Fučík ist noch hier

Prags Metrostation Bahnhof Holešovice (Nádraží Holešovice) ist ein schlichter in Kuben konstruierter Bau. Eröffnet wurde er am 3. November 1984 eröffnet als Teil des dritten Bauabschnitts der Linie C (rot). Die Pläne dafür stammten von den Architekten Jiří Dušek und Jan Marek.

Als er eröffnet wurde, spielte die kommunistische Ideologie immer noch eine wichtige Rolle. Bis zur Samtenen Revolution von 1989 und dem Ende des Kommunismus hieß sie noch Fučíkova und war nach dem recht linientreuen kommunistischen Schriftsteller Julius Fučík (wir berichteten über ihn hier). Gegen Fučík hatte der ursprünglich angedachte Name Vrbenského (der schlichte Name der Straße, an der die Station liegt) keine Chance. Und nun, 1990, benannte man sie schlicht nach dem 1985 eröffneten (Eisen-) Bahnhof Holešovice, der der zweitgrößte Bahnhof Prags ist, und den die Metrostation nun mit dem ÖPNV-Netz der Stadt verbindet. Nun ist es mit Fučík so eine Sache…

Er war ein Kommunist, der offenkundig jede stalinistische Vorgabe gerne erfüllte und nie Zweifel an der totalitären Seite der Partei hegte. Aber auf der anderen Seite leistete er mutig gegen die Nazis im besetzten Reichsprotektorat Widerstand und wurde nach schwerer Misshandlung durch die Gestapo 1943hingerichtet. Wie geht man mit dem Andenken eines solche Menschen um? Nach dem Ende des Kommunismus und seiner Machenschaften fand man 1990 eine salomonische Lösung. Die Metrostation bekam mit Nádraží Holešovice einen politisch völlig unverfänglichen Namen, aber man behielt das im Atrium angebrachte Portraitrelief (großes Bild oben) mit gegenüber liegender Gedenktafel bei, die man 1984 zu Fučíks Gedenken angebracht hatte. Gestaltet wurden beide durch die bekannten Bildhauer Stanislav Hanzík (wir erwähnten ihn bereits hier) und Aleš Vašíček. Auf der Tafel befindet sich ein Zitat des 5. Kapitels von Fučíks 1943 geschriebenen letzten (nach seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis geschmuggelten) Werk Reportáž psaná na oprátce (Reportage unter dem Strang geschrieben): „Žili jsme pro radost pro radost šli jsme do boje a pro ni umíráme Ať proto smutek nikdy není spojován s naším jménem“ (auf Deutsch: Wir haben für die Freude gelebt, für die Freude sind wir in die Schlacht gezogen und für die Freude sind wir gestorben, deshalb ist die Traurigkeit nie mit unserem Namen verbunden).

Ist der Erhalt des Reliefs und der Tafel im nördlichen Atrium (beim Bahnhof) eine Anerkennung des Mutes, den Fučík gegenüber den Nazis gezeigt hatte? Oder ist es ein Ausdruck der ausgesprochenen Uneinheitlichkeit der Metro-Verwaltung im Umgang mit dem künstlerischen Erbe des Kommunismus in den verschiedenen Stationen? In der heutigen Station Dejvická, die 1978 noch nach Lenin benannt als Leninova.(erwähnten wir hier) eröffnet wurde, hat man das dazugehörige riesige Lenin-Portrait dort 1990 schnell durch einen Kiosk überbaut und so verschwinden lassen. In der Prager Metro-Station Hradčanská in 1978 (wir berichteten hier) prangen überall an den Wänden noch in Stein gemeißelte Revolutionsparolen mit wehenden roten Fahnen. Jedenfalls hatte man sich bei der Station Holešovice dann doch entschlossen, den nicht ganz so leicht moralisch einzuordnenden Fučík hier zu belassen.

Die mit zwei Ausgängen, die vom Bahnsteig wegführen, ausgestattete Station gehört zu den eher recht vielgenutzten in Prag, da sie ein großerVerkehrsknotenpunkt ist. Da ist die unmittelbare Verbindung zum Bahnhof im Norden. Vor dem Südatrium befindet sich ein Straßenbahnhaltestelle, die den Stadtteil Holešovice günstig mit der Innenstadt verbindet. Und östlich davon befindet sich ein kleiner Busbahnhof, von dem man u.a. sehr schön den Zoo erreichen kann. Eine gewisse opttische Auflockerung erfährt das recht schlichte und funktionale Gebäude durch den kaminähnlichen Luftungsschacht (Bild rechts).

Der Bau des Gebäudes war übrigens keine leichte Sache. Da die Station mit ihren 168 Meer Länge nicht sonderlich tief liegt (nur 7 Meter unter der Erde) wurde sie nicht als Tunnel gebaut, sondern qua „Tagebau“ durch eine Baugrube. Da sich das Ganze aber nahe der Moldau befindet, musste die Baustelle während der Bauzeit in einer Art Trockendock liegen.Die damals noch staatliche, heute privatisierte Baufirma Metrostav bekam dafür sogar Architekturpreise. Eine Tafel am Lüftungsschacht erinnert an die damals erbrachten Ingenieursleistungen. Als die Bauarbeiten abgeschlossen waren, war dies hier die Endstation. Allerdings hatte man schon eine spätere Weiterführung auf die andere Seite der Moldau geplant. Das wäre einfach über eine dann aber nicht realisierte Brücke erfolgt. In den Jahren 2000 bis 2004 führte man dann aber die Strecke weiter nach Kobylisy. Man brauchte dazu keine Brücke mehr, aber Abstellgleise mussten nun weiter in die Tiefe unterhalb der Moldau geführt werden, was kompliziert war. Die Bauarbeiten waren einen Tag abgeschlossen (und ein Tag der Offenen Tür geplant) als das Große Hochwasser vom August 2002 kam. Es richtete solche Schäden an, dass die eigentliche Eröffnung der Linienverlängerung erst 2004 erfolgen konnte.

Aber vielleicht zurück zur Kunst am Bau. Die erschöpfte sich natürlich nicht in dem Fučík-Relief mit Tafel. Damals verpflichtete der Staat bei öffentlichen Großprojekten, dass eine gewisse Quote der Geldmittel für künstlerische Gestaltung freigestellt werden sollte. Deshalb finden sich selbst in den unschönsten Stationen häufig recht unmotiviert platzierte Kunstwerke. Es fängt meist schon mit der Vertäfelung der Wände der Bahnsteige. Die Station Holešovice wurde fast ausschließlich aus Stahl, Glas und Granit (aus dem auch der Fučík besteht) gebaut, aber bei der Vertäfelung wählte man lange Keramikpanelen, die unregelmäßig diagonal angeordnet sind (Bild rechts).

Das wahrscheinlich elaborierteste Kusntwerk befindet sich draußen hinter dem südlichen Eingangsgebäude. Es handelt sich um die Skulpturenlandschaft Řeka (dt. Der Fluss) des Bildhauers Josef Klimeš, den wir bereits hier und hier vorstellten. Sie besteh taus abgerundeten Marmorblöcken, die in den als Platten und Kieselkopfsteinen bestehenden Boden eingelassen sind, die wohl den Fluss symbolsieren sollen. Der Künstler zitierte sich hier wohl ein wenig selbst, denn die Idee mit den abgerundeten Steine hatte er schon 1977 für eine ähnliche Skulptur in Karlovy Vary verwendet, nur mit echtem Wasser.

Ach ja, und zur Erinnerung an Fučík und andere Geister aus kommunistischen Zeiten: Im Juli 2007 machte sich das Tschechische Fernsehen (Česká televize) in einer Sendung Gedanken, wie dieses Erbe wohl heute aufgenommen würde. Für einen Tag wurden über die Bahnsteigslautsprecher bei jedem Halt wieder die Namen der Stationen vor 1990 ausgerufen – nicht nur Fučíkova, sondern auch Gottwaldova (heute Vyšehrad), Leninova (Dejvická), Švermova (Jinonice) und recht viele andere. Die Reaktionen der Passagiere wurden gefilmt. Spektakuläre Reaktionen gab es nicht – weder in Form von Protest, noch in Form von Kommunismus-Nostalgie. Die meisten fanden es allenfalls leicht lächerlich und witzig.(DD)

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