Inspiration und Spaß

Unter den Künstlern des heutigen Prags hat kaum jemand so viele und so spektakuläre Spuren im Stadtbild hinterlassen wie er: David Černý. Manchmal einfach witzig, manchmal provokativ und dabei manchmal auch die Grenzen des guten Geschmacks austestend – der Bildhauer und Installationskünstler ist jedenfalls nie langweilig.

Seit Anfang April dieses Jahres hat er sich ein eigenes Museum gegönnt, das Musoleum David Černý (Musoleum Davida Černého) an der Nádražní 2584/2 in Prag 5. Das scheint ein Indikator für ein hohes Selbstbewusstsein sein, sagt der Künstler doch dazu: „Ich hoffe, die Touristen kommen darauf, dass es ganz eindeutig nichts anderes in Prag zu tun gibt, als in mein Musoleum zu gehen.“ Černý wäre nicht Černý, wenn er sich dafür nicht einen besonderen Ort ausgesucht hätte. Den fand er im Stadtteil Smíchov in einem ehemaligen, seit dem Ende des Kommunismus immer mehr verfallenden Industriegebiet, das gerade zwecks Gentrifizierung der Abrissbirne anheim fällt. Černý sicherte sich eines der wenigen noch erhaltenen Gebäude, das aufwendig renoviert und umgebaut wurde. Es handelt sich um die alte,im Jahr 1907 erbaute Destillerie oder Schnapsbrennerei – auf Tschechisch: Lihovar

Und Lihovar soll auch der große Wohnungs- und Bürokomplex heißen, der nun rund um das Musoleum entstehen wird, und das dann neben einem alten nahegelegenen Ziegelschornstein das einzige überlebende Gebäude aus der „alten Zeit“ sein wird. Rechts sieht man ihn vom Treppenhaus des Musoleums aus. Bald wird er von Neubauten umringt sein.Möglicherweise trägt die neue Nachbarschaft später dem Museum noch mehr Besucher zu, aber auch ohne das ist der Andrang seit Eröffnung recht groß. Denn der Besuch verspricht (handwerklich perfekte) Kunst mit Entertainmentfaktor und Erlebniswert Und man muss feststellen, das die Alte Destillerie ein ideales Ambiente dafür bietet.

Und was kann man drinnen in neuen Musoleum sehen? Nun, man bekommt viel geboten und sieht zum Beispiel recht viele Modelle von bekannten Werken des Künstlers, die man größtenteils auch im Original im öffentlichen Raum der Stadt bewundern kann (allerdings nicht von solch einer Nähe), und von denen wir unter anderem diese hierhierhierhierhierhierhier und hier bereits vorstellten. „Die Idee war, all die Sachen loszuwerden, die in meinem Studio standen. Daher handelt es sich auch um eine Lagerhalle,“ meinte der Künstler anlässlich der Eröffnung.

Das war sicher nur mit einem Augenzwinkern vorgespielte Bescheidenheit, denn man bekommt hier schon Dinge zu sehen, die man sonst nicht zu sehen bekommt, und dazu einen Überblick über das Gesamtwerk Černýs. Manche Modelle sind Vorstufen ode verkleinerte Versionen der Großwerke, die man im öffentliche Raum sehen kann – etwa das in einer Vitrine untergebrachte verkleinerte Modell des Liegestützen machenden Londoner Busses, der sogenannte London Booster, den Černý für die Olympischen Sommerspiele 2012 angefertigt hatte. Das Original, das aus einen originalen Londoner Bus montiert wurde, hätte hier natürlich keinen Platz gehabt.

Ähnliches gilt für die Skulptur Quo Vadis, die man im großen Bild oben sieht. Das Original steht heute auf dem Gelände der deutschen Botschaft in Prag (wir berichteten hier). Der Künstler machte sich dabei ein wenig über das lustig, was den Prager als Erinnerung an die vielen Flüchtlinge aus der „DDR“ blieb, die 1989 in die Botschaft geflohen waren, um ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Das führte dazu, dass die ganze Stadt mit verlassenen Trabis gefüllt war, die von ihren Besitzern für den Weg zur Freiheit zurückgelassen worden waren. Černý hatte daraufhin seinen auswandernden Trabi auf vier Beinen auf dem Altstädter Ring aufgestellt, von wo er 2002 auf das Botschaftsgelände gebracht wurde. Der Preis dafür wae, dass ihn der Normalbesucher nun nicht mehr aus der Nähe betrachten konnte. Jetzt kann jeder Besucher den Trabi (und seine männlichen Primärgeschlechtsmerkmale!) sich intensiv zu Gemüte führen kann. Auch die noch berühmteren krabbelnden Babies (Miminka), die seit 2000 in schwindelerregender Höhe am Fernsehturm Žižkov (Žižkovská televizní věž) angebracht sind (auch hier), kann man nun – in nicht ganz so hoher Höhe – auf der Außenfassade des Musoleums bewundern (Bild links).

Und man bekommt Dinge zu sehen, die man sonst so nicht sehen bekommt. Vieles dabei unterstreicht den zurecht erworbenen Ruf Černýs, das enfant terrible der tschechischen Kunstszene zu sein. Seine Vorliebe für Darstellungen oder Anspielung primärer Geschlechtsmerkmale hat schon manch braven Bürger verstört. Aber sie haben doch immer einen Hintersinn, der zum Nachdenken animiert. So die Serie Origins of the World von 2020, bei der es sich um eine Serie von 140x180cm großen Reliefskulpturen handelt, die in verschiedener Form und mit verschiedenen Materialien die weibliche Vagina präsentieren. Das besonders realistische Abbild rechts trägt dabei den passenden Titel Pussy II. Für den Künstler ist das Austesten von Grenzen eine Frage des Prinzips – nicht zuletzt, weil ihm die einengende Atmosphäre und die Prüderie der Zeit des Kommunismus noch in Erinnerung ist.

Man könnte an dieser noch viele Beispiele für das sehr abwechslungsreiche und originelle Oeures des Bildhauers Černý vorstellen (die man sich aber dann doch besser vor Ort ansehen sollte!). Das würde aber der Spannbreite seines künstöerischen Schaffens nicht gerecht. In den letzten Jahren beteigt sich der Künstler an immer mehr originellen Architekturprojekten, die zum Teil gigantische Ausmaße annehmen. Der interessanteste Teil der Ausstellung ist daher möglicherweise ein kleiner Raum, in dem sich Modelle der Projekte befinden, die zum Teil noch in der Planungsphase sind. So etwa die Verbindungsbrücke zwischen zwei neuen Hochhäusern im Stadtteil Vysočany, die in Form einer alten Dampflokomotive gestaltet ist (in Anspielung auf ein Eisenbahnunglück von 1895). Das, was man im Modell links sieht, steht wohl schon am Anfang der Realisierung. Andere, etwa ein riesiges Modell eines Dampfschiffs, das sich auf den Bug gestellt an einen Wolkenkratzer lehnt, sind noch im Anfangsstadium der Planung. Vielleicht wird man irgendwann einmal sagen, dass seit der Barockzeit niemand das Stadtbild Prags so kühn geprägt haben wird wie Černý.

Anscheinend hat er auch vor, der unmittelbaren Umgebung in Smíchov seinen Stempel aufzudrücken. Von dem kleinen Raum, in dem die Architekturmodelle stehen, kann man nämlich ein anderes Etablissement des umtriebigen Künstlers sehen: Die MeetFactory, ein von ihm hier 2005 ins Leben gerufenes internationales Kultur und Projektzentrum für modernes Kunstschaffen (Bild rechts). Das Gebäude hat durch die beiden roten, wie Fleischstücke designten Autos, die an der Fassade am Haken hängen, den typischen Černý-Touch. Der Künstler plant, die MeetFactory durch eine von ihm gestaltete Fußgängerbrücke mit dem neuen Musoleum zu verbinden. Dazu müsste eine Bahnlinie überquert werden und die Bahnverwaltung hat sich noch nicht erweichen lassen, das zu genehmigen – schade!

Zurück zum Musoleum selbst. Die Hauptausstellung befindet sich in einem großen und vierstöckigen Atrium, Aber selbst auf den Balkonen stehen Kunstwerke, Die Industriearchitektur der Schnapbrennerei verschmilzt mit der Kunst und es wurde dafür gesorgt, dass sich die restliche Einrichtung dem anpasst. Man muss sich nur die schicke und neon-gestylte Cafeteria im Erdgeschoss en detail ansehen, um auch dort alte Maschinenteile der Destillerie zu entdecken. Die Cafeteria selbst ist klein, aber fein, und offeriert interessante Kaffeespezialitäten und ein Auswahl von besonderen Backwerken der isländischen Spitzenbäckerei Arctic, die in Prag drei Filialen betreibt.

Ohne bestreiten zu wollen, dass Černý tatsächlich ein Talent zur Selbstvermarktung hat, lässt er in seinem Musoleum auch Raum für andere begabte Künstler. Ein Nebenraum im ersten Stock ist für Wechselausstellungen reserviert. Zur Eröffnung des Musoleums hat man sich passend eine Ausstellung des Photographen Dan Materna ausgesucht. Der hatte vor Baubeginn unbeschränkten Zugang zum Gebäude der verfallenen Brennerei bekommen und dokumentierte das, was noch davon übrig geblieben war, in pittoresken Bildern, die nun ausgestellt wurden (siehe Bild links). Ein guter Auftakt!

„Tu, was dir Spaß macht und „inspiriere“ die Welt um dich herum!“, soll Černý einmal gesagt haben. Das meint er so, muss man feststellen, wenn man die Ausstellung tatsächlich bespaßt und inspiriert wieder verlässt. Černýs Botschaft ist ein unangepasster Individualismus, der vor wenig zurückschreckt und auch undogmatisch nach allen Seiten austeilt. Ob gottlose Kommunisten oder gläubige Traditionalisten, er provoziert sie alle. Letztere möglicherweise mit der frech-frevelhaften Fiberglass-Skulptur in Plastikfolie mit dem Titel Jesus Christ von 1993, das den Erlöser wie eine zusammensetzbare Figur eines lebensgroßen Modellbastelsets aussehen lässt. Ja, es wurde Zeit, dass es ein Museum mit seinen Werken gibt. Und jetzt ist es da! (DD)

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