Kapelle im Bollwerk

Der Vyšehrad, die alte Prager Burg im Süden, ist so etwas wie ein geheiligtzetr Ort. Als Sitz des Kollegiatskapitels und durch die große St.-Peter-und-Paul-Basilika (Bazilika sv. Petra a Pavla) zog das Areal geradezu neue Sakralbauten an. Und dazu gehört auch die Kapelle zur Lieben Frau an der Schanze (Kostel Panny Marie Šancovské), in der V Pevnosti 9/3 – ganz nahe an der berühmten romanischen Rotunde des Heiligen Martin (Rotunda sv. Martina).

Ja, die Kapelle ist eindeutig nicht so alt wie die Martins-Rotunde, aber sie steht immerhin dort, wo es schon im späten 13. Jahrhundert eine kleine gotische Kirche gab, die dem heiligen Johannes dem Täufer gewidmet war. Die wurde während der Hussitenkriege zerstört, aber schon im 15. Jahrundert wieder aufgebaut. Ihr Ende nahte 1654, denn nach der Erfahrung der Belagerung Prags durch die Schweden im Jahr 1648 wurde in diesem Jahr bis 1680 der Vyšehrad zu einer modernen Barockfestung mit starken Bollwerken umgebaut. Teile des Innenraums der Kirche blieben teilweise in der Mauer erhalten, der Rest verschwand. Heute gibt es einen (immer verschlossenen ) Eingang hinter der heutigen Kapelle, der theoretisch Zugang böte. Aber immerhin befindet sich daneben eine bronzene Gedenkplakette an die alte Johanneskirche (Bild oberhalb links).

Um 1750 wurde die nunmehr barocke Kapelle der Lieben Frau an der heutigen Stelle erbaut. Dazu entstand 1764 eine Sakristei, die mit der Kapelle durch einen Korridor verbunden war. Beides gibt es aber nicht mehr. Die Marienkapelle sollte als Wallfahrtskapelle fungieren und in ihre Apsis sollte eine schon 1725 entstandene Statue der Heiligen Jungfrau des Schnitzers Simon Thaler aufgestellt werden, die aber schon 1784 in die (damals noch barocke) Peter-und-Pauls-Basilika gebracht wurde, in deren neogotische Nachfolgebau sie heute noch steht. Im gleichen Jahr kamen auch die Kirchenreformen von Kaiser Joseph II., die in einer Säkularisierung (sprich: Enteignung) von Kirchenbesitz mündete. Der Kapelle widerfuhr nun das Schicksal, ein bloßes Lager und Munitionsdepot für die Garnison der Festung zu werden.

1866 endete allerdings auch die Festung als Festung im eigentlichen Sinne. Das Gelände wurde zivil. 1882 beschloss das Kollegiatskapitel der Basilika, die Kapelle durch Kauf in den Schoss der Kirche zurückzubringen. Der sehr energische Domherr Mikuláš Karlach (wir berichteten über ihn) trug dabei die Kosten. Und so konnten schon im Jahr 1883 die Architekten Antonín Baum und Bedřich Münzberger (dem wir unter anderem die große Palacký Brücke über die Moldau verdanken) die Kapelle im neobarocken Stil wieder herrichten. Da sie der Jungfrau Maria gewidmet blieb, prangte nun ein vergoldetes „Ave Maria“ über dem Eingang. Allerdings wurde die ursprüngliche Marienstatue nicht wieder zurückgebracht. Drinnen findet man heute lediglich eine sogenannte Lourdesgrotte. Diese Art von Marienkultstätte ist in dieser „standardisierten“ Form weltweit verbreitet und geht auf das Erscheinen der Jungfrau Maria in einer Grotte nahe des südfranzösischen Ortes Lourdes zurück, von der 1858 Bernadette Soubirous (später zur Heiligen Bernadette befördert) berichtete. Die Marienstatue geht auf den Bildhauer Joseph-Hugues Fabisch, der das Original 1864 nach den Beschreibungen Bernadettes anfertigte.

Die Lourdesgrotte weist das Gebäude weiterhin ganz klassisch als Wallfahrtsort aus. Aber es gibt auch noch richtige Besonderheiten. Etwa die achteckige Laterne (Turm) auf dem Dach mit einem vergoldeten Patriarchenkreuz über einer Krone. Darunter sieht man einen Adler mit Zepter und den zweischwänzigen böhmischen Löwen (wir berichteten hier) mit einem Schwert. Überhaupt ist die Kapelle aufgrund seiner Lage innerhalb der alten Festungsanlage ein originelles Stück Architekur. Ursprünglich hieß sie ürbingens meist Kaple Panny Marie v hradbách (Kapelle zur Lieben Frau am Bollwerk). Als die Festung 1866 aufgehoben wurde und nun Ausflügler auf den Mauern lustwandelten (schöne Aussicht!), bürgerte sich statt Bollwerk der Begriff šance (Schanze) ein, der der Kapelle den heute gängigen Namen gab. Das Wort kann auch „Zufall“ (Chance) bedeuten, woraus man wohl früher gerne ein Wortspiel machte. (DD)

Source

Recent posts

See All
  • Hans Weber
  • October 25, 2024

The BRICS Summit in Kazan: Shifting Geopolitical Dynamics and the Decline of the “West”

  • Hans Weber
  • October 25, 2024

Hungary’s National Day: Celebrating the Legacy of the 1956 Revolution and Hungary’s Pivotal Role in Today’s Europe, as they currently hold the presidency of the EU

  • Hans Weber
  • October 25, 2024

Austrian National Day: A Celebration of Peace and Unity

Prague Forum Membership

Join us

Be part of building bridges and channels to engage all the international key voices and decision makers living in the Czech Republic.

Become a member

Prague Forum Membership

Join us

    Close