Generalissimus im Hinterhof

Nachdem er hoch oben in den Schweizer Bergen jene militärische Leistung vollbracht hatte, die ihm eine größere Fußnote in der Geschichtsschreibung sicherte, ruhte er sich etwas über einen Monat in Prag von den Strapazen aus: Alexander Wassiljewitsch Suworow.

Der russische Feldmarschall und Generalissimus kämpfte 1799 im Zweiten Koalitionskrieg mit seinen Truppen in Italien gegen Napoleon. Die verbündeten Österreicher und Briten wünschten jedoch, dass sich der militärische Druck auf die französischen Truppen nach Österreich verlagern solle, weshalb Suworow mit seinen (im Gebirgskampf ungeübten) Truppen durch die Schweiz (damals unter Kontrolle Napoleons) ins Habsburgerland ziehen sollte. Suworow schaffte am 24. September nach Gewaltmärschen die Eroberung des Gotthardspasses. Kurz darauf wurde er im Muotatal von französischen Truppen eingekreist, schaffte es trotz der Erschöpfung seiner Truppen, sich wieder freizukämpfen und erreichte mit unzähligen Gefangenen Österreich. Das war eine grandiose militärische Leistung, obwohl sie militärisch von geringem Nutzen war, denn in Österreich war das Hauptgeschehen schon vorbei. Dass Suworow zu spät kam, hatten sich die Ösis teilweise selbst zuzuschreiben, da sie den verbündeten Generalissismus mit falschem Kartenmaterial (mit eingezeichneten Wegen, die es nicht gab) und nicht der versprochenen Menge Lasttieren versorgt hatten.

Wie dem auch sei: Erschöpft zog sich Suworow danach mit seinen Truppen im Dezember 1799 nach Böhmen zurück. Ein Generalissimus und Kriegsheld übernachtete hier natürlich nicht in einer Kasernenbaracke. Vielmehr war er zu Gast in einem echten Palais in der heutigen Narodní 37/38 in der Neustadt. Heute wird das Gebäude Porges und Portheim-Palast (palác Porgesů z Portheimu) genannt – nach der Unternehmerfamilie Porges von Portheim, die es 1869 erwarb. Oben an der Fassade sieht man noch die hübsch aufbereiteten Initialen EPR, die für Eduard und Rosa Portheim stehen – die Käufer. Zu Suworows Zeiten hieß es aber noch Desfours Palast (Desfourský Palac), denn das frühklassizistische Gebäude wurde ursprünglich 1762 bis 1776 in den Jahren anstelle dreier mittelalterlicher Häuser für Maximillian Joachim Karl Graf Desfours durch den Architekten Johann Ignaz Palliardi erbaut.

Als Suworow hier sich von den Schweizer Strapazen erholte, war er allerdings schon Gast von Jakob Wimmer (den wir bereits hier erwähnten), der den Palast schon 1795 erworben hatte (damals redete man auch vom Wimmerův dům). Der war ein reicher Grundbesitzer, Unternehmer und Mäzen. Aber er hatte auch einmal den militärischen Rang eines Obersts bekleidet. Suworow und er dürften sich verstanden haben. Am 28 Januar 1800, also heute vor 222 Jahren, reiste Suworow ab – zurück ins heimische St. Petersburg, wo er schon im Mai des selben Jahres verstarb. Der Nachwelt blieb er als der Mann, der hoch in den Bergen tapfer der napoleonischen Bedrohung Europas entgegenstand. Es wurden ihm viele Denkmäler gesetzt, nicht zuletzt das berühmte Suworowkreuz am Gotthardpass bei Andermatt.

Und da er nun einmal auch einen Monat in Prag verbrachte, gedachte man auch hier seiner. So kann der Passant an der Außenfassade des Porges und Portheim-Palastes heute eine kleine Gedenktafel sehen, die 2001 von dem Bildhauer Pavel Filip gestaltet wurde. „In diesem Haus hielt sich vom 20. Dezember 1799 bis zum 28. Januar 1800 der berühmte Kriegsherr Alexander Wassiljewitsch Suworow auf“, heißt es da auf Tschechich und Russisch. Die Tafel ist nicht besonders erhebend oder beeindruckend. eher arg schlicht. Dahinter steht ein wohl Politikum, das die Gemüter eine kurze zeitlang bewegte. Ab 1947 hatte sich nämlich auf der Fassade eine durchaus stattliche Denkmalsbüste befunden – ein Werk des Bildhauers Lubomír Boček. Die gibt es immer noch, aber sie wurde 2001 bei Renovierungsarbeiten in den Hinterhof verbannt, was zu bösen Kommentaren in der russischen Presse führte. Außen wurde darob die Tafel als „Ersatz“ angebracht.

Man kann aber den Hof betreten und sich dann fragen, warum der alte Generalissimus jetzt ein Schattendasein fristen muss. Vielleicht war man bis 1947 (ein Jahr bevor die Machtübernahme der Kommunisten mit Hilfe der Sowjets alle Illusionen zerstörte) in der Tschechoslowakei, die bis dato nie mit Russland in Konflikt geraten war, noch nicht sonderlich gegen die Russen eingenommen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von 1968 und der Okkupation durch die Sowjets gab es da wohl einen Stimmungsumschwung. Vielleicht erinnerte man sich, dass Suworow, bevor er Europa vor Napoleon verteidigte, aber auch Freiheitsbewegungen in anderen Ländern niedergeschlagen hatte – etwa den Kościuszko-Aufstand in Polen 1794.

Wie dem auch sei, Suworow ist nun in einem versteckten Winkel des Hofs untergebracht. Der politische Ärger von 2001 wurde ganz typisch tschechisch ausgesessen und ist mittlerweile vergessen. Und Suworow wirkt auch hier immer noch ganz und gar wie der Held, der die Alpen bezwang. (DD)

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