Keine in Nutzung in Sicht (nicht einmal als Bordell)

Immer mehr verfällt dieses einzigartige Industriedenkmal Prags, dessen eigentlicher Zweck obsolet geworden ist, für das man aber auch noch keine neue Nutzung hat finden können: Das Eishaus von Braník (Branické ledárny).

Wenn man früher etwas Kühles trinken oder essen wollte, oder gar Lebensmittel und Arzneien lange frisch halten wollte, was machte man da eigentlich? Der erste moderne Kühlschrank wurde zwar schon 1873 von Carl Linde erfunden, doch noch lange verhinderten mangelnde Elekrizifierung und die nicht immer vorhandene Kapazität, Eis in Massen herzustellen, dessen Ausbreitung. Man behalf sich zunächst mit der Lagerung von im Winter eingesammelten Eises in sogenannten Eiskellern, woraus sich dann in den Zeiten industrieller Massenproduktion moderne und großräumige Eishäuser als Fabriken entwickelten. Das Prag eine derartige Anlage zur massenhaften Speicherung von Eis benötigte, ist eigentlich völlig klar.

Prag ist ja eine Stadt der großen Bierkultur. Dass man da geradezu notwendig die Möglichkeit für Kühlung benötigte, ist erklärt sich von selbt. Seit 1883 gab es auf der Insel Štvanice nördlich der Altstadt ein großes Eishaus, aber das verfügte nach einiger Zeit nicht mehr über die Kapazitäten und war auch sonst nicht mehr technisch auf dem neuesten Stand. So war etwa die Holzbauweise zur Kältespeicherung eher ungeeignet. Nach rund 20 Jahren Betrieb war die Kapazität erschöpft und für die modernen Anforderungen nicht mehr hinreichtend. Die Holzbauweise hat zudem wohl mit dazu beigetragen, dass man heute keine Spur mehr dieses Industriedenkmals sehen kann.

Es waren vor allem Kneipiers und Gastronomen die daraufhin eine Akciové ledárna (Aktieneishaus) gründeten, um eine neue Ledárna aufzubauen. Die Bezeichnung der Aktiengesellschaft befindet sich kaum leserlich und etwas von Bäumen überwachsen immer noch auf einer der Außenwände. Die Eishaus Aktiengesellschaft schritt sofort zur Tat und kaufte ein großes Grundstück von rund 90 mal 180 Quadratmetern an der Straße Ledařská im Vorort Braník (das erst 1922 von Prag eingemeindet wurde).

Das Areal am dortigen Moldauufer hatte zwei große Vorteile, nämlich dass die Temperatur des Wassers des Fluss dort zu den kältesten der Stadt gehörte, und dass eine kleine Bucht, die bis an die Firmentore reichte, den Transport des abgebauten Eises per Fließband ermöglichte. Der Architekt Josef Kovařovič (wir erwähnten ihn bereits u.a. hier) bekam den Auftrag für die geeigneten Pläne zu sorgen und 1909 begann die Baufirma des Unternehmers und Architekten Václav Nekvasil (siehe frühere Beiträge u.a. hier und hier) mit dem Bau, der 1910 abgeschlossen war. Auch wenn das Gebäude heute arg heruntergekommen und verfallen ist, ahnt man noch die feine Jugendstil-Architektur, mit dem man das Industriegebäude damals stilgerecht ausschmückte.

Dass „Gebrauchsarchitektur“ immer noch schön und aufwendig gestaltet wurde, war allerdings damals gang und gäbe. Aber es gab auch eine Reihe von technischen Raffinessen. Das Eis wurde in den Wintermonaten eingelagert und musste dann so gelagert werden, dass es bis zum Sommer bzw. nächsten Winter den gefrorenen Aggregatzustand beibehielt. Die Moldau war in den Wintermonaten mit dicken Eis bedeckt. Das wurde aufgebrochen und grob zerteilt auf ein dampfgetriebenes Fließband geschafft, dass von der kleinen Bucht aus das Eis ins Innere des Gebäudes schaffte. Drinnen konnten bis zu 20.000 Tonnen gelagert werden. Die Kühlräume waren nicht nur mit Kork isoliert, sondern wurden auch von einer fast einen Meter dicken Luftisolierung im Boden geschützt. Ein kluges Belüftungssystem und ein ebenso kluges System der Ableitung von geschmolzenen Wasser sorgten für ein Minimum an Verlust durch schmelzen.

Es gab neben der rechts abgebildeten „Villa“ des Verwalters (die besonders mit Jugendstil-Ornamenten ausgestattet ist) die mit Liften ausgestatteten Kühlräume, die in der damals äußerst innovativen Stahlbetonskelett-Technik erbaut wurden. Und es gab Unmengen von Pferdestellen, um die 120 Kutschen des Unternehmens in Betrieb zu halten. Denn die Geschwindigkeit war bei der Verteilung des schnell dahinschmelzenden Materials geradezu das A und O.

Auch wenn die Aktiengesellschaft von Gastronomen gegründet wurde, belieferte die Ledárna nicht nur Gaststätten und Brauereien, Das Eis wurde auch an Krankenhäuser, Restaurants, Betriebe zur Verarbeitung von Lebensmitteln oder Schlachtereien verkauft, sogar selbst an private Haushalte. Das Lagern und Liefern von Eis versprach ein Geschäft von unendlichen Gewinnmöglichkeiten zu werden. Aber es sollte so nicht sein. Im Laufe der Zeit machte die flächendeckende Elekrifizierung und die Einführung von besseren Kühltruhen der Eishaus-Branche zu schaffen. Hier in Braník kam nach ein lokaler Faktor hinzu. Rund 30km stromaufwärts wurde von 1949 bis 1955 die große Talsperre Slapy (Přehrada Slapy), über die wir hier berichteten, gebaut. Die veränderte den Temperaturhaushalt der Moldau gravierend. Während das Wasser im Sommer insgesamt etwas kühler wurde, wurde es im Winter wiederum um so viel wärmer, dass selbst bei besonders kaltem Wetter das Wasser kaum mehr gefror. Letztlich war das das Ende für die Ledárna, die 1954 ihre Pforten schloss.

Damit begann der allmählige Verfall des Gebäudes, das nunmehr immer mehr zweckentfremdet und vernachlässigt wurde – und das, obwohl es 1964 als Industriedenkmal und Beispiel für Jugendstil-Architektur unter Denkmalschutz gestellt wurde. Eine zeitlang diente es u.a. als Gemüselager der Firma Ovioe zelenina Praha (Obst Gemüse Prag). In den 1980er Jahren dachte man daran, eine Paläontologisches Museum in dem großen Komplex zu eröffnen, aber die Pläne verliefen im Sande. Nach 1989 wechselte das Areal mehrfach den Besitzer. In den 1990 Jahren wollte man hier sogar ein großes Bordell einrichten, um so das Gewerbe aus der Innenstadt zu halten. Der Platz war geräumig und von Nachbar, die gestört werden konnten, ein wenig abgelegen. Außerdem, so meinte man, wäre der Gewerbeport auch per Boot erreichbar. Aber auch diese Pläne wurden wieder sprichwörtlich „auf Eis gelegt.“

Schließlich bot sogar die Stadt Prag Geld auf, um das Ganze zu erwerben. Aber nicht genug Geld, denn ein Investor bot mehr, der aber wiederum wenig bis gar nichts zum Wiederaufbau und einer ordentlichen Nutzung beitrug. Die Denkmalschützer rauften sich die Haare über den Verfall der Ledárna. 2010 legte das Nationale Denkmalpfegeinstitut (Národní památkový ústav) sogar eine Planstudie vor, wie man die Ledárna durch den Bau von Wohnungen und einem Hotel revitalisieren könnte. Auch der wurde nicht umgesetzt. Und so haben sich inzwischen kleine Unternehmen, wie etwa Autowerkstätten und Lagerräume, auf dem Areal eingemietet. die aber den Verfall der Baustruktur nicht aufhalten können.

Auch steht das noch etwas renovierungs- und verschönerungsbedürftige unmittelbare Umfeld einer etwas gehobeneren Nutzung im Wege. Zum Flussufer ist das Areal durchaus grün und idyllisch. Auf den unattraktiven Asphaltflächen finden ab und an Open Air Konzerte statt, aber ein dauerhafter Beitrag zur Entwicklung des Areal ist das nicht. Die Erbauer haben damals ein solides und stabiles Gebäude hinterlassen, aber auch das kann nicht verhindern, dass irgendwann der Zahn der Zeit daran nagt. Jedesmal, wenn man daran vorbeigeht, wirkt das Gebäude wieder um ein Stück verfallener. Es muss bald etwas geschehen, sonst ist wieder einmal ein Stück Prager Industriegeschichte verloren gegangen. (DD)

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