- Hans Weber
- November 1, 2024
Ein rätselhaftes Grab
Mitten dort, wo die Prager Burgstadt am schönsten ist, zwischen Loreto und dem Palais Černín (dem heutigen Außenministerium) findet sich recht überraschend in einer kleinen Grünanlage das Grab eines Rotarmisten mit Namen Běljakov.
Es ist natürlich heute kein echtes Grab mehr. In der Zeit vom 6. bis 9. Mai hatte die Rote Armee sich unter hohen Verlusten den Weg in die Stadt gebahnt. In den letzten Kriegstagen gab es unzählige und nur provisorisch angelegte Kriegsgräber, nicht nur für die Rotarmisten, sondern auf für die Prager Aufständischen, die zur gleichen Zeit gegen die Nazis kämpften, sowie auch die Nazibesatzer selbst. Schon nach relativ kurzer Zeit wurden die verstreuten Gräber exhumiert und aufgelöst, um dann an anderer Stelle einen angemessenen Begräbnisort zu finden. Was die in der Schlacht um Prag gefallenen Rotarmisten angeht, so wurde am Olšany Friedhofs (auch hier) ein großes Areal zu einem Ehrenfriedhof (vojenské pohřebiště) erklärt, in denen die meisten in der Stadt gefallen Soldaten (insgesamt 429) ihr letztes Grab fanden (wir berichteten hier). Gemäß internationalem Recht ist die Tschechische Republik zu deren Pflege verpflichtet.
Was eher überrascht, die die Tatsache, dass man hier offenbar am vermuteten Sterbeort keine provisorische Grabstelle findet (die ja inzwischen fast alle verschwunden sind), sondern eine richtige Grabstelle, bestehend aus einem steinernen Obelisk. Die Inschrift auf dem Stein mit dem üblichen üblichen Roten Stern lautet auf Tschechisch: „Věčná sláva soudruhu Běljakovovi padlému za osvobození Prahy“, was dann noch einmal auf Russisch wiederholt wird. Auf Deutsch heißt das in etwas: „Ewiger Ruhm dem Genossen Běljakov, der sich für die Befreiung Prags eingesetzt hat.“ An der Stelle haben wohl wirklich provisorische Soldatengräber existiert, die aber spätesten ab 1947/48 in in den Ehrenfriedhof der Roten Armee am Olšany-Friedhof überführt wurden. Irgendwelche Dokumentationen sind verloren gegangen.
Wo es ein solch rätselhaftes Grab gibt, gibt es natürlich auch einige Legenden dazu, die früher bei Reiseführern für russische Touristen populär waren. Eine davon lautet, dass Běljakov hier an seinen Wunden erlegen war, während auf dem Turm des Loreto dessen berühmtes Glockenspiel mit der Tausendmal stets wollen wir dich grüßen, dich, o reinste Mutter Jesu Christ erklang. Den Nonnen des Kloster, die ihm nicht mehr helfen konnten, sagte er noch, dass er hier in Hörweite des berückenden Glockenspiels beerdigt werden wolle, ein Wunsch, den man dann nachkam. Abgesehen davon, dass es im Loretokloster keine Nonnen gab, sondern Mönche vom Orden der Kapuziner, erscheint es auch recht unwahrscheinlich, dass man angesichts der Kriegwirren auf derartige Wünsche noch eingehen konnte und wollte – und das vor allem bei der Roten Armee, deren Akzeptanz für christliche Sentimentalität sich doch eher in Grenzen hielt.
Das provisorische Grab wurde, wie gesagt, 1947/48 aufgelöst und in den Ehrenfriedhof versetzt, wo spätestens seit 1957 in Grab 428 tatsächlich ein Michail Petrowitsch Beljakov, begraben ist. Aber es ist irgendwie nicht nachweisbar, dass dies der selbe Mann ist, zumal ja am Grabstein hier am Loreto kein Vorname vermerkt ist. Der Name kam erst später auf des Grab. Michail Petrowitsch Beljakov nahm, so diese Recherche, eigentlich am Angriff auf Berlin teil. Dokumente über seinen Tod gibt es nicht (er wird als vermisst gemeldet) und es kann sein, dass er irgendwie nach Prag gekommen ist. Das ganze ist nicht sonderlich wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Man weiß letztlich also gar nicht wirklich, wer da am Ehrenfriedhof beerdigt ist. Und in seiner heutigen Form ist das – nunmehr leere – Grab auf dem Loretoplatz wohl erst nach 1970 nachweisbar. Es mag sein, dass die Angehörigen, die auf der Suche nach den Spuren Beljakow waren, das Grab am Loreto-Platz, in dem möglicherweise ein anderer Běljakov einstmals seine provisorische Ruhestätte gefunden hatte, damals als als würdigen Ort oder gar imaginierten Sterbensort deklarierten. Rund 25 Jahre später wurde erst der Name des Grabes am Ehrenfriedhof (mit vollem Namen) und das am Loreto-Platz (hier nur Běljakov) geändert. Aber letztlich tappen wir doch im Dunklen. Die Wirren der letzten Kriegstage und die verfremdete Erinnerungskultur haben das Ganze mit einem undurchdringlichen Schleier überdeckt. Aber vielleicht macht das Denkmal hier oben am Loreto-Platz ja noch interessanter – gerade in Zeiten wie diesen, wo so manche Gewissheit in Frage gestellt wird. (DD)
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