- Hans Weber
- November 1, 2024
Kirche mit wechselvoller Baugeschichte
Die Neustadt (Nové Město) war die von Böhmens großen König Karl IV. 1348 in Angriff genommene große Statdterweiterung Prags. Genauer: Rund um die Altstadt wurde eigentlich eine neue eigene Stadt mit eigenen Rechten gebaut. Und die brauchte natürlich auch eine Kirchen. Da war „think big“ angesagt. Eine der Kirchen sollte sogar größer werden als der Veitsdom auf der Burg. Aber auch die etwas kleinere Kirche St. Stephan (Kostel sv. Štěpána) in der Štěpánská 534/4 kann sich sehen lassen. Auf jeden Fall gehört sie zu den bedeutenderen gotischen Kirchen der Stadt.
Der König ließ sie 1351 durch einen Baumeister namens „Meister Georg“, über den wir sonst nichts wissen, als Pfarrkirche erbauen. Sie löste in dieser Eigenschaft die winzige, romanische Longinusrotunde (wir berichteten hier) ab, die sich nur wenige Meter entfernt befindet. Fertiggestellt wurde sie erst 1394 – lange nach dem Tod des Herrschers. Was da in mehr als vier Jahrzehnten errichtete wurde, war eine große dreischiffige Basilika. Richtig fertig war der Bau aber dann immer noch nicht. Erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts wird erstmals der große Turm an der Westseite der Kirche erwähnt. Karl IV. schenkte der Kirche übrigens Reliquien des namensgebenden Heiligen Stephanus, die er auf einer Romreise erworben hatte. Zudem ließ er einen Teil des Kirchhofs als Pilgerfriedhof weihen, der als Fremdenfriedhof bezeichnet wurde. Den Kirchhof mit seiner Pilgersektion gibt es aber seit der Friedhofsreform von Kaiser Joseph II. in den 1780er Jahren nicht mehr, die aus Gründen der Hygiene und Seuchenprävention innerstädtische Friedhöfe durch große Anlagen außerhalb des Statdtzentrums ersetzte. In der Tat waren die kleinen Kirchhöfe der Statd meist hoffnungslos erfüllt. Allein während der Pest von 1502 wurden bei St. Stephan rund 13-15.000 Tote begraben.
Die Ausstattung der Kirche war von Anfang an prachtvoll. Einige große mittelalterliche Altäre (etwa der schon 1383 gestiftete Wenzelsaltar) gibt es nicht mehr. Dafür wurde in der Zeit des Barock kräftig „aufgerüstet“. Alleine im nördlichen Seitenschiff sind es mehr als vier Altäre, von denen einige von so großen Künstlern gestaltet wurden wie dem Maler Karel Škréta, der Mitte des 17. Jahrhunderts zu den bedeutendsten böhmischen Malern der Zeit gehörte. Die Barockisierung erfolgte schrittweise, beginnend um 1600 nachdem ein Blitz 1593 verheerende Schäden angerichtet hatte. Im großen Stil ging es damit aber erst 1649 – nach dem Dreissigjährigen Krieg – los, als das Interieur völlig umgestaltet und die neuen barocken Altäre aufgebaut wurden.
Deren zentrales Prachtstück ist natürlich der große Hochaltar, den man auch auf dem großen Bild oben bewundern kann. Den Mittelpunkt des elaboriert aus Holz geschnitzten Altars bildet ein Gemälde, das die Steinigung des Heiligen Stephanus darstellt, der um das Jahr 38 n. Chr. zu den ersten frühchristlichen Märtyrern gehörte. Das dramatische Gemälde, das den vonm brutaliserten Mob umringten Heiligen bereits mit verklärtem Blick in Erwartung des Seelenheils zeigt, wurde im Jahre 1669 von dem bekannten (und ursprünglich aus Bayern stammenden) Maler Matthias Zimprecht erschaffen, der es bald sogar zum Vorsitz der Malergilde der Neustadt bringen sollte.
Aber nicht nur die Innenausstattung wurde im Zeitalter des Barock aufgemöbelt. Es kam auch zu Ausbauten und Anbauten. Zu letzteren gehörte eine zusätzliche Seitenkapelle, die man 1678 an der Südseite errichtete. Es handelt sich um die sogenannte Kornel-Kapelle (Kornelská kaple) Das war übrigens die erste Beeinträchtigung der bisher vollkommenen Symmetrie des Kirchenbaus. Spätere Anbauten verstärkten diesen Trend im Laufe der doch recht regen und wechselhaften Baugeschichte noch einmal. Innen befindet sich ein Altar, der – wie der Hauptaltar – wiederum mit Gemälden von Matthias Zimprecht geziert sind.
Schon zuvor hatte man um 1604 auf dem Areal des alten Friedhofs noch einen Glockenturm noch einen externen Glockenturm errichtet. Solche, auch Campanile genannten Glockentürme, die unverbunden neben dem Kirchenschiff stehen, waren in Böhmen seit dem Spätmittelalter sehr weit verbreitet. Der Turm ist sehr massiv aus Stein gebaut (die meisten Türme dieser Art in Böhmen waren nämlich aus Holz konstruiert). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hingen hier vier recht stattliche Glocken, die teilweise aus dem späten 15. Jahrhundert stammten. DIe letzte von Ihnen wurde 1729 gegossen. Drei der vier Glocken wurde jedoch leider während des Zweiten Weltkriegs für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen. Immerhin überlebte die älteste von Ihnen aus dem Jahr 1490 den Krieg.
Im Jahre 1736 gab es abermals einen Anbau an die Kirche und abermals war es eine Kapelle – diesmal aber an der Nordseite der Kirche. Es handelte sich um eine von innen nicht begehbare Nischenkapelle, die von der Neustädter Bürgerfamilie Branberger gestiftet wurde und deshalb auch Branberger Kapelle (Kaple Branbergerů) genannt wird. Drinnen befindet sich ein mit einer Pestsäule versehener Altar, der an die letzte große Pestseuche in Prag im Jahre 1713 erinnern soll, die rund 20.000 Todesopfer gefordert haben soll. Man sieht neben viel Todessymbolik hier Statuen dreier thematisch passender Heiliger, nämlich Rochus (der Heilige der Kranken). Sebastian (ebenfalls ein Patron gegen Seuchen) und die Heilige Rosalia (dito). Von außen ist die Kapelle durch ein schönes, schnörkeliges Barockgitter geschützt.
Aber die große Zeit des Barock ging irgendwann auch vorbei. Besonders in der zweiten Hälfte gehörte die Rückbesinnung auf die goldenen Zeiten der Gotik unter Karl IV. zum guten Ton unter tschechisch-sprachigen Patrioten. Unzählige neogotische Bauten entstanden oder es wurden barockisierte gotische Gebäude manchmal recht phantasievoll re-gotisiert. Letzteres tat man (zumindest teilweise) auch mit der ursprünglich gotischen, aber danach eben schrittweise im Stil des Barock überarbeiteten Kirche St. Stephan. Es begann im Jahre 1866 als man – unter nochmaliger Veränderung der Symmetrie – vor der Nordseite der Kirche einen neo-gotischen Vorbau hinzufügte – der eine Art Seiteneingang mit Treppe (Bild links) bildete
Das war aber nur der Startschuss. In den Jahren 1876 bis 1879 wurde die Kirche vom Architekten Josef Mocker (über den wir schon u.a. hier, hier und hier berichtet haben) gründlich umgebaut. Natürlich ging man nicht an die barocken Altäre (die waren zu kostbar), aber ansonsten war Neo-Gotik angesagt. Mocker war der große böhmische Experte für diesen Stil. Zu den vielen Änderungen, die er lancierte gehört zum Beispiel der Turmaufsatz, der mit seinen Seitentürmchen und Erkern ein wenig an den des Altstädter Brückenturms an der Karlsbrücke oder die Türme der Teynkirche am Altstädter Ring erinnert. Der originale gotische Turm dürfte nicht annähernd so gotisch ausgesehen haben wie dieser neo-gotische von Mocker.
Und einige Renovierungen Mockers blieben zeitlos, etwa das Maßwerk etliche der Spitzfenster und Bögen im Schiff. Und manches von den neo-gotischen Ergänzungen hat inzwischen einen eigenständigen kunsthistorischen Wert, wie zum Beipiel das aufgemalte Maßwerk mit den schönen Fresken oberhalb des Säulengänge, die Szenen aus dem Leben des Heiligen Wenzel (Bild links) darstellen. Spätere Renovierungen in den Jahren 1935-36 und 1974/75 waren etwas zaghafter und versuchten vor allem viel von der ursprünglichen mittelalterlichen Substanz sichtbar zu machen. Gerade die wechselhafte Baugeschichte macht die katholische Gemeindekirche St. Stephan zu einem der interssantesten Kirchengebäude Prags. (DD)
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