Klassiker der tschechischen Küche II: Chlebíčky

Was in einem so noblen Etablissement wie den Büffet des Nationaltheaters serviert wird, muss schon zur höheren Kulinarik gehören. Beim Chlebíček, (bekannter meist in der Pluralform: Chlebíčky), das wir hier sehen können, würden manche Tschechen die Stirn runzeln ob dieser Zuordnung, umweht dem Chlebíček doch der Ruf, eine typische Speise aus den Zeiten der kruden Cuisine der kommunistischen Zeit zu sein.

Aber diese Einschätzung könnte falscher nicht sein. Es handelt sich nicht nur um eine Delikatesse, die klassenübergreifend in Kantinen, Supermärkten, aber eben auch bei Empfängen auf höchster Ebene (das Bild links stammt von einem Empfang im Außenministerium) serviert wird. Die Chlebíčky werden von allen großen kulinarischen Errungenschaften Tschechiens am ehesten dem Anspruch gerecht, ein wahres Nationalgericht zu sein.

Nur die Wenigsten wissen, dass das tschechische Chlebíček seine kulinarische Karriere eigentlich im oberen Luxussegment in vorkommunistischer Zeit begann. Nun ja, am bekanntesten ist die klassische Grundvariante, die generell, aber besonders im Kommunismus zum „Standardtyp“ wurde, was zu langlebigen Vorurteilen führte. Das klassische Schinken-Chlebíček (Bild rechts, diesmals im Büffet des Nationalen Technikmuseums) wird wie folgt zubereitet: Man nehme eine Weißbrotscheibe (eine „ovale“ geschnittene, denn die Verwendung einer eckigen Toastscheibe würde einen sofort als Nicht-Tschechen entlarven), füge eine Schicht Kartoffelsalat (den mit Mayonnaise!) hinzu. Auf einer Hälfte belegt man es mit einem halben festgekochten Ei und garniere das Ganze mit kleinen Scheiben Gewürzgürkchen und eingelegtem roten Paprika, Man kann dann noch ein wenig zusätzliche Mayonnaise und Petersilie (Dekoration) beifügen. Auf der anderen Hälfte des Brotes legt man eine gefalteten Scheibe Kochschinken auf den Kartoffelsalat. Fertig!

Es gibt Varianten der klassischen Zubereitung, nämlich das Käse-Chlebíček, bei dem statt des Kochschinkens eine Scheibe Eidam (die in Tschechien produzierte Variante des holländischen Edamers). Man kann auch sowohl Schinken und Eidam kombinieren, oder für ein Hermelin-Chlebíček beides durch einen Hermelin ersetzen, womit nicht das bekannte Mardertier gemeint ist, sondern die tschechische (daher etwas geschmacksarme) Variante des Camemberts. Keine der Varianten des klassischen Chlebíček benötigte in den Zeiten des Kommunismus irgendwelche schwer zu bekommenden Westimportprodukte wie etwa italienische Salami. Zudem erfüllte es – der üppigen Mayonnaisezuteilung gedankt – die Produktionsvorgaben in Sachen Nährwert. Schlicht, preisgünstig, füllend (Plansollerfüllung in Sachen Kalorienzufuhr!) und dennoch lecker. Und es erklärt, warum der Klassiker über alle weiteren Zeitläufe auch weiterhin der populäre allgegenwärtige Klassiker blieb (wenngleich die Mayonaise bisweilen durch figurzuträglicheren Frischkäse ersetzt wird).

Aber natürlich steckt in den Chlebíčky mehr kulinarisches Potential, das auch ausgelebt werden kann und wird. Und genauso fing es auch an. Kommen wir also zur Geschichte des Chlebíčeks, die weit in die vorkommunistische Zeit der Ersten Republik zurückreicht. Gemeinhin gilt der Feinkosthändler Jan Paukert als der Erfinder. Der hatte nicht nur in Prag in der Nahrungsindustrie gearbeitet, sondern auch Erfahrungen in der Feinkostbranche in München, Mailand und London gesammelt. Als er mit seiner Frau Štěpánka im Jahre 1916 in Prag sein eigenes Fachgeschäft eröffnete, war er bereits in echter Profi in Sachen Feinschmeckerei. Das war schon einmal eine gute Voraussetzung für den Erfolg. Dazu kam die gute Lage für sein Etablissement. Das Geschäft lag nun in der Nationalallee, wo sich die Betuchten gerne kulinarisch verwöhnen ließen, etwa in der berühmten Kavárna Slavia (wir berichteten hier) oder dem legendären Café Louvre (hier), die sich alle in der unmittelbaren Nachbarschaft befanden. Der Andrang war so groß, dass man bald in ein größeres Gebäude, den passend getauften Palác Paukert, (Bild rechts oberhalb) direkt daneben einzog, in die Národní třída 981/17 (Nationalallee, bis 1919 noch Ferdinandallee). Hier, in einem nun zu den führenden Feinkostläden Europas, beschaffte sich die Prominenz ihre Delikatessen. Die legendäre Opernsängerin Ema Destinnová, der große Komiker, Schauspieler und Fußballer Vlasta Burian, die Filmschauspielerin Lida Baarová, der berühmte Dichter Jaroslav Seifert und unzählige andere Größen gehörten zu den Stammkunden. Selbst der Präsident der Republik, Tomáš Garrigue Masaryk, ging hier öfters ein und aus. Der Nachwelt heute nicht mehr so bekannt, aber für die Entwicklung des Chlebíčeks in Paukerts Geschäft entscheidend, war ein damals prominenter Stammgast, der Kunstmaler und Sänger Jan RItter von Skramlík. Der hatte so seine eigene Vorstellung davon, wie ein Snack aus belegten Broten auszusehen habe. Er wünschte sich etwas Größeres als Canapés (auch: Kanapees). Es sollte schon für „ein bis zwei Bissen“ reichen. Zu groß und außerdem zwischen zwei statt einem Brotscheiben eingeklemmt, war für ihn wiederum das Sandwich. Paukert machte sich kurzerhand daran, für Skramlík das Geeignete zu entwickeln. Das Endprodukt war ein belegtes Brot, das etwas kleiner war als ein Sandwich und bei dem der Belag nicht in zwei Brote eingezwängt war. Nicht nur bei Skramlík, sondern bei unzähligen Kunden schlug das Konzept ein. Es wurde zur Kultspeise und Paukert organisierte sogar Chlebíček-Parties für Prominente und gute Freunde im Laden..

Man sieht also, dass das Chlebíček ursprünglich nicht auf die heute domininierende „klassische“ Variante beschränkt war. Im Kern war es ja nur ein belegtes Brot (Chlebíček heißt nichts anderes als „kleines Brot“) einer praktischen Größenordnung, das unzählige Belagrezepte zuließ. Die Tschechen reden daher oft auch einfach von einem „obložený Chlebíček – einem kleinen belegten Brot. Bei Paukert war zum Beispiel auch Roastbeef und echte Remoulade als Belag besonders populär. DIe Frage ist nun für den Prag-Reisenden: Wo bekommt man denn feine Chlebíčky? Nun, die heute klassische Variante mit Kochschinken oder Eidam bekommt man eigentlich überall und in guter Qualität. Bei dem nicht sonderlich komplexen Gericht kann wenig schiefgehen. Man bekommt es in Kantinen, Imbissbuden, Metzgereien und Lebensmittelläden (links oberhalb sieht man sie in der Auslage eines Supermarkts in der Metrostation Můstek) u.v.a..

Aber was ist, wenn man etwas höher greifen will – hin zu den etwas luxuriöseren Anfängen? Der erste Gedanke wäre, in das alte 1916 gegründete Geschäft von Jan Paukert zu gehen. Zunächst wird man dort mit Freude feststellen, dass das große Geschäftshaus, in dem der Feinkostladen beheimatet war, heute immer noch Palác Paukert (Paukert Palast) heißt, was auch in großen Lettern draufsteht. Nur ist halt nicht immer in allem drin, was draufsteht. Dort, wo einst der Laden war, ist heute eine Bierkneipe, die immerhin Kozlovka U Paukerta (vage übersetzt: Kozel-Wirtschaft bei Paukert) heißt und wo man die namensgebende Biermarke Kozel zapft. Das ist OK, aber es ist halt nicht der alte Feinkostladen und es gibt auch keine Chlebíčky.

Warum? Paukert hatte schon in den 1930er Jahren seinen gleichnamigen Sohn – unter anderem durch Bildungsaufenthalten in ausländischen Geschäften – sorgfältig auf die spätere Übernahme des Betriebs vorbereitet. Der Sohn arbeitete bald als rechte Hand des Vaters. Doch bevor er richtig die Führung übernehmen konnte, kamen 1948 die Kommunisten an die Macht, die das Geschäft 1952 verstaatlichten und die Paukerts hinauswarfen. Das war schon bald mit einem merklichen Qualitätsabsturz verbunden. Paukert junior musste zwangsweise sein Leben als Hilfskraft bei der Maschinenbaufirma ČKD verdingen. Paukert senior starb 1972 arm und vergessen. 1989 war es mit dem Kommunismus vorbei und schon zwei Jahre darauf bekam Paukert junior den Laden restituiert, der dann nach längeren Verzögerungen 2008 am alten Ort wieder eröffnet wurde. Formell hatte Stiefsohn Richard Švec das Management übernommen, aber inzwischen sehr betagte Paukert wirkte immer noch an der Führung mit.

Wie wichtig er für das Unternehmen war, zeigte sich als er 2010 plötzlich im Alter von 91 starb. Von da an ging es irgendwie bergab. Bei einer Inspektion im Jahr 2015 wurden Schimmel und Mäusekot in den Lebensmitteln und Lagern entdeckt, was den einst so großen Ruf arg ramponierte. Ökonomisch wurde die Sache darob wohl recht klamm. Kurz darauf erwarb der Investor Natland Group 100% der Anteile des Ladens. Und kurz darauf wiederum eröffnete nach einem Umbau die Kozel-Biergaststätte hier ihre Pforten. Die Erben Paukerts versuchten noch die Tradition des Feinkostladens zu retten. 2019 eröffneten sie mit dem italienischen Starkoch Gianfranco Coizza das äußerst gediegene Jan Paukert Bistro, allerdings nicht mehr in der zentralen Nationalallee, sondern am Rohanské nábřeží 671/15 im aufstrebenden Stadtteil Karlín. Die modernen Bürokomplexe der Umgebung dort versprachen eine lukrative Kundschaft für schnelle, aber gute Pausensnacks. Aber es sollte nicht sein. 2022 – vermutlich als Folge der rigiden Covid-Politik der damaligen Regierung, die die Gäste fernhielt – ließ sich der Laden nicht mehr finanzieren und schloss seine Pforten. Das traditionsreiche Kapitel „Paukert“ der Geschichte der Chlebíčky war zu Ende. Ein echtes Paukert-Chlebíček wird man in Prag nicht mehr finden….

Also, wo sonst? Wie gesagt: In der klassichen „Normalform“ bekommt man sie fast überall. In den vielfältigen Geschmacksrichtungen, wie man sie einst bei Paukert in der Nationalallee genießen konnte, bekommt man sie in jedem guten Prager Delikatessgeschäft. Nur eines sei besonders herausgehoben, weil es nahe des alten Paukertschen Feinkostladens in einer Nebenstraße der Nationalallee gelegen ist, und weil es Dank seiner hohen Qualität und seines enorm vielfältigen Angebots an Chlebíčky zur Kultstätte aller Fans des tschechischen belegten Brotes geworden ist: Das Lahůdky Zlatý kříž (Delikatessen vom Goldenen Kreuz) in der Jungmannova 750/34 in der zentrumsnahen Prager Neustadt (das Logo am Eingang sieht man oberhalb rechts im Bild). Lachs, roher Schinken, Sardellen, Krabben und sonst auch alles, was das Herz begehrt, findet sich in der appetitlich angerichteten Theke auf den kleinen leckeren Broten. Kein Wunder, dass sich gerade zur Mittagspausenzeit riesige Schlangen von Kunden bilden. Wer das Chlebíček wirklich in seiner ganzen Pracht kennenlernen will, geht hierhin!

Obwohl es sich in letzter Zeit mehr auf (hervorragende) Konditoreiwaren spezialisiert hat, hat auch das Ovocný Světozor, das in der namensgebenden Pasáž Světozor (Světozor-Passage) liegt, sich einen Namen als Feinschmeckerstätte für Chlebíčky erworben. Auch hier gibt es vor allem qualitätsreiche Vielfalt, etwas Brote mit Lachs, Salami, Roastbeef oder gar einige (daher etwas untschechische) vegetarisch Zubereitete. In der Vodičkova 791/41 gelegen, ist es eigentlich ganz in der Nähe des Lahůdky Zlatý kříž gelegen. Man könnte in der Umgebung glatt eine Chlebíčky-Gourmet-Tour organisieren. So oder so: Man versteht, warum das Chlebíček eine Nationalspeise für Tschechien ist, auf die die Tschechen stolz sind. Auch wenn ausländische Konkurrenzprodukte wie Bagel, Sandwiches oder belegte Baguettes in Tschechien durchaus auf dem Vormarsch sind, wird das Chlebíček seinen Platz in den Herzen der Leute behalten. Zurecht! (DD)

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