Kunst versus realsozialistische Tristesse

Gäbe es einen Schönheitswettbewerb für optisch vielleicht nicht ganz so berückende archtitekonische Leistungen in Prag, die Metrostation Kačerov könnte möglicherweise als Kandidat in die engere Auswahl kommen, um es diplomatisch auszudrücken. Immerhin haben sich drei Künstler gefunden, die versuchten zu retten, was zu retten war.

Irgendwie passt die Station mit ihrem leicht brutalistischen Design ja auch zu der Umgebung, deren Horizont von endlosen Plattenbausiedlungen begrenzt ist. Man merkt, je weiter man von der schönen Altstadt entfernt war, desto weniger legte man in Zeiten des Kommunismus auf Ästhetik beim Bau von U-Bahnstationen wert. Man musste ja keine devisenbringenden Westtouristen bezirzen. In der Peripherie baute man schlichtweg nicht mehr extravagant. Und tatsächlich wurde die Station nicht nur in den Zeiten des Kommunismus eröffnet, sondern sogar an einem kommunistischen Feiertag, den es heute zurecht nicht mehr gibt, nämlich am 9. Mai 1974. Den 9. Mai feierte man in diesen Zeiten als den Tag der „Befreiung“ Prags durch die Rote Armee von den Deutschen im Jahr 1945. Dass die Nazis sich schon am Vortrag den (eher bürgerlichen) örtlichen Truppen des  Prager Aufstands (siehe auch hierhierhier und hier) ergeben hatten, verschwieg man lange, denn nur von der Sowjetunion lernen, hieß ja schließlich siegen lernen. Seit dem Ende des Kommunismus 1989 feiert man den Tag des Sieges (den vítězství) proper am 8. Mai.

Kurz: Den alten Feiertag hatte man als Anlass gesehen, das von dem Architekten Zdeněk Lešetický entworfene Bauwerk feierlich und ideologisch linientreu zu eröffnen. Es handelt sich um den damaligen östlichen Endpunkt der Metrolinie C (rot), die aber seit 1980 um vier Stationen bis zur heutigen Endstation Háje (über die berichteten wir hier) verlängert ist. Sie war übrigens auch die erste Station der Linie, die überhaupt eröffnet wurde. Die andere Endstation war damals der Metrobahnhof Sokolovská, der heute Florenc heißt (siehe hier). Die Station Kačerov liegt nicht sehr tief (lediglich 10 Meter), weshalb damals kein Tunnel gebohrt, sondern die Anlage durch Ausgrabung einer großen Baugrube von fertiggestellt wurde. Sie besteht aus zwei Gebäuden, dem eigentlichen U-Bahnhof und einem gleich großen, fast identischen Nebenbau, in dem sich heute ein Lebensmittelgeschäft und ein Imbiss befindet. Dazwischen ist ein Innenhof, der rundum durch Überdachungen verbunden ist, die die Wartenden des angeschlossenen Busbahnhofs bei Regen trocken halten. Eine große Treppe führt von dort zum darüber gelegenen Siedlungsgebiet (Bild oberhalb rechts)

Für den Bau wurden übrigens 24.800 m³ Beton gegossen. So baute man damals halt. Zur großen Kulturikone reichte das nicht, aber zur kleinen. Immerhin widmete der bekannte tschechische Dichter, Songwriter und Folksänger Karel Plíhal in seinem Song Jaro (Frühling) auch einige Zeilen der Metrostation: „Dnes je v Praze velký lov,/revizor je nadšený,/na stanici Kačerov/kasíruje kačeny./Každá druhá z osmi kačen/měla lístek neoznačen.“ Was auf Deutsch ungefähr bedeutet: „Heute findet in Prag eine große Jagd statt,/der Kontrolleur ist begeistert,/am Bahnhof Kačerov/Er ist auf Entenjagd./Jede zweite der acht Enten/Sie hatte ein nicht entwertetes Ticket.“ Die Entenmetaphorik bei einem schließlich sehr ernsten Thema wie der Schwarzfahrerei hinterlässt zumindest auf einen bewegten Donaldisten wie mir einen tiefen Eindruck. Aber kommen wir zurück zur Station selbst, die nicht nur Liedkunst inspiriert, sondern auch selbst Kunst beherbergt.

Die Kunst am Bau geht im ersten und noch recht allgemeinen Eindruck, den man sofort von der Station gewinnt, zunächst einmal ein wenig, wenn nicht gar völlig unter. Aber dann entdeckt man, wie mutig und kühn drei Künstler immerhin versucht haben, sich den Widrigkeiten realsozialistischer Architektur entgegenzustemmen. Damals gab es sogar für die Planer staatlicher Großprojekte Vorgaben, auf jeden Fall irgendwo auch Ästhetik am Ganzen unterzubringen – wie auch immer. Ein festgelegter Anteil des Budgets musste dafür herhalten. Das war eine Herausforderung für die bekanntlich auf Plattenbauoptik fixierten Planer.

Eine Herausforderung aber auch für die Künstler – wie etwa der als avantgardistischer Glaskünstler seit den 1960er Jahren auch international bekannte Bildhauer Benjamin Hejlek. Seinen wertvollen Beitrag zur Verschönerung der Metrostation Kačerov kann man leicht übersehen, weil die Erbauer ihn sehr versteckt und unprominent in einer unübersichtliche Nische gepackt haben – ein Indikator dafür, das die kommunistischen Planer die Kunstvorgabe möglicherweise als lästige Pflicht betrachteten, und nicht als freudigen Beitrag zur Verschönerung der Welt. Jedenfalls habe ich die hübschen und linksdrehenden schneckenförmigen Glasspiralen erst richtig hinterher auf den Photos (Bild links, wo der Herr in dunklem Outfit steht) gefunden – auch ich ging erst achtlos vorbei.

Deutlich sichtbarer ist hingegen der Beitrag des Bildhauers Vladislav Gajda, der einem schon beim Aufstieg vom Bahnsteig in die Vorhalle nicht entgehen kann – schon ob der Größe. Gajda war zumindest anfänglich ausgesprochen systemtreu und bescherte uns realsozialistische Skulpturen wie das Denkmal für den revolutionären Kampf (Památník revolučních bojů) in Ostrava im Jahre 1965. Inspiriert von dem britischen Bildhauer Henry Moore, den er sogar persönlich kennenlernte, verlegte er sich aber bald auf eine etwas modernere und abstraktere Linie. Und so heißt das sehr unideologisch wirkende, mit rätselhaften pflanzlichen (?) Motiven versehene Großrelief an der Rückwand der Vorhalle schlicht Sandstein-Relief (Pískovcový reliéf). Von revolutionärem Kampf keine Spur mehr. Aber das Ganze lässt die Vorhalle immerhin ein wenig weniger trostlos erscheinen!

Und dann ist da noch der Bildhauer Jiří Kryštůfek, der ein wenig bekannter ist und den wir u.a. bereits hier erwähnten. Der hat sich des trostlostesten Teils des Areals angenommen, dem Innenhof. Dort befindet sich ein rechteckiger Brunnen mit kleinem Springbrunnen in der Mitte, um den sich zwei Skulpturen gruppieren. Die sind zwar recht abstrakt gehalten, könnten den Betrachter aber an etwas knubbelig geratene Blumen erinnern. Und richtig: Blume (Květ) heißt das Kunstwerk denn auch. Irgendwie kommt der Brunnen der Idee nahe, so etwas wie einen geselligen öffentlichen Raum zu schaffen. Im Sommer sitzen jedenfalls gerne ab und an Menschen am Brunnenrande und genießen das plätschernde Wasser.

Die Metrostation ist – unabhängig von jeder Kunst – ein Verkehrsknotenpunkt und recht vielbefahren. Hier gibt es zwar keine Kreuzung zu einer anderen Metrolinie, aber an beiden Seiten des Gebäudes befinden sich riesige Bushaltestellen. Insbesondere in Richtung des nur zwei Haltestellen entfernten Thomayer Fakultätskrankenhauses (eine der besten Großkliniken der Stadt) im nahen Stadtteil Krč fahren unzählige Buslinien von diesem Busbahnhof ab. Es ist immer Betrieb. Wenn durch die Kunst am Bau vielleicht am Ende doch nicht ganz in die höchsten Höhen des Kunstolymps erhoben, erfüllt die Station (die bis 2025 renoviert werden soll) immerhin doch wacker ihren Zweck. (DD)

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