- Hans Weber
- November 1, 2024
Jugendstil auf dem Sprung zur Moderne
Selbst das Stuckrelief der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind über der Tür – ein durchaus konventionelles Sujet – kann nicht über die Modernität des Gebäudes hinwegtäuschen. Wie sehr der Jugendstil die funktionalistische Moderne vorbereitete, kann man an dem Wohnhaus in der Ondříčkova 1177/3 im Stadtteil Žižkov (Prag 3) beobachten. In der „geometrischen“ Spätphase hatte sich der Jugendstil von den üppigen floralen Schmuckelementen der Frühphase gelöst und ging allmählich in neue Stilformen über.
Das vierstöckige Gebäude wurde im Jahre 1907 nach den Plänen des Architekten Bohuslav Homolač durch den Bauunternehmer František Jareš gebaut. Sieht man die Fensterumrahmungen und das Marienbild nebst der es umgebende Ornamentik, kann man das Haus natürlich ganz eindeutig dem Jugendstil zuordnen. Aber schon der dreieckig nach vorne ragende Dachvorbau über Tür und Maria könnte nahtlos in jedes Gebäude der auf den Jugendstil folgenden Stile des Art déco oder des Prager Kubismus eingefügt werden.
Dabei spielt die Fassadenstruktur mit den säulenhaft geordneten Fenstern und Balkonerkern und dem Giebel durchaus auch klassizistische Vorbilder an. Aber in seiner Strenge und weitgehenden Schnörkellosigkeit (der ursprüngliche Plan, über dem Giebel eine Skulpturengruppe zu platzieren, wurde fallengelassen) passt sich das in eine fast schon funktionalistische Ästhetik ein. Umbauten im Jahr 1935 (als in Prag der „echte“ Funktionalismus in Mode kam), die auch die Fassade betrafen, unterstrichen diesen Eindruck noch einmal. Dabei wurde unter anderem das ursprünglich zweigeteilte Fenster im Giebel in die heutige einfache Gestalt gebracht, ohne dass das zu einem Stilbruch führte. (DD)
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