- Hans Weber
- November 1, 2024
Landwirtschaft spannend präsentiert
Wer an einem verregneten Tag sich lange, aber kurzweilig bildend unterhalten will, und das möglicherweise mit Kindern, der ist beim Nationalmuseum für Landwirtschaft (Národní zemědělské muzeum) in der Kostelní 1300/44 im Stadtteil Holešovice richtig aufgehoben.
Wobei man eigentlich den Regen als Anlass nicht wirklich braucht. Ein Besuch lohnt sich immer. Das fängt schon mit dem riesigen Gebäude selbst an. Nähert man sich von Westen über den Letná Park (Letenské sady) dem Museum, sieht man zunächst zwei große identische und symmetrisch angeordnete Fassaden mit je vier Stockwerken. Bei haben ein klassizistisch angehauchtes Eingangsportal. Bei dem rechten Gebäude handelt es sich um das Nationale Technikmuseum (über das wir bereits hier schrieben), das linke ist das Landwirtschaftsmuseum. Wir haben es also mit einem in seinen gigantsichen Dimensionen fast ein zigartigen Museumsensemble aus einem Guss zu tun. Erst innen merkt man, dass es große Unterschiede gibt, die der Anpassung an den Museumsinhalt geschuldet sind (dem Landwirtschaftsmuseum fehlt zum Beispiel das große Atrium, das im Technikmuseum wegen der Aufhängung von historischen Flugzeugen zwingend nötig war)
Erbaut wurden die beiden Museen im Jahre 1938 nach den Plänen des Architekten Milan Babuška, der der damals neuen funktionalistischen Avantgarde angehörte, aber gerne auf traditionellere dekorative Elemente zurückgriff, wie es bei den Museen und ihren Eingängen der Fall war. Ein bedeutendes und radikaler gestaltetes funktionalistisches Gebäude von ihm stellten wir hier vor. Die treibende Kraft, ein der Landwirtschaft gewidmetes Nationalmuseum zu gründen, war Antonín Švehla (wir berichteten über ihn u.a. hier). Der war ein erfahrener Politiker, hatte etliche Ministerposten inngehabt und sogar sogar dreimal Ministerpräsident der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Und er kam von der Tschechoslowakischen Agrarpartei (Českoslovanská strana agrární), weshalb ihm der Einsatz für die Landwirtschaft und ihre Modernisierung in jeder Hinsicht am Herzen lag. Schon 1918 wurde das Museum auf sein Betreiben formal gegründet. Die Eröffnung des Baus erlebte der 1933 verstorbene Politiker nicht mehr, doch er hatte alle Grundlagen dafür gelegt, Aber man gedenkt seiner hier in geradezu ausufernder Weise. Im ersten Stock sind prominent seine große Büste (Bild rechts), seine Totenmaske und sogar Stock, Schuhe und Melone ausgestellt. Immer wieder finden Ausstellungen zu seinen Ehren statt.
Das Nationalmuseum konnte natürlich auf historische Vorgänger zurückgreifen. Schon 1842 wurde von Johann Adolf II., Fürst zu Schwarzenberg im südböhmischen Ohrada ein Agrarmuseum gegründet, das sich vor allem um Försterei und Jagd kümmerte – mit dem aufklärerischen Zweck, modernste Methoden durchzusetzen. Die große Jubiläumsausstellung von 1891 präsentierte in Prag selbst eine neue Ausstellung, die man dann in eine Dauerausstellung umwandeln wollte, Die wurde zunächst im ethnologischen Náprstek-Museum (wir berichteten hier) in der Altstadt untergebracht. Zwischen 1902 und 1938 konnte man sie im Volkskundemuseum im Kinský Sommerpalais in Prag Smíchov bewundern. Aber für die agrarischen Modernisierungsambitionen der Ersten Republik war das zu klein und zu wenig fortschrittlich gedacht. Man brauchte ein neues, modernes und viel, viel größeres Gebäude. In den frühen 1930ern fand man am Letná Park das (gleichzeitig auch für das Technikmuseum passende) Grundstück.
Als das Museum einzugsbereit und fertiggestellt war, kam das Ende der Ersten Republik und die Nazibesetzung. Die Wehrmacht beschlagnahmte das Gebäude und nutzte es für eigene administrative Zwecke. Auch nach dem Krieg fuhr man kaum besser. 1950 beschloss die nunmehr kommunistische Regierung, das Gebäude für einen staatlichen Baukonzern und für Bauplanung zu nutzen, was u.a. mit stilwidrigen Umbauten verbunden war. Der größte Teil der landwirtschaftlichen Sammlung wurde in das rund 40 KIlometer entfernte Schloss Konopiště verfrachtet, dem ehemaligen Palast von jenem Erzherzog Franz Ferdinand, dessen Ermordung in Sarajewo 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste. 1994 – der Kommunismus war fünf Jahre zuvor gefallen – beschloss man, das große Gebäude in Prag wieder als das hauptsächliche Landwirtschaftsmuseum Tschechiens einzurichten und begann mit der Renovierung.
Das war nicht mit einer Absage an eine Regionalisierung verbunden. Konopiště wird nicht mehr zu diesem Zweck genutzt. Aber: Über ganz Tschechien verteilt gibt es mittlerweile fünf Nebenstellen, die jeweils ein Themengebiet vertiefter präsentieren. Es sind dies das Landschaftsmuseum in Schloss Kačina, das Museum für Landwirtschaftliche Maschinen und Ausrüstung in Čáslav, das Museum des Forstwesens, der Jagd und der Fischerei in Schloss Ohrada, das Museum der Ernährung und Landwirtschaftlicher Maschinen in Ostrava, und das Museum für Weinbau, Gartenbau und Landschaftsgestaltung in Valtice. Aber wir bleiben hier erst einam ausschließlich beim Haupthaus in Prag.
Im Jahre 2006 wurde das bis dato zum Kulturministerium gehörende Museum dem Agrarministerium unterstellt. Nicht, dass Agrikultur nichts mit Kultur zu tun hat, aber die jetztige ministerielle Zuständigkeit entspricht der Grundidee des Museums und seiner regionalen Ableger. Die war ja, wie bereits angedeutet, seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert niemals nur kulturhistorisch-museal gedacht, sondern praktisch aufklärerisch. Das Museum soll moderne Ideen zur Landwirtschaft flankieren und vermitteln, um so zur Verbesserung der Landwirtschaft im Lande beizutragen. In diesem Sinne ist eine Anbindung an das real und praktisch mit der Landwirtschaft befassten Ministerium sinnvoll.
Und so hat man es vor allem mit einem sehr didaktisch aufgestellten Museum zu tun, das (auch in Wechselausstellungen) aktuelle Themen wie etwa Gentechnik oder Ökologie aufarbeitet und dabei schwerpunktmäßig eher mit Informationstafeln und digitaler Didaktik arbeitet. Das spielerische Lernerlebnis, das hier geboten wird, macht das Museum sowohl für junge als auf älterere Menschen attraktiv. Erfreulich ist der unideologische Charakter des Ganzen, in dem etwa ökologische Themen ohne sentimentale Verklärung präsentiert werden. So etwa bei dem großen Computerspiel mit gigantischem Bildschirm, bei dem Kinder (und Erwachsene ebenso) in einer Agrar- und Forstlandschaft die digital kreierten Akteure steuern und mit virtuell mit dem computerisierten Gewehr einen zu hohen WIldtierbestand reduzieren können. Man fragt sich, ob ein solcher Realismus, was die auch die nicht so schönen Notwendigkeiten der Landschaftspflege angeht, in Deutschland möglich wäre oder zu sehr politisch inkorrekt wäre. Ach ja, gerade Kinder haben an so etwas natürlich Spaß. Und flankiert wird das digitale Erlebnis von einer kleinen Ausstellung von Jagdwaffen, wie etwa die oberhalb rechts abgebildeten Hirschfänger.
Aber natürlich kommt neben den aktuellen Trends auch die geschichtliche Entwicklung am Ende nicht zu kurz. Auch die wird didaktisch sehr professionell aufbereitet präsentiert. Man kann etwa an einem großen Zeitstrahl an der Wand entlangehen, der die Entwicklung der Landwirtschaft von ihren vorzeitlichen Anfängen bis zur heutigen Zeit zeigt. Überhaupt, man lernt viel Interessantes auf den (meist sowohl in Tschechisch als auch in Englisch beschriebenen) Infotafeln des Museums. Langweilen kann man sich im Museum nicht.
Unter den historischen Ausstellungsstücken befindet sich mancherlei Kurioses. So könnte man die aus Holz geschnitzte Statue als eine Heiligenfigur einer barocken Kirche halten. In Wirklichkeit ist es ein barocker Bienenstock, den sich ein Imker des 18, Jahrhunderts machen ließ. Man merkt es an dem gut hinter dem Rücken der Figur versteckten Kasten. Unter den historischen Exponaten dürfte allerdings bei Kindern (oder jung gebliebenen Erwachsenen) die im Untergeschoss untergebrachte Sammlung alter Traktoren groß ankommen, wie etwa der legendäre, im großen Bild ganz oben abgebildete Lanz Bulldog HL 12 von 1921. Der Spaß wird noch einmal dadurch erhöht, dass kleine Kinder in dem Raum mit kleinen Tretautos bzw. -traktoren durch die hübsche Sammlung fahren können.
Zu den großen Stars des Museums gehört jedoch ohne Zweifel eines der vielen ausgestopften Tiere, nämlich der Bulle César. Der wurde 1955 in Trutnov geboren. Damals wurden die ersten Zuchtzentren mit Besamungsstationen in der Tschechoslowakei eingerichtet und César gehörte zu den ersten und produktivisten Nutzern. Eine ganze genealogische Bullenlinie unter der Bezeichnung 590 Cesar oder CSM wurde von ihm gegründet. Zu der gehörten dann auch 25 der von ihm gezeugten Jungbullen. EIn Prachttier, auf das das ganze Land stolz war. Bis heute werden von ihm und seinem Nachwuchs aus Samendosen kleine Büllchen gezeugt. Der Erfolg stieg ihm persönlich allerdings zu Kopfe. Er benahm sich nach einer Weile so seltsam und unberechenbar, dass man ihn im Juni 1960 aus der Zucht nahm. Nach seinem Tod wurde er dennoch ausgestopft und seit 2018 steht er im Landwirtschaftsmuseum, wo er sich großer Beliebtheit erfreut.
Aber man findet im Museum nicht nur „tote Materie“ im Sinne von digitalen und analogen Infotafeln, Ausstellungsstücken aus der Geschichte oder ausgestopften Tieren. Links sieht man eine kleine Naturlandschaft mit Bach und Uferbegrünung, in der sich auch echte Fische tummeln. Man kann auch in Aquarien echte Fische bewundern und auf dem Flachdach ist ein Kräutergarten eingerichtet, vom dem aus man übrigens eine wundervolle Aussicht auf die Stadt Prag genießen kann.
Hinter dem Hauptgebäude befindet sich (ebenerdig) auch noch ein kleiner Garten bzw. eine Grünanlage, Das Ganze ist nach außen umzäunt und deshalb laufen hier (zwischen einigen zusätzlichen alten Trekker aus der Sammlung) Kleintiere wie Hühner (Bild rechts) frei herum, was gerade Kindern Freude macht. Auch gibt es einen kleinen Spielplatz mit einem handbetriebenen Karussell (Bild unterhalb links). Papa oder Mama müssen also als Antrieb fungieren). Kleine Gehege an der Nordseite, in denen sich mehr Kleintiere (diesmal meist verschiedene Kaninchenarten) befinden, schließen die Sache ab.
Und dann gibt es im Garten noch einen simplen Kiosk, bei dem man sich Bier, Wasser oder Kaffee nebst einfacher Speisen (etwa Hotdogs). Das geht natürlich nur im Sommer bei sonnigem Wetter. Womit wir bei der einen kleinen Schwachstelle sind: Im Gegensatz zum benachbarten Technikmuseum verfügt das Landwirtschaftsmuseum drinnen über keine Cafeteria. Da man sich bei diesem überaus spannenden und interessanten Museum sehr lange aufhalten kann, könnten da kleinere Kinder nach einer Weile quengelig werden. Eltern sind gut beraten, eventuell ein paar Schokoriegel im Gepäck mitzunehmen. Möglicherweise wird das Problem bald durch Umbaumaßnahmen behoben. Von einem Besuch im großartigen und didaktisch hervorragend aufgezogenen Landwirtschaftsmuseum sollte das sowieso niemancden abhalten. (DD)
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