Landgutshaus – heute ohne Ziegelei

Der Stadtteil Košíře liegt ein wenig außerhalb des Stadtzentrums in Bezirk Prag 5 und war vor seiner Eingemeindung in die Stadt 1922 noch sehr ländlich geprägt. Das merkt man heute noch, vor allem, weil sich hier eine recht hohe Konzentration an schönen alten Landgutshäusern findet.

Beispiele für solche Landgüter in diesem Stadtteil zeigten wir bereits hierhier und hier. Am Landgut Bulovka (usedlost Bulovka), an der Jinonická 204/59 in Košíře besticht, dass es noch nicht von der Stadt baulich eingeholt wurde, und das große ehemalige Landwirtschafts- und Parkareal noch ein wenig erahnbar ist. Hier gab es schon im 14. Jahrhundert anscheindend ein großes Weingut, das sich aber in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert auflöste. Das Gut geriet in den Besitz der Familie Bull von Bullenau, was dem Gut fortan den Namen Bulovka einbrachte. Ferdinand Bull von Bullenau ließ das Haupthaus (als Teil einer quadratischen Hofanlage) im spätbarocken Stil umbauen, was heute noch prägend ist, und betrieb von hier aus nun im großen Stil Landwirtschaft.

1874 kaufte es ein gewisser Josef Barth, dem schon das in der Nähe gelegene Gut Božinka gehörte. Unter ihm gab es weitreichende ökonomische Veränderungen.

Barth integrierte 1898 eine in der Nähe liegende Ziegelei in das Gut und baute eine Trockenpresse für Ziegel. Die Ziegelei wurde 1902 verpachtet und ab 1913 gehörten dann Gut, Gutshaus und Ziegelei dem Unternehmer Václav Procházka. Der baute – während aber immer noch Landwirtschaft betrieben wurde – ab 1923 eine richtig moderne und maschinelle Ziegelei auf, inklusive eines 25 Meter hohen Schornsteins. Bald wurden drei bis vier Millionen Ziegel pro Jahr hergestellt. Es kam der Krieg und 1942 endete die Produktion. Als mit den Kommunisten 1948 die Verstaatlichung kam, wurde die Ziegelei endgültig liquidiert, und nur der Hof übernommen. Von der Ziegelfabrik ist daher kaum etwas zu sehen. Die Natur hat sich das Areal zurückgeholt und überwuchert. Und Hobbyforscher freuen sich, dass an den alten Aufschlüssen des Ziegeltonabbaus viele interessante Fossilien finden lassen. Gehöft und Anlage wurden zum Staatshof und 1977 fand hier der Reiterverein des Tschechoslowakischen Films (Jezdecký Klub Československého Filmu) sein Domizil, wo unter anderem der bekannte Dressurreiter Pavel Turek (Olympiagold 1960) als Trainer für angehende Filmreiter und Stuntmen wirkte.

Der Kommunismus endete gottlob im Jahre 1989. Im Jahr darauf löste sich auch der Reiterverein, aber immerhin hinterließ er nutzbare Einrichtungen, die heute weiter von Hobbyreitern genutzt werden (siehe Bild oberhalb rechts). Und dann brachte die Privatisierung der 1948 enteigneten Familie Procházka durch Restitution volle Gerechtigkeit. Die neuen/alten Eigner haben viel investiert und das Gutshaus renoviert. Das sieht man besonders schön an dem barocken Haupthaus, in dem die Familie wohnt.

Haupthaus und Gebäude stehen übrigens seit 1964 unter Denkmalschutz. Vor dem Haus befindet sich noch ein gepflegter Garten, der ein wenig an die Zeiten des Barock erinnert. Da sich das Gane i Privatbesitz befindet, kann man es nicht wirklich besichtigen, sondern nur von außen sehen, was man sehen kann. Der Garten wird von einem kleinen Torbogen abgeschlossen (Bild rechts).

Man kann im großflächigen Umfeld des Gutsgebäudes noch erkennen, dass es sich neben dem landwirtschaftlichen Nutzareal auch um eine Parkanlage, wie das bei vielen größeren Gutshäusern üblich war und der Erholung und Entspannung der Besitzer und ihrer Besucher diente. Dazu passt auch die hübsche neogotische Gloriette, die vor einigen Jahren ebenfalls restauriert wurde. Eine Gloriette ist ein erhöht liegendes Gebäude – meist ein Pavillon oder ein Tempel – in einer großen Gartenanlage. Vor diesem Pavillon hatte man damals (bzw. hat man immer noch) gewiss eine wunderschöne Aussicht in Ruhe und Entspannung.

Ach ja, man darf dieses Landgut Bulovka in Košíře nicht mit dem gleichnamigen Landgut Bulovka im Stadtteil Libeň verwechseln. Das wurde so genannt, weil es fast gleichzeitig von der Familie Bull von Bullenau erworben wurde. Allerdings sucht man vergebens nach dem entsprechenden Landhaus, denn dieses wich 1905 dem heutigen Krankenhausbau (natürlich Bulovka geannt), über den wir bereits hier berichteten. (DD)

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