Haus des Widerstandes

 

Durch die recht imposanten Atlanten, die das Portal einrahmen, gehört das große fünfstöckige Wohnhaus in der Anny Letenské 34/7, Ecke Vinohradská, eindeutig zu den auffälligsten und originellsten Gebäuden der Umgebung (die durchaus reich an architektonischen Schätzen ist). Und dann ist da noch das dramatische Kapitel, das das Haus in der Geschichte des Widerstands gegen die Nazi-Herrschaft spielte, verbunden mit dem Namen von Anna Pollertová.

Beginnen wir bei dem Haus selbst: Das wurde in den Jahren 1914 bis 1916 von dem Architekten und Bauunternehmer Josef Kovařovic (den erwähnten wir u.a. schon hier und hier) erbaut, und zwar auf den ehemaligen Ländereien des Gutsbesitzers und Industriellen Carl Julius Eichmann, die nun städtebaulich erschlossen wurden. Als Wohnhaus konzipiert, befand sich im Erdgeschoss jedoch eines der ersten vegetarischen Resaturants der Stadt (heute ein Möbelladen). Es dürfte eines der letzten Gebäude dort gewesen sein, das sich stilistisch noch am späten (geometrischen) Jugendstil orientierte. Der war aber in diesem Fall bereits so in einer abstrakteren Formensprache gehalten, dass spätere Modernisierungen und Ergänzungen im kubistischen Stil sich harmonisch eingliederten. Die wurden u.a. 1928/29 von der Baufirma Pražák a Moravec, die vor allem den Wohnraum ausbaute, wobei wohl das kubistische Interieur entstand. Weitere Umbauten, die primär den Ausbau des Dachgeschosses zum Zweck hatten, erfolgten 1930 und 1936.

Das Äußere des Gebäudes mit seinem Eckturm ist von sehr schlichter und strenger Ornamentik geprägt. Florale geometrische Motive dominieren die Fassadengestaltung. Das skulpturale Design der beiden straßenseitigen und jeweils strikt symmetrischen Fassaden stammt von dem Bildhauer und Medailleur Rudolf Březa (den erwähnten wir u.a. bereits hier und hier), der in dieser Zeit den verblassenden Jugendstil sehr innovativ mit klassischer Formensprache verband,

Das zeigt sich besonders bei den erwähnten beiden Paaren von geradezu kolossalen Atlanten, die zu beiden Seiten das Eingangsportal stützen, und die das Haus zum auffälligsten in der ganzen Straße machen. Ungewöhnlich für Atlanten ist, dass es sich ausschließlich um Frauengestalten handelt. Bei der Darstellung soll sich Březa von der Statue der Messalina des ungleich berühmteren zeitgenössischen Bildhauers  Jan Štursa, den wir in diesem Blog u.a. schon hierhier und hier erwähnten, inspiriert haben lassen. Der gilt als einer der großen Vertreter des Kubismus in der Bildhauerei, und in der Tat merkt man schon, dass sich Březa diesem Stil hier bereits weitgehend identifiziert hat.

Womit man beim Inneren des Gebäudes ist, das geradezu mustergültig kubistisch gestaltet ist. Die spielerische Kombination geometrischer und kristallischer Formen findet zieht sich hier bis ins oberste Stockwerk als Gestaltungsthema. Das Ganze wurde in den letzten Jahren sorgfältig renoviert, so dass es so gut in Schuss ist, wie es einem Gebäude mit Büros (ich hatte die Gelegenheit, es bei einem Notariatstermin von innen kennenzulernen) und Wohnungen im höheren Luxussegment angemessen ist. Das gilt für die Stuckaturen, aber auch für die Schmuckgitter (Treppengeländer) und vor allem geradezu archetypisch die Türeingänge der Wohnungen oder Büros (Bild unterhalb links).

Historisch bedeutsam ist das haus aber vor allem wegen zweier Bewohner, die hier wirkten: Rudolf Pollert und seine Frau Anna Pollertová. Beide gehörten zu den wichtigsten Akteuren des bürgerlichen, nicht-kommunistischen Widerstands gegen die Nazis im sogenannten Reichsprotekorat Böhmen und Mähren, wobei sie die führende Rolle spielte. Pollertová hatte schon zuvor im Nationalen Frauenrat (Ženská národní rada) eng mit Milada Horáková für mehr Frauenrechte zusammengearbeitet, die später die Verfolgung durch die Nazis überlebte, nur um 1950 von den Kommunisten nach einem Schauprozess hingerichtet zu werden (wir berichteten bereits u.a. hierhierhier und hier). Entsprechend demokratisch engagiert, baute sie in ihrer Wohnung eine Zelle der Widerstandsorganisation Petiční výbor Věrni zůstaneme (PVVZ; dt.: Petitionsausschuss Wir bleiben treu) auf.

Die Gruppe arbeitete Dank Pollertová, die noch eine Reihe anderer konspirativer Wohnungen anmietete, recht effektiv. Es gelang ihnen, wichtige militärische Erfindungen und Forschungsprojekte auszuspionieren, etwa zur Atomforschung und die Pläne von Flugzeugfunkgeräten, die Landungen im Nebel vereinfachten. Dokumentationen über Nazigräuel wurden ins Ausland geschmuggelt. Unter denen, die sie erst versteckten, um sie dann (oft mit hohem persönlichen Risiko) ins Ausland zu bringen, war 1940 unter anderem General Jaroslav Čihák, der dann in London den Stab des Verteidigungministeriums der Exilregierung leiten sollte. Sie half mit bei der Schaffung eines Fonds, der die von Verarmung bedrohten Familien hingerichteter Widerstandskämpfer finanziell unterstützte. Als im Oktober 1941 eines der führenden Mitglieder der PVVZ, General Josef Churavý (der Kontakte zu hohen Doppelagenten bei den Deutschen pflegte) verhaftet wurde, gelang es ihr unter Einsatz ihres Lebens noch belastende Geheimunterlagen aus dessen Wohnung zu holen – kurz bevor die Gestapo eindrang.

Am Ende bezahlte Anna Pollertová ihren unbeschreiblich mutigen Einsatz mit dem Leben. Im Oktober 1941 gelang es der Gestapo ein Mitglied der Gruppe zu verhaften und fand in dessen Wohnung etliche Hinweise, die dazu führten, dass sie am 21. Oktober verhaftet wurde. Sie wurde zuerst in Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, später nach Dresden und Leipzig, am Ende in das gefürchtete Zuchthaus Berlin Plötzensee. Im November 1944 verurteilte ein Sondergericht sie und drei Mitstreiter wegen Hochverrats zum Tode. Das Urteil wurde am 16. Januar 1945 durch das Fallbeil vollstreckt. An der Fassade des Hauses in der Anny Letenské 34/7, wo sie so energisch für den Widerstand arbeitete, ist heute eine große Gedenktafel aus Gusseisen angebracht, auf der die Namen von ihr und 25 anderen Mitgliedern der PVVZ stehen, die dem Naziterror zum Opfer fielen. (DD)

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