Märchenhaus

Der Jugendstil zeichnete sich immer durch seine Nähe zum Symbolismus mit seinem Gegensatz zu Rationalismus und Materialismus aus, kombiniert mit einem Hang zum Mystischen.

Das lässt sich besonders am Beispiel dieses vierstöckigen Hauses in der Bubenečská 351/17 im Stadtteil Bubeneč (Prag 6) studieren. Das Viertel hier gilt als besonders mondän. Ganz in der Nähe befindet sich die prachtvolle Residenz des amerikanischen Botschafters, aber auch unzählige Botschaften und Residenzen anderer Länder haben sich hier angesiedelt. Nirgendwo in Prag wohnen und arbeiten so viele Diplomaten. Nun ja, die Bausubstanz lädt allenortes zum repräsentativen Wohnen ein. Entsprechend schön sehen hier nicht nur die vielen Villen, sondern auch die Miets- und Wohnblöcke aus der Jahrhundertwende aus, wie dieses Beispiel anschaulich zeigt. Das Areal wurde für ein gehobeneres Bürgertum erschlossen und angelegt.

Erbaut wurde das Gebäude nach den Plänen des Architekten Jan Petrák, den wir schon hier und hier kennenlernten, und der zu den phanatsiereichsten Architekten des Prager Jugendstils gehörte. Die Bauarbeiten begannen im Mai 1911 und waren im nächsten Jahr abgeschlossen. Es handelt sich um ein typisches Beispiel der „geometrischen“ Spätphase des Jugendstils, der sich durch Symmetrie und klare Formen von der häufig pittoresken und unregelmäßigen Formgebung des frühen „floralen“ Jugendstils unterscheidet. Man merkt dabei, dass der Jugendstil in seine letzte Phase ging und bald den von eindeutig funktionaleren und abstrakten Stilen des Kubismus und später des Funktionalismus völlig verdrängt wurde.

Gerade durch die vergleichsweise sachliche Fassadengestaltung entfalten die farbenfrohen Wandmalereien ihre besondere Wirkung. Sie sind tum Teil rein ornamental (Bild rechts oberhalb), aber sowohl an dem auffallenden Giebel, als auch in der Mitte oberhalb des zweiten Stocks figural. Ein kleiner vergoldeter Schriftzug V Pohádce (In einem Märchen) setzt dabei das Thema. Es geht um die slawische Sagenwelt. Welches Märchen auf dem Giebel (Bild oberhalb links) dargestellt wird (zwei Frauen und eine Priestergestalt), entzieht sich meiner Kenntnis. Für Hinweise bin ich dankbar.

Das über dem zweiten Stock zentral befindliche Bild (rechts) könnte der oft dreiköpfig dargestellte Slawische Drachen sein, eine vorchristliche Sagengestalt, die um die Jahrhundertwende im Zuge des Erwachens des slawischen Nationalbewusstseins häufiger als Bildmotiv (vor allem gerade auch im Jugendstil) auftauchte. Im westslawischen Raum galt er als glücksbringende Gestalt, die Menschen manchmal zu Goldreichtum verhilft. Dazu passt, dass die Figur mit viel Goldschmuck ausgestattet ist.

Ergänzt werden die Fassadenmalereien auf dem Giebel durch Skulpturen. Bei den Statuen handelt sich um eine weibliche Figur mit Schild und Schlangenmustern, die rechts des Giebel steht. Links steht eine männliche Gestalt (beide zu sehen im großen Bild oben). Es ist schade, dass sich weder der Bildhauer, der sie erschuf, noch der Maler der Wandgemälde heute ermitteln lassen, die uns ein Haus mit märchenhafter Fassade hinterließen. (DD)

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