Mährische Selbstbehauptung in Prag

Ja, auch in Prag, im Herzen Böhmens, sieht man ab und an den Mährischen Adler auf Fassaden und Amtsschildern. Dann aber meist als Teil des großen Staatswappens der Tschechischen Republik, wo er dem stolzen  Böhmischen Löwen (wir berichteten) klar untergeordnet ist.

Alleine für sich genommen gilt der Mährische Adler für die leider sehr zentralistisch gestimmten Prager schon fast als anrüchiges Symbol des Autonomismus. Aber hier an der Fassade dieses vierstöckigen Wohn- und Mietshauses in der Široká 117/22 im Stadtteil Josefov, wo einst das jüdische Ghetto lag, dass sich Ende des 19. Jahrhundert zur Luxusmeile entwickelte (wir berichteten bereits hier), wird das Mährentum mit stolzem Banner vorangetragen. Es handelt sich, wie ein großes Hausschild in Stuck zeigt, schließlich um das Haus zum Wappen der Markgrafschaft Mähren (dům U znaku Markrabství moravského).

Warum das im Jahre 1902 fertiggestellte neobarocke Haus in Namen und Symbolik diesen Bezug zur Markgrafschaft Mähren hat, habe ich (noch?) nicht herausfinden können. Aber natürlich ist klar, dass Mähren in der Geschichte der Tschechen eine große Rolle spielt. Ursprünglich, im 9. Jahrhundert, war Großmähren das erste echte Staatswesen in der westslawischen Welt, wurde aber danach schrittweise von der Herrscherdynastie der Přemysliden aus dem benachbarten Böhmen übernommen, das nach dem Untergang Großmährens die regionale Hegemoniemacht wurde. Ab 955 war es Teil der Ländereien des böhmischen Herzogtums. Als Mähren 1182 zur Markgrafschaft erhoben wurde, wurde es dadurch ein reichsunmittelbares Grenzgebiet des Heiligen Römischen Reiches, aber die Unterordnung unter Böhmen wurde 1197 bekräftigt. Meist wurde Mähren von Verwandten des jeweilgen böhmischen Herrscher in dessen Auftrag regiert, was auch nach dem Aussterben der Přemysliden unter den folgenden Dynastien so blieb – letztlich bis zum Untergang des Habsburgerreichs im Jahre 1918.

Das Wappen der Markgrafschaft taucht anscheinend erstmals im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts auf einem Siegekl des Markgrafen Přemysl von Mähren auf, dem jüngsten Sohn von Böhmens König Otakar I. Přemysl. Da an dem Siegel der Zahn der Zeit genagt hat, ist man da nicht so ganz sicher. Aber definitiv taucht der Mährische Adler 1272 im Stadtwappen der Stadt Znojmo (Znaim). Unter Böhmens König Otakar II. Přemysl (zugleich Markgraf) hatte sich im Prinzip die hier gezeigte und bis heute gültige Form allgemein kodifiziert: Blauer Hintergrund, Adler mit rot-weißen Schachmuster (Bedeutung nicht so recht geklärt) und meist mit Krone (die beim Bild oben fehlt). Ab dem 15. Jahrhundert tauchte ab und an eine Variante mit rot-goldenem Schachmuster auf. Bei der Darstellung auf der Hausfassade in der Široká dürfte das nicht der Fall sein, aber die rote Farbe scheint verwittert zu sein.

Obwohl die mährische Geschichte immer eng mit der Böhmens verwoben war, gab es dorch stets auch deutliche politische und kultruelle Unterschiede. Viele prägende Entwicklungen Böhmen fanden hier wenig Niederschlag, etwa das Böhmen sehr prägende Hussitentum im frühen 15. Jahrhundert. Während Böhmen eine recht irreligiöse und industrialisierte Region ist, ist Mähren katholisch und ländlich bestimmt (erklärt das etwa das Kreuz auf dem Helm auf der Fassade des Hauses?). Ab und zu führen sie zu Diskussionen über eine föderale oder dezentrale Struktur im Lande, was besonders nach der Samtenen Revolution von 1989 und dem Ende des Kommunismus der Fall. Damals gelangten Vertreter regionalistischer Gruppen sogar ins Parlament. Nach einer Weile hatte sich aber die zentralistische Tradition der Tschechoslowakei wieder durchgesetzt und die Bestrebungen verebbten, sind aber immer noch latent vorhanden. Das kann man als verpasste Chance für eine dezentralere und bürgernähere Politik sehen. Aber auf jeden Fall reichen die Unterschiede tief in die Geschichte zurück. Umso mehr überrascht dieses Stück mährischer Selbstbehauptung hier mitten i

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