- Hans Weber
- November 1, 2024
Gebetshaus und Grundkurs in Architekturgeschichte
Keine Frage: Die Methodistische Kirche hat sich ein stilistisch äußerst vielfältiges Gebäude für ihr Gotteshaus ausgesucht. Das liegt nicht am Methodismus selbst, sondern daran, dass das Haus vor dem Einzug der Kirche bereits eine Baugeschichte voller Abwechslung hinter sich hatte.
Es handelt sich um das Slivenecký Haus (dům U Sliveneckých) in der Ječná 545/19, dass offenbar nach einem gewissen Mikuláš Slivenecký benannt wurde, der im großen Stil mit Gerste und Malz (für Bier) handelte. Das könnte auch passen, denn die Ječná (auf Deutsch: Gerstengasse), die seit dem späten 18. Jahrhundert so heißt, war in seiner Zeit ein Zentrum des Prager Getreidehandels. Die Geschichte des hauses lässt sich aber viel weiter zurückverfolgen. 1376 wird erstmals ein Haus dort erwähnt, das im Laufe des Mittelalters noch ein wenig ausgebaut wurde. Im Keller des heutigen Gebäudes finden sich noch Reste von gotischen Gewölben.Es gab danach immer wieder Umbauten, die den Stil veränderten, von dnen aber nichts mehr zu sehen ist – erst in der Renaissance, dann nach 1660 im Barock. 1813 erfolgte eine fast vollständige Umgestaltung im Stil des Klassizismus durch den Architekten Václav Nademlejnský, einem königlichen Baurat. Sein Kollege Jan Fiala erweiterte das Gebäude 1816 um einen Flügel.
Zwar immer noch im klassizistischen Stil, aber eben doch ganz anders, wurde das Gebäude 1859 durch den bekannten Architekten Jan Ripota noch einmal komplett umgekrempelt. Der nächste, der dem Haus ein neues Gesicht gab, war der Architekt František Schlaffer (den wir u.a. schon hier, hier und hier erwähnten), der das Haus 1912/13 um ein drittes Stockwerk und einen zusätzlichen Flügel erweitere, und dem wir die auffällige Fassade im Jugendstil zur Ječná hin verdanken, die sich sowohl durch florale als auch figurale Elemente auszeichnet.
Dadurch hat er das heutige Aussehen des Hauses nach außen hin sehr weitgehend geprägt. Weitere Modernisierungen im kleineren Ausmaß führte 1925 der Bauunternehmer Matěj Blecha (siehe u.a. hier, hier und hier) durch. Sie betrafen hauptsächlich das Erdegeschoss und den ersten Stock und ließen daher die Schlaffersche Jugendstil-Fassade weitgehend intakt. Aber die mit abgerundeten Glasscheiben und roten Kacheln großzügig gestaltete Ladenfront im Erdgeschoss ist eindeutig dem damals neu aufkommenden funktionalistischen Stil zuzurechnen.
Wir schreiben das Jahr 1920. Der der aus Mähren stammende Pfarrer Josef Dobeš kommt nach Prag, um dort die erste Gemeinde der tschechoslowakischen (heute tschechischen) Evangelische Methodistische Kirche (Evangelická církev metodistická) aufzubauen. Dafür sucht er ein passendes Gebäude für ein Gebetshaus, das er hier in der Ječná findet und 1922 eröffnen kann. Die Methodisten waren im Lande ein neues Phänomen. Ihren Ursprung hatten sie in England, wo der Pfarrer John Wesley zusammen mit seinem Brunder Charles 1729 eine neue protestantische Bewegung gründete, aus der sich dann eine neue Kirche bildete. Weniger das Ritual und die Kirchenhierarchie sollten dabei im Mittelpunkt stehen, sondern fromme Gesinnung und christliche Lebensführung. Verbunden war dies immer mit starkem sozialen Engagement, vor allem auf lokaler Ebene. Den Aufbau einer entsprechenden Kirche in der Ersten Tschechoslowakischen Republik förderten vor allem amerikanische Gemeinden und Organisationen.Durch die Verteilung von Schriften, durch Zeltevangelisationen und viel Sozialarbeit fand die Arbeit auch durchaus Anklang.
Die Nazis und danach die Kommunisten brachten danach aber das Gemeindeleben fast zum Erliegen. Erst mit dem Ende des Kommunismus 1989 begann hier im Gebäude die Neuformation der Prager Methodisten. Die Seite zur Ječná ist natürlich die Seite, die die meisten Vorbeigehenden sehen, weil es sich um eine Hauptverkehrsader handelt. Von hier aus wirkt das Gotteshaus und sein Eingang sehr bescheiden zruückhaltend. Man passiert den sehr ansprechenden und ruhigen Innhof, um an den hinteren Gebäudeteil zu gelangen, bei dem eigentlich nur das Symbol des Kelches über der Tür an den kirchlichen Zweck des Ganzen erinnert. Der Kelch – eigentlich kein methodistisches Kernsymbol – ist in Tschechien zu einem übergeordneten Kennzeichen für alle reformatorischen und hussitischen Kirchen geworden. Die Einführung des Laienkelchs war im frühen 15. Jahrhundert die (von Katholiken als Ketzerei verdammte) zentrale Forderung der Hussiten gewesen, die als heimische Frühreformatoren in Böhmen auch immer in einem sehr nationalpolitischen Licht betrachtet wurden, sodass man hierzuland auch als Methodist am Kelch nicht vorbeikam.
Es lohnt sich hier im Hof, sich einmal umzudrehen, um sich die Rückseite des Vorderflügels anzusehen. Die ist passend zum Jugendstil Schlaffers aus verschieden farbigem Flachglas gestaltet und zeichnet sich durch eine geschwungene Fassade mit einem Seitenerker aus. Um eine recht ungewöhnliche Fassade handelt es sich in der Tat in diesem Wohntrakt dasHauses. Sie bildet in ihrer Lebhaftigkeit einen Gegenpol zur Hoffassade mit dem Gebetshaus, die eher im Stil des modernen Funktionalismus gehalten ist. Und das ist nicht der einzige architektonische Stil-Kontrast. Wer den Hofeingang des Gebetshauses als zu nüchtern empfindet, sollte den Hof verlassen, an der Ječná links abbiegen, an der nächsten Ecke noch einmal links in die Štěpánská einbiegen, um dann nochmals nach links in die Malá Štěpánská zu gehen.
Ja, zum auf ursprüngliche christliche Tugenden bestehenden Methodismus gehört natürlich eine nüchtern-strenge Ästhetik ohne auffälligen Pomp. Aber hier hat man es dann doch nicht damit übertrieben. Zugegebenermaßen verzichtete man auf dieser Gebäudeseite, wo sich der eigentliche Eingang zum Gebetshaus (Methodisten sprechen nicht von „Kirche“) befindet, auf aufwendige dekorative/opulente Elemente. Nur das Kelchsymbol, das man schon im Innenhof sah, kehrt über dem Eingang wieder. Nichtsdestotrotz ist der klassizistische Portikus, der von zwei aus Ziegeln gebauten Flügeln eingerahmt ist, schon recht wuchtig (siehe großes Bild oben). Jedenfalls sieht das Ganze hier etwas weniger bescheiden aus, als es auf Vorderseite und Hof zunächst den Anschein hat.
Das fällt zunächst nicht auf, weil die Malá Štěpánská eine enge Sackgasse ist, in die sich kaum jemand zufällig verirrt. Und trotz der unerwarteten Größe, passt der Portikus durch seinen strengen Klassizismus (mit archaisch anmutenden ägyptisierenden Kapitellen auf den Säulen)letztlich schon zu der Glaubensstrenge der Methodisten. Nicht auszuschließen ist, dass sich hier amerikanische oder britische Einflüsse in der Architektur bemerkbar machten, denn dort findet man sehr häufig klassizistische Methodistenkirchen. Das Gebäude in der Malá Štěpánská wurde ebenfalls von jenem Matěj Blecha entworfen und 1925/26 gebaut, der vorne in der Ječná in der gleichen Zeit die Ladenfront im Erdgeschoss gestaltet hatte.
Ein gotischer Keller, funktionalistische Ladenfront, Jugendstilfassade, klassizistischer Eingang zum Gebetshaus – wär sich mit diesem Gebäude befasst, bekommt gleich fast schon einen Grundkurs in europäischer Architekturgeschichte geliefert. Man sieht dem Haus das auf den ersten Blick (insbesondere von der Ječná) nicht an. Aber vielleicht hat gerade dieses Understatement die auf weltlichen Prunk verzichtenden Methodisten zu ihrer Entscheidung bewegt, hier ihr erstes Prager Gebetshaus einzurichten. Bei näherem Hinsehen entdeckt man aber schon, welches architektonische Juwel sich hier inmitten der Neustadt befindet. (DD)
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