Luxushotel mit StB-Spitzeln

Das Hotel Jalta im oberen Teil des Wenzelsplatzes (genauer: Václavské náměstí 818/45) fällt unter den Gebäuden der Umgebung stilistisch als eher ungewöhnlich auf. Vielfach wird das Hotel wegen seiner auf den ersten Blick leicht klassizistisch anmutenden Fassadengestltung als einziges Werk der stalinistischen Architektur auf dem Platz bezeichnet. Das trifft die Sache aber nicht wirklich, wie die Geschichte des Hotels überhaupt wesentlich komplexer ist, als man vermuten könnte.

Es fängt schon damit an, dass das Gebäude ursprünglich kein Hotel werden sollte. In den letzten Kriegswirren war hier eine Baulücke entstanden, die der Einheitsverband der Tschechischen Landwirte (Jednotný svaz českých zemědělců, JSČZ), der 1945 als Ersatz für eine aufgelöste ähnliche Sammelinstitution privater Landwirte gegründet worden war, aufkaufte. Hier sollte ein Verwaltungs- und Verlagsgebäude für den Verbandverlag, der u.a. das Magazin Brázda (Die Furche) herausgab, entstehen. Den Kommunisten, die 1948 an die Macht kamen, war ein solcher Verband prinzipiell zuwider, weshalb sie unter der Vorspiegelung einer „Selbstauflösung“ des Verbandes bis 1952 seine Liquidierung betrieben. Das Verbandseigentum wurde verstaatlicht und dem Landwirtschaftsministerium übergeben – inklusive des Verlages, der ab 1953 Staatlicher Agrarverlag hieß.

1956 wurde der Plan gefasst, hier ein Luxushotel zu bauen, das der staatliche Gastronomie-Unternehmen Restaurace a jídelny, der sich aber bald als zu schwachbrüstig für ein solch großes Projekt erwies, sodass man am Ende als Investor das schon 1920 gegründete, aber 1948 verstaatlichte Großreisebüro Čedok auswählte. Als Architekten wählte man Antonín Tenzer aus, ein Schüler des großen kubistischen Architekten Pavel Janák (siehe u.a. frühere Beiträge hierhierhier und hier). Tenzer war konsequenter Vertreter eines sehr modernistischen Funktionalismus, wie sich in anderen Werken – etwa der von 1950 bis 1953 erbauten die Poliklinik Vysočany – zeigte, die von manchen Architekturkritikern heute als ein mutiger Versuch gesehen wird, sich den Konventionen des Sozialistischen Realismus zu entziehen. Jedenfalls war klar, dass er sich auch bei dem Hotelbau nicht völlig dem Diktat des stalinistischen Zuckerbäckerstils unterwerfen würde.

Hilfe kam von unerwarteter Seite. Tenzer hatte die Unterstützung des kommunistischen Präsidenten Antonín Zápotocký bekommen, der als gelernter Steinmetz das Projekt mit einem gewissen Sachverstand begleitete. Keine Plattenbauteile sollten verwendet werden und der Architekt erhielt für die Zeit recht ungewöhnliche Befugnisse. Zápotocký selbst half bei der Auswahl und Beschaffung der wertvollen Baumaterialien – Marmor und Travertin. Aber der gute Wille gegenüber dem Architekten kannte auch Grenzen, denn zur Eröffnungsfeier im Mai 1958 wurde Tenzer nicht eingeladen. Im Sinne der reinen ideologischen Lehre wurde das Hotel als ein Kollektivwerk ohne konkrete Namen präsentiert. Aber immerhin hatte er ein Werk hinterlassen, das äußerst markant war. Denn es war keineswegs platter Stalinismus, was da architektonisch präsentiert wurde.

En detail augenscheinlich wird das zum Beispiel, wenn man die klassisch anmutenden Triglyphen unterhalb des Daches näher betrachtet. Realiter sind sie mit ihrer „unklassischen“ Einbindung in geometrische Elemente eher eine Anspielung oder ein Rückgriff auf die Architektur der Ersten Republik, was im Kommunismus sonst eher verpönt war. Am ehesten könnte man es als eine bisweilen Dekorativismus genannte Variante des typisch tschechischen Rondokubismus (Beispiele dafür präsentierten u.a. hierhierhierhier und hier) nennen – eine Weiterentwicklung des eigentlich sehr abstrakt-geometrischen Kubismus, der die elemntaren Formelemente wieder so zusammensetzt, dass (eigentlich entgegen der Grundidee des Kubismus) wieder traditionelle und historisierende Gesamteindrücke entstehen.

Man kann bei der Fassade eigentlich nicht genau sagen, ob sie modern oder klassisch sein soll, was den Reiz des Ganzen ausmacht. Herausragend sind dabei die an beiden Seiten des symmetrischen Gebäudes angebrachten Balkone mit ihren diagonalen Zierelementen, die man links im Bild sieht. Auf jeden Fall kann die Fassadengestaltung nicht als bloßer Zuckerbäckerstil oder Sozialistischer Realismus abgetan werden, aber sie ist auch rein reiner schnörkelloser Funktionalismus, sondern ein stilistisch an frühere moderne Strömungen anknüpfendes originelles Werk sui generis. Es erfüllte jedenfalls seinen Zweck, ein Aushängeschild des tschechoslowakischen Hotelsektors sein, das westliche Vorbilder nicht kopiert, aber sich doch mit ihnen messen kann.

Eine kleine Konzession an die sozialistisch-realistischen Vorgaben musste Tenzer auf der Höhe des ersten Stocks machen, denn ganz ohne Skulpturen lief damals eigentlich nichts. Folglich finden sich hier vier Gruppen aus je zwei Statuen, allesamt Werke des eher systemkonformen akademischen Bildhauers Jan Jiřikovský. Auf der ästhetischen Seite hätte man dieser skulpturalen Ausstattung sicher nicht bedurft, aber es gelang immerhin, sie gut einzupassen. Es gibt keine Arbeiterklassenromantik mit überproportional muskulösen Menschen, die immer glücklich der sozialistischen Zukunft entgegen sehen. Bei allen Statuen handelt es sich um verschiedene Allegorien zum Thema Gastfreundschaft (passend für ein Hotel) und die Proportionen bleiben im Rahmen eines modernisierten und zurückhaltenden Klassizismus. Letztlich fügen sie sich doch in das Gesamtkonzept ein.

Stolze 40 Millionen tschechoslowakische Kronen ließ sich der Staat das Jalta kosten. Als das Hotel in Betrieb ging, war es in der Tat einer der Luxuspaläste unter den Prager Hotels. Die 94 Zimmer verfügten allesamt über Fernseher. Es gab einen ausgefeilten Schuhputzservice. Den Gästen standen sogar Autos des Typs Škoda 1201 zur Verfügung. Fast überall war so etwas undenkbar. Aber schließlich war das Jalta auf die Bedürfnisse hoher Funktionäre und ausländischer Gäste von Rang ausgelegt.

Ein solches Publikum war unter den Voraussetzungen eines totalitären Staates natürlich nichts, dass man unabgehört und unbespitzelt lassen konnte. Folglich gab es im Keller eine kleine Überwachungsanlage der Staatssicherheit (Státní bezepečnost, StB). Wollte man seine Reservierung als Gast ändern, gab sich das Hotelpersonal eher unflexibel, denn das brachte ungeahnte Schwierigkeiten mit sich, weil es den Überwachungsplan durcheinander brachte. Eventuell musste dann sogar der StB-Mitarbeiter, der eines der schönen und bequemen Nachbarzimmer besetzt hatte, umziehen, was man nur ungern tat.

Und noch etwas entdeckte man im Keller, als das Gebäude 1990 privatisiert wurde, nämlich einen in den Jahren 1954 bis 1958 erbauten und geschickt hinter Panelen versteckter Bunker für 150 Personen. Um ihn atombombensicher zu machen, hatte man die drei Meter dicken Stahlbetonwände sogar mit Blei gefüllt. Es gab einen riesigen Wassertank und eine Krankenstation mit Operationssaal. Man wollte ja sicher gehen, denn im Ernstfall hätte der Bunker wahrscheinlich als militärisches Hauptquartier für die Länder des Warschauer Pakts dienen sollen. Der Bunker gehörte übrigens noch bis 1997 offziell dem Verteidigungsmuseum und unterlag formell der Geheimhaltung. Danach wurde er privatisiert (das heißt, dem Hotel zugeschlagen) und das Hotel betreibt hierzurzeit ein Museum des Kalten Krieges, über das wir noch berichten werden.

Ob Bunker oder Staatssicherheit: Den Ruf als Luxuseinkehr konnte das Hotel wahren. Nicht nur Prominente im eigentlichen Sinne kamen hierher. Im Dezember 1973 kam es zu Aufnahme der diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik mit derTschechoslowakei. Es dauerte noch bis tief in das Jahr 1974 bis der (bis heute) eigentliche Sitz , der Palais Lobkowicz (wir berichteten hier), funktionstüchtig und renoviert worden wae. Deshalb befand sich im Hotel in dieser Interimzeit die noch provisorisch eingerichtete Botschaft der Bundesrepublik Deutschland.

Nach dem Ende des Kommunismus 1989 hörte es auf, ein Staatshotel zu sein, und kam es zu Beginn der 1990er Jahre in den Besitz der japanischen Hotelgruppe Nomura Hotels, kurz darauf gefolgt von der Britischen Reiseagentur Miki Travel. 2003 kaufte es der Immobilieninvestor Flow East, der das Jalta immer noch betreibt. Die Privatiserung in den 1990er Jahren hatte große Umbauarbeiten an dem etwas in die Jahre gekommenen Hotel zu Folge. Insbesondere Innen sollten radikale Entkernungen erfolgen. Architekt Tenzer, der damals noch lebte, klagte dagegen, weil dadurch seine geistigen Eigentumsrechte verletzt würden. Er gekam Recht und so blieben substantielle und wertvolle Teile der Inneneinrichtung erhalten, vor allem die wunderschön geschwungene Treppe im Erdgeschoss – ein Werk des Bildhauers Václav Markup (siehe Bild oberhalb links).

2007 und 2013 kam es abermals zu umfassenden Renovierungen, die aber die nunmehr geschützten Teile sorgfältig erhielten (inzwischen steht das Gebäude sowieso unter Denkmalschutz). Man versuchte das originale Ambiente sogar ein wenig wieder herzustellen, indem u.a. Möbel im Stile der 1950er angeschafft wurden. Das Hotel hat durch die sorgfältige Pflege jedenfalls seinen Status als Prominentenunterkunft erhalten können. Ob der Dalai LamaBruce Willis oder Suzi Quatro und unzählige mehr – das Jalta zieht immer noch viele der Großen und Bekannten aus aller Welt an, die hier gerne übernachten – im Herzen der Stadt. (DD

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