bleibende körperliche Schäden hinterließ. Aber sein Widerstandswille war ungebrochen. Nach einigen kürzeren Aufenthalten in verschiedenene Gefangenenlagern wurde er ins angeblich ausbruchssichere Lager Stalag Luft III bei Żagań transferiert, wo er im März 1944 an der legendären Great Escape teilnahm, einem über 100 Meter langen Fluchtunnel, der 200 Gefangenen die Flucht ermöglichen sollte – eine öfters verfilmte Episode des Krieges. Nur 76 schafften die Flucht (alle, bis auf drei wurden später wieder eingefangen) und Bryks hatte vielen anderen Gefangenen Vortritt gewährt und war gar nicht erst zum Zuge gekommen. Wenige Tage später versuchte er auf eigene Faust mit einem Mitgefangenen die Flucht, wurde aber schnell gefasst und in Einzelhaft gesteckt.
Inzwischen war dem Roten Kreuz ein folgenreiches Missgeschick passiert. Im Juli 1944 hatte die RAF ihn in absentia zum Flight lieutenant befördert. Das Rote Kreuz überbrachte formgerecht die Benachrichtigung an die deutsche Lagerverwaltung zur Weiterleitung, wodurch aufflog, dass Ricks nicht Ricks, sondern Bryks war. Er wurde nach Prag geschleppt und dort von der Gesatpo wieder brutal verhört und gefoltert. Man drohte ihm mit der Hinrichtung. Dass inzwischen Churchill über das Rote Kreuz den Nazis vermittelt hatte, dass es schwerste Vergeltung für jede Ermordung tschechoslowakischer RAF-Piloten geben werde, und dass die Deutschen daher die Hinrichtungen gestoppt hatten, wusste er zunächst nicht. Er überlebte und wurde am Ende in das sächsische Lager Oflag IV-C auf Schloss Colditz eingeliefert, ein Hochsicherheitsgefängnis für alliierte Offiziere. Der Ruf, ausbruchsicher zu sein, animierte dort viele Häftlinge, (teils erfolgreiche) Ausbruchversuche zu unternehmen, die später Material für unzählige Filme und Fernserien boten. Aber Bryks brauchte nicht mehr zu fliehen, denn kurz darauf, im April 1945, wurde Colditz von den Amerikanern befreit.
In England wurde er bei der Rückkehr als Held gefeiert. Schon 1946 entstand der Kriegsfilm The Captive Heart, in dem in der Hauptrolle Michael Redgrave einen tschechoslowakischen RAF-Piloten namens Karel Hašek spielt, der ziemlich genau Joseph Bryks nachempfunden ist. Auch in der Tschechoslowakei, wohin er im Oktober 1945 mit seiner neu angetrauten britischen Frau zog, war er zunächst willkommen – bis zum Februar 1948, als die Kommunisten im Land die Macht ergriffen. Ein erstes böses Omen war, dass er für eine Ordensverleihung in London nicht mehr die Ausreiseerlaubnis erhielt. Im Mai 1948 wurden er und andere RAF-Piloten (die das Regime per se als politisch unzuverlässig betrachtete) wegen eines angeblichen Fluchtversuchs vor ein Militärgericht gestellt. Nachdem er zunächst aus offenkundigen Gründen freigesprochen wurden, veranstalteten die Kommunisten einen zweiten Prozess, der in einer 10jährigen Gefängnisstrafe und der Aberkennung aller Ränge endete. Zynisch mutet es an, dass er zunächst in jenem Prager Gefängnis Pankrác gesteckt wurde, in dem ihn zuvor schon die Nazis inhaftiert hatten.
Anscheinend war das den Kommunisten noch nicht genug, denn bald behaupteten sie, es habe einen Plan für einen Gefängnisaufstand gegeben, an dem Bryks beteiligt gewesen sein soll. Aufgrund seiner vielen Fluchtversuchen vor den Nazis, meinte man, ihm derartiges leicht anhängen zu können. Im Mai 1950 wurde er zu zusätzlichen 20 Jahren, diesmal mit Zwangsarbeit, verurteilt. Wegen Insubordination wurde er noch ein paar Mal in andere Gefängnisse versetzt. Dann im Frühjahr 1955 wurde er schließlich in das Arbeitslager der Uranmine Ostrov nad Ohří in Nordböhmen eingliefert, wo er und seine Mitgefangenen ohne wirkliche Schutzmaßnahmen vor der Radioaktivität beim Uranabbbau Plansollübererfüllungen leisten mussten. Er erwies sich zwar als renitent gegenüber den Schergen des Regimes, arbeitete aber hart, weil er das wenige Geld, das er dafür bekam, an seine Familie – insbesondere seinen sehr kranken Vater – überwies. Die Kommunisten untersagten ihm nach einer Weile diese Überweisungen. Währenddessen verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer mehr. Am 11. August 1957 erlag er einem plötzlichen Herzinfarkt. Die Behörden übergaben den Leichnam nicht den Angehörigen für ein würdiges Begräbnis, stattdessen ließen sie den Körper heimlich in einem Krematorium einäschern und vergruben seine Asche in einer Urne an einem geheimen Ort auf dem Friedhof Prag Motol. Erst 2009 fanden zwei Historiker des Gefängnisdienstes der Tschechischen Republik (Vězeňská služba České republiky), Aleš Kýr und Alena Kafková, den Ort heraus, wo die Asche vergraben worden war. 52 Jahre nach Bryks Tod konnte nun die in England lebende Witwe das Grab ihres Mannes besuchen.
Mit dem Fall des Kommunismus und der Samtenen Revolution widerfuhr Bryks Gerechtigkeit. 1991 wurde er postum zum Oberst ernannt. 2006 erklärte ein Gericht alle Schandurteile gegen ihn für nichtig. Im selben Jahr bekam er den Orden des Weißen Löwen (Řád bílého lva) verliehen, die höchste staatliche Auszeichnung Tschechiens. 2008 erfolgte die nachträgliche Ernennung zum Brigadegeneral. In etlichen Orten seines Wirkens wurden Gedenkplatten angebracht oder Straßen nach ihm benannt. Das Tschechische Fernsehen sendete 2007 den ausführlichen Dokumentarfilm Muž, který přecenil českou duši aneb Útěky Josefa Brykse (Der Mann, der die tschechische Seele überschätzte, oder Die Fluchten von Josef Bryks). Und dann ist da natürlich das ungewöhnliche Denkmal des Malers Vladimír Strejček in Černý Most. Das wurde am 8. Oktober 2019 eingeweiht. Von oben betrachtet, kann man nicht einmal erkennen, dass es überhaupt da ist (siehe Bild oberhalb rechts). Der Künstler hat nämlich das 1,7 x 5 Meter große Portraitbild Bryks quasi „zerlegt“ und auf die Vorderseite der Stufen einer Treppe gemalt, die zwei Plattenbaublöcke verbindet. Schaut man von unten hinauf (siehe großes Bild ganz oben), so kann man das zusammengesetzte Portrait erkennen, das ihn in RAF-Uniform und ihn umgebenden Flugzeugen vom Typ Hawker Hurricane (mit denen er für die RAF geflogen war) und Kriegeswolken zeigt. Fast wie ein Action-Comic wirkt das Ganze – passend zu dem dramatischen Heldenleben, das hier gewürdigt wird. (DD)
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