General gegen Volkstribun: Petr Pavel und Andrej Babis kämpfen um die Prager Burg

General gegen Volkstribun: Petr Pavel und Andrej Babis kämpfen um die Prager Burg

Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen stehen sich zwei gegensätzliche Kandidaten in der Stichwahl um die tschechische Präsidentschaft gegenüber. Pavel hat die besseren Karten – aber eine Hypothek.

Der spröde General Petr Pavel verspricht Anstand und Sicherheit – das kommt gut an bei den Tschechen.

Petr David Josek / AP

Die 2000 Menschen, die an diesem kalten Winterabend den Masaryk-Platz von Ostrava fast füllen, skandieren: «Pavel in die Burg! Babis in den Müll!» Sie haben sich wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang der tschechischen Präsidentschaftswahl versammelt, um ihr Idol zu sehen: «General Pavel», den Sieger der ersten Runde.

Sein Logo ist ein Löwe, sein Markenzeichen der betont lockere Stil. Die Bühne betritt der ehemalige tschechische Generalstabschef, der drei Jahre lang als höchster europäischer Vertreter in der Nato das Amt des Vorsitzenden des Militärausschusses bekleidete, in Jeans, Holzfällerhemd und Lederjacke. «Pavel trägt Flanell», kalauern zwei lokale Barden, die der Menge einheizen.

Stichwahl der Gegensätze

Besonders mitreissend wirkt der spröde 61-Jährige bei seinem Auftritt zwar nicht. Er spricht so leise, dass ein Teil der Menge «Mikrofon!» schreit, weil er ihn nicht versteht. Der Applaus bleibt bescheiden. Und doch stehen die Leute danach Schlange für Autogramme und Selfies. Der nette ältere Herr mit dem akkurat gestutzten Offiziersbart wirkt wie geschaffen für die Rolle des Landesvaters. Dass er primär «Ruhe und Ordnung» verspricht, scheint nur folgerichtig.

Dass Petr Pavel Tausende auf die Strasse holt, liegt vor allem daran, dass er nicht Andrej Babis ist. Im ersten Durchgang hatte er den schrillen Milliardär und ehemaligen Regierungschef um 22 800 Stimmen distanziert, wobei beide Kandidaten 35 Prozent erreichten.

Sie wollen die Nachfolge von Milos Zeman antreten, der primär durch provokante Rhetorik, seine China- und Russlandfreundlichkeit sowie eine Vorliebe für Schnaps Schlagzeilen machte. Babis sieht sich in der gleichen Tradition des polarisierenden Volkstribuns, während Pavel verspricht, dem repräsentativen Amt die Würde zurückzugeben.

Treffen die Umfragen zu, sollte Pavel die Stichwahl am Freitag und Samstag recht klar gewinnen.

Petr Pavel führt klar

Umfrage vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Tschechien, Wahlabsicht in Prozent

Eher oder definitiv für Petr PavelEher oder definitiv für Andrej BabisUnentschlossen53389

Quelle: Kantar

NZZ / mij.

«Der Wählerpool von Babis ist kleiner», analysiert Anna Durnova, Professorin für politische Soziologie an der Universität Wien. «Er muss deshalb alles auf eine Karte setzen.» Zwar profiliere er sich als Vertreter der Benachteiligten gegenüber der Mitte-rechts-Koalition, die ihn 2021 besiegt habe. «Aber Babis hat kein ideologisches Gerüst.» Entsprechend geniesse er die uneingeschränkte Unterstützung weder von ganz links noch von ganz rechts. Dies unterscheide ihn auch vom sozialdemokratischen Urgestein Zeman.

Krieg und Frieden

In gewisser Weise spielen beide Kandidaten auf der Klaviatur der Unsicherheit: Viele Tschechinnen und Tschechen suchen nach Halt in einer Region, die stark von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine betroffen ist. Das Land hat grosszügig fast eine halbe Million Flüchtlingeaufgenommen, sieht sich aber auch mit einem verlangsamten Wirtschaftswachstum und einer Jahresinflation von über 15 Prozentkonfrontiert. Er werde den Menschen helfen, wirbt Babis für sich und wirft der Regierung gleichzeitig soziale Kälte vor.

Im ersten Wahlgang schnitt er vor allem in Bevölkerungsschichten mit tiefem Bildungsniveau und wirtschaftlichen Problemen gut ab. Dazu gehört auch die durch den Niedergang des Bergbaus geprägte Region rund um Ostrava. Babis profitierte davon, dass die Regierung in Prag weder über die finanziellen Möglichkeiten noch über den politischen Willen verfügt, den Druck auf den Lebensstandard der Menschen massiv abzufedern. Indem er den unabhängigen, aber von Unternehmern und Ministern unterstützten Pavel als Kandidaten der Regierung darstellt, will Babis von der Unzufriedenheit über deren Arbeit profitieren.

Während Pavel seine militärische Expertise in geopolitisch unsicheren Zeiten zur Geltung bringt und die Bedeutung der EU- und der Nato-Mitgliedschaft betont, präsentiert sich der 68-jährige Babis nach dem Vorbild Viktor Orbans als «Kandidat des Friedens». Pavel versuche, Tschechien in den Ukraine-Krieg hineinzuziehen, verkündet der Grossunternehmer im Agrobusiness auf riesigen Plakaten.

Im Duell der beiden Präsidentschaftskandidaten verrennt sich Andrej Babis (rechts) mit umstrittenen Aussagen zur Nato-Bündnistreue.

Der Flirt mit der nicht unbedeutenden Wählergruppe der Nato-Skeptiker wurde während der TV-Debatte am Sonntag jedoch zum Bumerang: Babis verkündete, er würde nicht einmal tschechische Truppen schicken, wenn der Nachbar Polen angegriffen würde. Obschon er im Anschluss an die Sendung zurückruderte, stellt ihn Pavel seither genüsslich als aussenpolitisch unsicheren Kantonisten dar.

 

Anti-Babis-Reflex

Der Anti-Babis-Reflex, der breite proeuropäische und prowestliche Kreise in der Tschechischen Republik vereint, führte auch zum Schulterschluss mit Pavel nach dem ersten Wahlgang. In Ostrava tritt er zusammen mit den damals Dritt- und Viertplatzierten auf, wobei vor allem die Unterstützung von Danuse Nerudova bei der jungen Wählerschaft bedeutsam ist. Die Universitätsrektorin trug mit ihrer auf soziale Netzwerke konzentrierten Kampagne dazu bei, dass die Wahlbeteiligung rekordhohe 68 Prozent erreichte. «Alle dachten, ich würde mich weinend in eine Ecke zurückziehen», erzählt sie nach ihrem Treffen mit Freiwilligen in Ostrava. «Stattdessen stellte ich mich sofort hinter General Pavel.» Daraus, dass dieser eher das kleinere Übel als einen engen Verbündeten darstellt, macht die politische Quereinsteigerin kein Geheimnis. So stört sie, dass Pavel seine Karriere unter dem kommunistischen Regime begonnen hat. Babis schlachtet diese Tatsache aus und bezeichnet seinen Gegner als kommunistischen Agenten. Doch während Pavel seine Mitgliedschaft in der KP früh als Fehler bezeichnet hat, stellt Babis jene historischen Dokumente, die ihn als Informanten der Staatssicherheit ausweisen, als Teil einer Verschwörung gegen ihn dar.

Danuse Nerudova unterstützt Pavel im zweiten Wahlgang – als kleineres Übel.

Bedeutsamer ist für die Feministin und Gesellschaftsliberale Nerudova Pavels Unterstützung für Anliegen wie die gleichgeschlechtliche Ehe. Die 44-Jährige macht sich aber keine Illusionen über die tschechische Gesellschaft. Ein bedeutender Grund für ihr gegenüber den Umfragen schwächeres Abschneiden sei gewesen, dass viele Unentschiedene für Pavel gestimmt hätten, weil sie einem älteren, konservativeren Mann eher zutrauten, Babis zu schlagen.

Eine Frage der Mobilisierung

Ihre Aufgabe sei nun, die Jungen von Pavel zu überzeugen. «Sie verehren mich und hängen an meinen Worten», so zeigt sich Nerudova optimistisch-unbescheiden. Da der behäbige General kaum Begeisterungsstürme entfacht, bleibt die Mobilisierung im zweiten Durchgang für ihn die entscheidende Herausforderung. Dies hat Babis erkannt, der laut der Politikexpertin Durnova darauf setzt, die Politikverdrossenheit der Wähler durch seine Negativkampagne zu befeuern. Der Auftritt Pavels in Ostrava soll dazu dienen, in Regionen zu mobilisieren, wo er schlecht abschnitt im ersten Wahlgang.

Pavel setzt auf seine Persönlichkeit und auf einfache, bisweilen zur Banalität reduzierte Botschaften: Er stehe für eine Welt, «in der Regeln eingehalten werden und die Wahrheit gesagt wird», und wolle dafür sorgen, dass die Tschechen stolz sein dürften auf ihr Land. Die Idee eines freundlichen und anständigen Herrn im Präsidentenamt überzeugt als Gegensatz zu skandalumwitterten Figuren wie Zeman und Babis offenbar viele. Zum Schluss der Wahlveranstaltung in Ostrava intonieren Pavel und seine Unterstützer gemeinsam auf Tschechisch «We Shall Overcome». Der General singt ganz leise zuhinterst auf der Bühne mit.

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