- Hans Weber
- December 18, 2024
Kein Kelch
Auf den ersten Blick könnte man an das Erbe des Hussitentums denken, das den Laienkelch als wichtgstes religiöses Symbol in den Mittelpunkt stellt. Aber dieses schöne Hausschild mit einem kelchähnlichen Gefäß stammt aus dem späten 18. Jahrhundert. Da waren im katholischen Habsburgerreich solche reformatorischen Zurschaustellungen undenkbar.
Wie erklärt sich denn dann diese Verzierung des Haus in der Nerudova 212/16 auf der Prager Kleinseite? Ganz einfach: Es handelt sich um keinen Kelch und es geht auch nicht um Religion. Das erkennt man schon den dem Namen dieses schmalen dreistöckigen Wohnhauses, das seit jeher Haus zur goldenen Tasse (dům U Zlaté číše; so steht es ja auch auf dem kleinen Banner darunter) oder auch Haus zum Goldenen Pokal (dům U Zlatého poháru) genannt wird. Man mutmaßt, dass hier zu der Zeit, als das Zeichen angebracht wurde, hier ein Goldschmied seine Werkstatt hatte. Solche in Stuck umrahmten Hausschilder dienten in den Zeiten, als Hausnummern noch nicht erfunden waren, als Ersatz für dieselben, wenn es um das Auffinden von Adressen ging (mehr dazu hier). Gleichzeitig sollten sie oft für das Gewerbe werben, das im Haus betrieben wurde. Und der Goldbecher oder -pokal war sicher eine gute Werbung für Goldschmiede. Das Gefäß sieht halt ein wenig wie ein Kelch aus, ist es aber nicht. Wir wissen von Danny Kaye, wie schwer es ist, Becher, Kelche und Pokale auseinanderzuhalten.
Das Haus ist darüber hinaus auch interessant, weil es seine Baugeschichte transparent vor sich her trägt. Ursprünglich stand hier ein Haus aus dem 14. Jahrhundert, aber das verschwand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – möglicherweise beim Großen Feuer von 1541. Es erfolgte der Neubau im Stil der Renaissance, der immer noch den Kern dees heutigen Gebäudes bildet. In dieser Form konnte es man wohl bis in die Zeit um 1780 bewundern. In dieser Zeit erfolgte ein Umbau, der vor allem auch die Fassade betraf, die nunmehr frühklassizistisch gestaltet wurde, was man an dem formschönen Giebel besonders gut erkennen kann.
Beim Erdgeschoss, wo übrigens ein gutes Buchantiquariat residiert, kann man die beiden Bauphasen erkennen, wie das Bild links zeigt. Der heutige Ladeneingang (rechts) ist schwungvoll umrahmt und wurde eindeutig um 1780 so gestaltet – so wie auch die darüber befindliche Kartusche mit der Tasse. Der eckigere Hauseingang (links) mit dem wohl später hinzugefügten barocken Gitter im Oberlicht ist schlichter gehalten und stammt wohl noch aus der Renaissance-Zeit – als Dokument eines Stücks Prager Stadtgeschichte. (DD)
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