- Hans Weber
- November 1, 2024
Große Schauspielerin mit Anliegen
Von ihrem Sockel aus könnte die Statue eine traumhafte Aussicht genießen, wäre sie lebendig. Auf jeden Fall hat man dem Gedenken an die ausgesprochen emanzipierte Schauspielerin Hana Kvapilová einen prominenten Platz eingeräumt. Direkt neben dem hübschen Sommerpalast (letohrádek Kinských) der Fürsten Kinský, in dem sich heute das Volkskundemuseum (wir berichteten hier) befindet – mit Blick auf die Auen des parkhaften Kinský Gartens (Zahrada Kinských) und die steilen Höhen des Petřínbergs.
Die 1860 als Johanna Kubesch (was sie später in Kubešová tschechisierte) Geborene hatte von Anfgang an viel Bildung und einen Drang zur persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung mitbekommen. So war sie 1871-75 auf die Prager Höhere Schule für Mädchen (Vyšší dívčí škola) gegangen, die zu den ersten höheren Bildungseinrichtungen für Mädchen in Böhmen überhaupt zählte. Klavierunterricht nahm sie bei keinem Geringeren als Antonín Dvořák. Als 1873 die Firma ihres Vaters pleite ging und die Familie in Armut verfiel, arbeitete sie in mehreren Jobs, um zu helfen. 1884 stieß sie dabei auf ein Kleintheater, wo sie ihr Debut feierte. Ihr Talent wurde bereits erkannt und sie bekam ungehend mehrere Rollen in verschiedenen Theatern angeboten, so dass sie 1886 beschloss, die Schauspielerei voll beruflich zu betreiben. Sie heuerte bei dem in Prag-Smíchov ansässigen Švanda Theater (Švandovo divadlo) an, das Tourneen durch ganz Böhmen organisierte. Während der Tourneen verliebte sie sich in ihren damals ungleich bekannteren Kollegen Eduard Vojan (wir erwähnten ihn hier) und verlobte sich mit ihm 1887.
Sie war solch ein Erfolg, dass sie schon 1888 nicht mehr auf Tour musste. Sie stieg in den tschechischen Theater-Olymp auf und wurde beim prestigeträchtigen Nationaltheater (Národni divadlo) in Prag angestellt, wo sie in der zeitgenössischen, von Jaroslav Vrchlický verfassten Komödie Noc na Karlštejně (Eine Nacht in Karlstejn, 1884; heute in der Filmmusicalversion der 1970er Jahre bekannt).debütierte. Jetzt ging es nur noch aufwärts. Privat fand sie – Vojan war inzwischen „abgehäkelt“ – neues Glück, als sie 1890 bei den Proben zu dem Stück Die Sieben Raben (Sedm havranů) den Regisseur Jaroslav Kvapil kennen- und lieben lernte. Den damals schon berühmten Dichter, Schrifsteller, Librettisten (er schrieb 1901 das Libretto zu Antonín Dvořáks Oper Rusalka)), Freimaurer und Regisseur heiratete sie 1894 und nahm fortan den Namen Kvapilová an.
Es kamen immer größere und anspruchsvollere Rollen, etwa die der Ophelia in Shakespeares Hamlet. Aber es waren nicht nur die bewährten Klassiker, die sie berühmt machten. Mit ihrem Mann teilte sie vor allem ausgesprochen fortschrittliche Überzeugungen. Das schlug sich auch Rollen nieder. Sie nahm immer mehr Rollen in zeitgenössischen sozialkritischen an, die sich mit der Selbstbestimmung (bzw. negativ mit der Fremdbestimmung) der Frau auseinandersetzten. Dazu gehörten Auftritte in Anton Tschechows Stück Drei Schwestern oder auch Henrik Ibsens Stück Nora oder ein Puppenheim (sie war die erste Nora-Darstellerin in Böhmen überhaupt). Wegen ihrer offen geäußerten Ansichten und ihrer darauf fußenden realistischen Schauspielkunst wurde sie unter konservativen Kritikern zur Zielscheibe, wie zum Beispiel der Dramatiker und Schriftsteller Jaroslav Hilbert, der sie 1903 in einem Beitrag heftig angriff. Dem standen aber unzählige begeistere Anhänger gegenüber und immer mehr Kritiker sahen in ihr eine große Pionierin der modernen Schauspielerei. Sowohl als Schauspielerin als auch als durchaus politische Person kam ihr letztlich allenfalls noch die berühmte Otýlie Sklenářová-Malá an Bedeutung nahe (wir berichteten hier). Sie war eine große Schauspielerin mit Anliegen.
Auch ihr internationaler Ruhm wuchs und wuchs. Sie ging auf internationale Kurz-Tourneen, von denen die nach Zagreb und Belgrad in den Jahren 1902 und 1906 besonders große Erfolge waren. In Belgrad bekam sie sogar den vom König gestifteten Sankt-Sava-Orden verliehen – eine der höchsten Auszeichnungen des Königreichs Serbien.
1907 verstarb sie plötzlich im Alter von nur 46 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Eine in der Familie wohl als Erbkrankheit vorkommende Diabetes ließ sich nicht kurieren (das Insulin als Medizin wurde erst in den 1920er Jahren entdeckt). Ihr Mann wurde von dem Verlust schwer getroffen, und verschwand danach weitgehend aus der Öffentlichkeit (nur 1917 tauchte er noch einmal als Unterzeichner eines Manifests für die Unabhängigkeit des Landes von der Habsburger Monarchie prominent auf).
Die Asche seiner Frau ließ Kvapil im Kinský Garten begraben, in dessen Nähe sich bis heute das Švanda Theater befindet, wo Hana Kvapilová einst ihre Schauspielkarriere begann. Im Jahre 1914 wurde an ebendieser Stelle ein Denkmal für Hana Kvapilová errichtet. Die etwas überlebensgroße, auf einem Sockel sitzende Statue ist das Werk des bekannten Bildhauers Jan Štursa, den wir in diesem Blog u.a. schon hier und hier erwähnten. Štursa galt damals als einer der großen modernen Bildhauer, der zu den Hauptvertretern des Kubismus gehörte. Das Denkmal für Hana Kvapilová ist jedoch in hohem Maße dem traditionellen Klassizismus verpflichtet, was vielleicht nicht so ganz mit der Modernität der Ideenwelt der Schauspielerin im Einklang stehen mag. Aber umso mehr passt es sich ästhetisch in das architektonische Umfeld des Sommerpalastes ein. Es ist ein schöner Ort, der dem Denkmal, so wie es ist, viel Würde verleiht. (DD)
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