Kafkas Wohnung und amerikanische Botschaft

Monarchie und Republik in seltener Eintracht: Die Flagge der USA unter dem Wappenlöwen des Königreiches Böhmen samt Krone obendrauf! Dieser Widerspruch, mit dem man hier offensichtlich gut leben kann, ist der Preis dafür, wenn man sich in Prag für eine wichtige Botschaft ein angemessenes Gebäude sucht.

Denn bei der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Prag handelt es sich um den bedeutenden Schönborn Palast (Schönbornský Palác) in der Tržiště 365/15 auf der Kleinseite. Der Palast, der zu den größeren der an Palästen reichen Umgebung gehört, wurde um 1643 bis 1653 für Rudolf Hieronymus Eusebius Reichsgraf von Colloredo-Waldsee gebaut, und zwar durch den eher als Festungsbauer bekannten Architekten Giovanni Pieroni da Galiano. Der Graf hatte 1648 sich als kaiserlicher Gouverneur von Prag um die Verteidigung der Stadt bei der Belagerung Prags durch die Schweden im Dreissigjährigen Krieg verdient gemacht.

Auf dem Grundstück hatten sich zuvor fünf größere Renaissance-Häuser (von denen man bei einer Renovierung 2000/2001 etliche Fragmente fand) befunden. Das erklärt gleichermaßen, warum der neue Palast so groß angelegt werden konnte, und warum der Grundriss des Gebäudes so unregelmäßig ist. Das alles kann man übrigens sehr schön vom Petřín-Berg aus sehen, an dessen Hang sich das Grundstück befindet. Auch erkennt man das große ummauerte Gartengelände, das sich auf dem Areal eines ehemaligen Weinberg befindet.

Ein Nachfahre von Reichsgraf Rudolf, Hieronymus Graf von Colloredo-Waldsee, ließ in den Jahren 1715 bis 1718 den Palast modernisieren und umbauen. Er heuerte dafür mit Giovanni Battista Alliprandi und Johann Blasius Santini-Aichl zwei der bedeutendsten Architekten des Hochbarock an. Das (heute leider nicht zugängliche) Innere wurde durch reiche Stuckaturen, die teilweise noch existieren, ausgeschmückt, und die Fassade zur Straße bekam jene prachtvolle Ausstattung, die wir heute bewundern können. Der palast wechselt bald darauf in schneller Folge die Besitzer, bis er im Jahre 1794 zum Eigentum der Adelsfamile Schönborn wurde, wodurch er seinen heutigen Namen erhielt. Der Erhalt eines so großen Palastes verschlingt bekanntlich viel Geld. Im Jahre 1910 beschloss die Familie, dass man zum Erhalt auch Geld verdienen müsse, und deshalb ein Großteil der Räume als Wohnraum vermietet werden solle.

Dadurch wurde das Wohnen im Palast auch für Menschen mit kleinem Geldbeutel erschwinglich. Und genau deshalb kann sich der Palast heute rühmen, dass kein Geringerer als der Schriftsteller Franz Kafka hier eine zeitlang lebte. Der fand ja normalerweise die meisten Orte, in denen er wohnte, deprimierend. Aber hier geriet er in ungewöhnlicher Weise ins Schwelgen. So schrieb er 1917 in einem Brief an seine Verlobte Felice Bauer: „Ich betrat die Immobilienagentur, wo man mir fast sofort von einer Wohnung in einem der schönsten Paläste erzählte. Zwei Zimmer, ein Flur, von dem die eine Hälfte zu einem Badezimmer umgebaut wurde. Sechshundert Kronen im Jahr. Es war wie ein wahr gewordener Traum. Ich bin dort hingegangen. Zimmer groß und schön, rot und gold, fast wie in Versailles. Vier Fenster zu einem ruhigen, versteckten Innenhof, ein Fenster zum Garten. Was für Gärten!“ Aber am Ende erwies sich Ort doch nicht als ein echtes Glücksomen. Hier, in den ungeheizten Räumen, bekam er erstmals einen Blutsturz, der den Beginn einer schweren (und damals unheilbaren) Tuberkulose markierte. Nach kurzer Zeit zog er wieder aus und verbrachte danach die meiste Zeit in Sanatorien. Zu allem Überdruß zog er sich im Herbst 1918 die Spanischen Grippe zu. 1924 starb er in einem österreichischen Sanatorium.

Aber: Der kurze Aufenthalt hier macht seither den Palast zu einem der Pilgerorte, die zu sehen kein Kafka-Verehrer verabsäumen darf. Schon zwei Jahre nach dem Aufenthalt Kafkas im Palast verkaufte im Jahr 1919 Karl Johann Graf von Schönborn Palast und Anwesen an den amerikanischen Millionärssohn Richard Teller Crane, der zu dieser Zeit zum ersten US-Botschafter in der neu gegründeten Tschechoslowakei wurde.

Seine Zeit als Botschafter endete 1921 und 1924 bot er der US-Regierung den Palast als Gebäude für eine repräsentative Botschaft und Botschafter-Residenz zugleich an. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude nominell von der neutralen Schweiz verwaltet, aber 1945 kehrte mit Laurence Adolph Steinhardt wieder ein US-Botschafter ein (dem man später vorwarf, diplomatisch zu wenig gegen die kommunistische Machtergreifung 1948 getan zu haben). Der beschloss eine Trennung von Botschaft und Residenz. Für letzteren Zweck ließ er 1948 die Villa Otto Petschek (Vila Otto Petschka) kaufen, die seither Residenz ist. Der Schönborn Palast blieb – auch in kommunistischen Zeiten – Botschaft; bis heute. Ein Kuriosum: Während die Stadt Prag es verabsäumt, an den meisten Häusern (mit Ausnahme des Geburtshauses), in denen Kafka gelebt hat, eine Gedenkplakette anzubringen, hat die am Schönborn Palast die US-Botschaft auf eigene Initiative (man sieht es am amerikanischen Amtssiegel) eine solche an der Wand zur Straße befestigt!

Die US-Flagge blieb in den finsteren Zeiten des roten Terrors ein Freiheitssymbol für viele Bürger der Tschechoslowakei. Um sie weithin sichtbar wehen zu lassen, hisste die Botschaft sie (und tut es bis heute) auf der sogenannten Gloriette. Dieser Gartenpavillon gehörte von Anfang an zum Palast und wurde daher auch nach den Plänen von Giovanni Pieroni da Galiano erbaut. Die Flagge auf dem Bauwerk an der Außenmauer des Grundstücks ist weithin über die riesige Parkanlage am Petřín-Berg. Da sie ja unter diplomatischem Schutz stand, mussten die Regierenden tolerieren, dass die Untertanen sich hier an einem Freiheitssymbol delektieren konnten.

Die Freiheit kam 1989 mit dem Ende des Kommunismus. Dafür wurden die Botschaft und ihr Gebäude immer mehr in ihrer Freiheit beschränkt. Da US-Botschaften leider oft das Ziel terroristischer Angriffe sind, ist es nicht möglich, das Innere im Rahmen einer Führung zu besichtigen. Die Botschaft bedauert das zutiefst. Gerade die Kafka-Zimmer wären sicher eine beliebte Destination für Besucher. Und vor der Botschaft wird die Straße Tržiště ständig bewacht. Es gibt ausfahrbare Poller und jedes Auto, das das Gebäude passieren will, wird von Polizisten kontrolliert.So geht der Öffentlichkeit ein kulturelles Juwel verloren. Hoffen wir, dass irgendwann bessere Zeiten kommen. (DD)

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