- Hans Weber
- November 1, 2024
Heydrich, Die Rassenexperten Und Die Neue Weltordnung
Am 27. Mai 2022 jährt sich das Attentat auf Reinhard Heydrich, seinerzeit „Stellvertretender Reichsprotektor“ im deutsch besetzten Böhmen und Mähren, zum 80. Mal. Eine Ausstellung im Karolinum der Prager Karls-Universität zeichnet Heydrichs Rolle als Architekt der „Neuen Weltordnung“ nach, welche die Nationalsozialisten nach ihrem Sieg auch in Ost- und Südosteuropa verwirklichen wollten.
Als „Henker von Prag“ terrorisierte der „Stellvertretende Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich nicht nur die tschechische Zivilbevölkerung, sondern war als Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) auch einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Nicht zuletzt war Heydrich als Leiter der Wannseekonferenz zur „Endlösung der Judenfrage“ hervorgetreten.
Prag wollte er zu einem Ausgangspunkt des nationalsozialistischen Rassenwahns machen, Heydrich plante die Einrichtung eines Forschungsinstituts, das sich mit „Rassenfragen“ und der Germanisierung Ost- und Südosteuropas befassen sollte. In diese Pläne gibt die multimediale Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ (Nový světový pořádek / The New Worldorder) im Kreuzgang des Karolinums einen tiefgehenden Einblick, zeigt aber auch bisher wenig bekannte Seiten der Person Heydrich.
Die Ausstellung umfasst 45 Minuten audiovisueller Projektionen, zahlreiche Texte, Fotografien und Objekte und bringt den Besuchern Heydrich sowie die von ihm engagierten Rassenexperten näher. „Die wirklichen Architekten einer besseren Welt waren nach der nationalsozialistischen Ideologie keine Massenmörder mit Waffen in der Hand, sondern Gebildete mit akademischen Titeln sowie Professoren, die an der Deutschen Karls-Universität wirkten“, sagt Pavel Štingl, Kurator der Ausstellung, von der Gedenkstätte der Stille (Památník ticha), welche die Ausstellung in Kooperation mit der Karls-Universität und weiteren Institutionen entworfen hat.
Prag als Zentrum der Rassenforschung
Heydrich strukturierte die Prager Wissenschaftsgemeinschaft um und scharte eine Reihe von Rassenexperten um sich, die sich in pseudowissenschaftlicher Manier mit den Parametern für einen idealen Prototypen des Menschen und mit Konzepten zur Neuordnung Südosteuropas nach rasseideologischen Prinzipien beschäftigten. In der Ausstellung werden ihre Biographien an thematisch relevanten Stationen verankert. Zu den von Heydrich engagierten und geförderten Rassenexperten gehörten etwa Bruno Kurt Schultz, Chefredakteur der Zeitschrift „Volk und Rasse“, der Rassenhygieniker Karl Thums oder der „Völkerpsychologe“ Rudolf Hippius. Viele von ihnen kamen nach dem Ende des Krieges unbestraft davon und führten teilweise bis ins hohe Alter ein unbehelligtes Leben.
Heydrich machte den Rassenexperten beschlagnahmte Gebäude und Räumlichkeiten der geschlossenen tschechischen Karls-Universität verfügbar und in Prag entstanden Institute verschiedener „Forschungsrichtungen“ der Rassenideologie. Im Purkyně-Institut für Biologie wurde beispielsweise ein Institut für Rassenhygiene eingerichtet, in dem sich ein Karteiarchiv mit Daten über die gemischte deutsch-jüdische und deutsch-tschechische Bevölkerung des Protektorats befand. Daneben beschäftigten sich andere Einrichtungen etwa mit Rassenbiologie, Rassenpsychologie, Rassengesetzen, Rassenstatistik oder Rassenökonomie. Schließlich beauftragte Heydrich den Professor für Geschichte, öffentliches Recht und Volkstumslehre Hans Joachim Beyer mit dem Aufbau eines „Ost- bzw. Südostforschungsinstituts“, das die theoretischen Grundlagen für die Germanisierung und Kolonisierung Osteuropas schaffen und verschiedene Disziplinen bündeln sollte. Unter anderem sollte anhand anthropometischer Messungen die „rassische Qualität“ der Bevölkerung in den besetzten Gebieten untersucht werden, um daraus Rückschlüsse auf eine „Nutzbarkeit“ der Territorien zu ziehen. Heydrich verknüpfte seine Anstrengungen in Prag dabei eng mit dem „Generalplan Ost“, mit dem die Nationalsozialisten die Kolonisierung und Germanisierung der eroberten östlichen Gebiete verwirklichen wollten. Mit dem systematischen Völkermord an den Juden begannen die Nationalsozialisten diesen Plan in die traurige Praxis umzusetzen.
Etwa zwei Monate nach dem Attentat auf Heydrich wurde das von ihm geplante Institut gegründet und „Reinhard-Heydrich-Stiftung“ genannt.
Der Umbau Prags zu einer germanischen Stadt
Heydrichs Amtsantritt als Reichsprotektor markierte eine Zäsur hinsichtlich vieler Aspekte im Protektorat. Prag sollte nach den Vorstellungen Heydrichs so bald als möglich „judenfrei“ werden. Nicht einmal drei Wochen nach Heydrichs Ankunft in Prag erfolgte der erste Transport nach Theresienstadt. Die Germanisierung Prags und des Protektorats sollte beispielhaft dafür werden, was Heydrich für ganz Ost- und Südosteuropa im Sinne hatte.
Nicht zuletzt sollte Prag auch äußerlich den Ansprüchen der NS-Ideologie entsprechen, wie die Ausstellung eindrücklich dokumentiert. Die Koexistenz deutscher und tschechischer Architektur, jeweils auch Ausdruck nationaler Identitäten, war von den Nazis schließlich unerwünscht. Im Dezember 1941 kam NS-Stararchitekt Albert Speer für einen Tag zu Besichtigungen nach Prag, woraufhin er ambitionierte Pläne entwickelte, die jenen für Berlin nicht unähnlich waren: die Schaffung breiter Magistralen und die Errichtung monumentaler Gebäude für öffentliche NS-Institutionen, die den deutschen Herrschaftsanspruch auch architektonisch unterstreichen sollten.
Heydrich als „Workaholic“
Neben den Plänen zur „Neuen Weltordnung“ wirft die Ausstellung im Karolinum auch ein Licht auf die Person Reinhard Heydrich selbst. Mit seiner Ernennung als stellvertretender Reichsprotektor war Heydrich in die erste Reihe der politischen NS-Führungsschicht aufgestiegen. Heydrichs Aktivitäten in seinen verschiedenen Funktionen im politischen sowie (geheim-)polizeilichen Apparat des Dritten Reichs erstreckten sich auf Berlin, Prag und weitere Städte im besetzten Europa, wodurch sein Terminkalender unablässig gefüllt gewesen sein muss. Nachvollziehen lässt sich dies anhand eines fiktiven Tagebuchs, das sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht, in der er als „Workaholic“, also als arbeitssüchtig bezeichnet wird. Neben seinen offiziellen Tätigkeiten besuchte Heydrich häufig kulturelle Veranstaltungen im Reich, mit einer Vorliebe für klassische Musik (Heydrichs Vater war Komponist), und sorgte sich um seine Familie.
Die Zeitachse der Ausstellung endet schließlich mit der Vernichtung des Dorfes Lidice am 10. Juni 1942, 18 Tage nach dem Attentat und sechs Tage nach Heydrichs Tod. „Der Anschlag auf Reinhard Heydrich, den die deutsche Propaganda als Attentat bezeichnete, war nicht nur die Liquidierung eines prominenten SS- und Polizeiführers des Dritten Reiches. Im Prager Kontext war es die Beseitigung des Kopfes eines Systems, das der Welt eine neue Vision des totalen Sieges der überlegenen Rasse über die unterlegenen Individuen, Nationen und Länder geben sollte“, sagt Ausstellungskurator Štingl.
Im Rahmen der „Operation Anthropoid“ wurden die Fallschirmspringer der tschechoslowakischen Exilarmee Jan Kubiš und Jozef Gabčík aus Großbritannien im Dezember 1941 in ihre Heimat eingeschleust, um am Morgen des 27. Mai 1942 einen Anschlag auf den „Stellvertretenden Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich zu verüben. Acht Tage später – am 4. Juni – erlag Heydrich den schweren Verletzungen, die ihm durch die Explosion einer Handgranate in unmittelbarer Nähe seines Mercedes – auf dem Weg zur Prager Burg – zugefügt worden waren. Es war der einzige erfolgreiche Anschlag auf ein Mitglied der NS-Führungsriege zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Rache der Nazis war von unvorstellbarer Grausamkeit: Die gesamte männliche Bevölkerung sowie ein Großteil der Frauen und Kinder der Ortschaften Lidice und Ležáky wurde im Juni 1942 ermordet, der Rest verschleppt. Die Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Hunderte weitere Tschechen wurden landesweit festgenommen und in Konzentrationslager deportiert. Die beiden Attentäter Kubiš und Gabčík wurden verraten und ihr Versteck in der Kirche St. Cyrill und Method flog auf. Am 18. Juni 1942 starben sie während der gewaltsamen Erstürmung der Kirche durch die Waffen-SS.
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