- Hans Weber
- November 1, 2024
Ein Schloss, viel dramatische Geschichte
In den Außenbezirken von Prag, die meist erst im 20. Jahrhundert Teil der Stadt wurden, wimmelt es nur so von kleinen Schlössern und Adelssitzen. Das fernab aller Touristenströme gelegene Schloss Komořany (zámek Komořany) im zu Prag 12 gehörenden südlichen Ortsteil Komořany, genauer gesagt, dort in der Na Šabatce 2050/17, gehört dazu. Die verschlafene und fast dörfliche Atmosphäre des Ortes lassen vergessen, dass sich hier dramatische Kapitel der Prager Geschichte abspielten, die ihre Spuren an diesem Gebäude hinterließen.
Es begann schon damit, das die beiden mittelalterlichen Bauernhöfe, die hier zuvor standen, im Jahr 1420 während der Hussitenkriege niedergebrannt wurden. Es dauerte bis 1589, dass hier wieder etwas Neues aufgebaut wurde – aber das dann im großen Stil. In diesem Jahr legte der damalige örtliche Kronrichter Wenzel Sturm von Hischfeld, der gerade in den Ritterstand erhoben worden war, hier ein großes Schloss im Renaissancestil an.
Dessen Sohn verkaufte es 1607 an einen gewissen Adam Radnický von Zhora, der es schon im nächsten Jahr seiner Mutter schenkte, die es schon 1612 wieder an ein Mitglied des Geschlechts Sturm von Hirschfeld verkaufte. Joachim Sturm von Hirschfeld focht jedoch nach 1618 beim Ständeaufstand gegen die Habsburger und für die böhmische Freiheit (der den Dreissigjährigen Krieg auslöste) und somit auf der Verliererseite. Die Habsburger sorgten dafür, dass er darob kurzerhand enteignet wurde.
Fortan gehörte das Schloss (und, nebenbei bemerkt, das 1088 erstmals in Chroniken erwähnte Dorf Komořany) zum Besitz des Klosters Zbraslav (wir berichteten hier), das etwas südlich auf der anderen Seite der Moldau liegt. Den Habsburgern lag zu dieser Zeit viel daran, die katholische Kirche zu stärken, was sie damit taten.
Die neuen Besitzer bauten das Schloss um 1740 völlig um, so dass man nun ein vertables Barockschloss bewundern konnte. Und wieder rückte es in den Fokus der Geschichte. 1741 hatte der Österreichische Erbfolgekrieg begonnen, in dessen Verlauf bayerische und französische Truppen in Böhmen einfielen und die österreichischen Armeen unter Maria Theresia arg bedrängten. Im Juni 1742 näherten sich die Franzosen Prag. Und es war im Schloss Komořany, wo man noch einen letzten Versuch unternahm, den Angriff friedlich abzuwenden. Hier verhandelten der französische Marschall Charles Louis Auguste Fouquet de Belle-Isle und der Herzog von Bayern, Karl Albrecht von Bayern (der spätere Kaiser Karl VII.), mit den Abgesandten von Maria Theresia, Christian Moritz Graf von Königsegg-Rothenfels und Fürst Paul II. Anton Książę Esterházy. Die Verhandlungen scheiterten und die Franzosen besetzten Prag und wurden nun von den Österreichern belagert, denen es erst Anfang 1743 gelang, die Stadt wieder zurückzuerobern.
1785 kam die große Klosterenteignung unter Kaiser Joseph II., von der auch das Kloster Zbraslav nicht verschont blieb, was natürlich bedeutete, dass auch Schloss Komořany kein Klostereigentum mehr war. Einige Jahrzehnte gehörte es nun einem religiösen Fonds, der es zu Beginn des 19. Jahrhunderts an den Fürsten Oettingen-Wallerstein verkaufte (der in der Nähe eine Zuckerfabrik gründete), der es wiederum 1868 an eine Familie Procházka, die das barocke Schloss nunmehr vollständig im neogotischen Stil umbauen ließ, was man heute noch am augenfälligsten an der Schlosskirche mit ihrem spitzen Turm erkennen kann. 1913 erwarb es der Industrielle Karel Schulz, der im gleichen Jahr in der Nähe eine Maschinenfabrik errichtete. Der beauftragte den bekannten, auf Historismus und Jugendstil spezialisierten Architekten Alois Čenský (wir begegneten ihm bereits hier) mit einem neuerlichen Umbau. Vollendet wurde der Umbau nicht, aber neben der Erhöhung eines Flügels (des vierflügeligen Schlosses) und dem Umgestaltung eines Turm als Wasserreservoir, ist das Verschwinden des meisten neogotischen Zierrats, der als unmodern empfunden wurde.
Ein Hauch von Modernität prägte nun das Äußere, was man am besten an den kubistisch anmutenden Verzeirungen der Toreinfahrt zum Hof sehen kann (Bild rechts). Schulz starb 1932 unerwartet an einem Herzinfarkt und das Schloss fiel nach seinem Willen an den Staat. Und schon zogen neue dunkle Wolken am Horizont auf. Am 5. Mai 1945 brach der Prager Aufstand gegen die Naziherrschaft aus, und die Aufständischen benutzten das Schloss als eine Art lokale Kommandozentrale. Die Kämpfe in diesem Teil der Stadt waren besonders heftig. Am 6. Mai führten die Aufständischen hier Verhandlungen mit Vertretern der sogenannten Wlassow Armee. Das waren russische Soldaten, die als Gegner von Stalins Terrorherrschaft die Seite gewechselt hatte, um sich Hitlers Schreckensregime anzuschließen. Jetzt waren sie auch hiervon enttäuscht und boten den Aufständischen dringend benötigte Hilfe im Kampf gegen Hitler an. Aber auch diese Unterstützung konnte nicht verhindern, dass SS-Truppen tags darauf Komořany nebst Schloss besetzten. Offiziell kapitulierten die deutschen Truppen am 8. Mai, aber die hier nun eingeschlossenen deutschen Truppen kapitulierten nicht. Die Kämpfe dauerten noch bis zum 10. Mai, wobei die Aufständischen (unter anderem mit Hilfe eine improviserten gepanzerten Eisenbahnzuges) bereits von Soldaten der Roten Armee unterstützt wurden. In Komořany fielen die letzten Schüsse des Zweiten Weltkriegs auf Prager Boden.
Das Schloss – nunmehr durch die Kämpfe arg beschädigt – blieb auch nach dem Krieg in Staatsbesitz. Das galt erst recht so, als die Kommunisten im Februar 1948 die Macht ergriffen. Bis zu diesem Jahre gehörte das Schloss noch der örtlichen Sparkasse. Und zwischen 1948 und 1957 wurde es dann zur Geschäftsstelle der örtlichen Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ). Nichts passt besser zum Anspruch, die Avantgarde des verarmten Proletariats zu sein, als in einem alten schönen Schloss zu residieren, dachte man sich wohl. Aber wie heißte es auch so schön bei Orwell? Alle sind gleich, aber manche sind gleicher als andere.
Vielleicht war das dann doch zuviel der unfreiwilligen Ironie. Wer weiß? Danach zog hier auf jeden Fall das Hydrometeorologische Institut (Hydrometeorologický ústav) ein, das seither hier eine (von landesweit sieben) seiner Forschungsaußenstellen zur meteorologischen Forschung betreibt. Auf einem der Türme kann man auch von außen die modernen Messgeräte erkennen (Bild links). Das Institut ist heute immer noch hier und wurde dem Umweltministerium unterstellt. Hier betreibt man Klimaforschung, Wetterforschung, Gewässerschutz (wozu die direkt unterhalb fließende Moldau einlädt) und Luftqualitätsmessungen. Das Fernsehen wüsste ohne das ganze nicht, wie es die Wetternachrichten füllen sollte.
Während der kommunistischen Zeit wurde das Schloss anfänglich zum Teil recht lieblos wieder aufgebaut und dann (wie eigentlich üblich) dem allmählichen Verfall preisgegeben. 1991 (zwei Jahre nach dem Ende des Kommunismus) wurde der Architekt Michal Sborwitz mit der Renovierung beauftragt.
Die Arbeiten zogen sich über mehrere Jahre hin. Sie wurde 1998 mit der Eröffnung des vollständig erneuerten südlichen Flügels des Schlosses abgeschlossen, in dem sich nun unter anderem ein modernen Konferenzzentrum mit breiter Fensterfront befindet, von dem man wahrscheinlich einen schönen Ausblick auf die Moldau in Richtung Zbraslav hat. Das Schlossareal ist normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Trotz dieser schönen Neubauten hat die Ästhetik des Schlosses unter den Wirrnissen des 20. Jahrhunderts doch recht viel gelitten. Das Ganze wirkt recht uneinheitlich. Aber man sollte ja auch bedenken, dass es heute auch nicht demn Anspruch erhebt, ein touristisches Highlight zu sein. Vielmehr ist es ein Zweckbau als Forschungszentrum.
Als Teil eines Ausflugs in den Süden Prags ist es allemals einen Abstecher wert. Drumherum findet man viel Grün, den ruhigen Flusslauf der Moldau und einige Teiche. Und von der Flussseite aus gesehen sieht das Schloss doch recht beeindruckend aus (Bild links). Für die Besucher wurde in der Umgebung ein Lehrpfad mit Namen Freiheitspfad 1938-1945 (Stezka svobody 1938-1945) angelegt, der 20 Stationen mit ausführlichen historischen Informationstafeln beinhaltet, die über die gegen die Nazis gerichteten Widerstands-Aktivitäten in der Umgebung informieren – allen voran die Kämpfe während des Prager Aufstands im Mai 1945. Tafel Nr. 15 ist den Ereignissen im Schloss gewidmet und steht direkt vor dem Hofeingang.
Auf wenn es bauhistorisch grandiosere Schlösser in Tschechien gibt, so gibt es doch kaum eines, dass eine solch aufregende Geschichte durchlebt hat. (DD)
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