- Hans Weber
- November 1, 2024
Moderner Nepomuk
Der Heilige Nepomuk (dessen Gedenktag wir heute, am 20. März, feiern), der zum Märtyrer des Glaubens und zum Patron der Brücken wurde, weil König Wenzel IV. ihn 1393 brutal die Karlsbrücke hinunterwerfen ließ, avancierte in der Zeit der Gegenreformation zum böhmischen bzw. habsburgischen Nationalheiligen und wurde daher überhaupt erst 1729 heiliggesprochen. Es verwundert nicht, dass deshalb fast alle Statuen von ihm, die man auf unzähligen Brücken findet, in der Zeit der Barocks erschaffen wurden.
In der Ära des erwachenden Nationalbewusstseins im späten 18. und im 19. Jahrhundert haftete Nepomuk bei den Tschechen der Ruf an, posthum zur Legitimierung der ungeliebten Habsburger und ihres Katholizismus zu dienen. Man stellte lieber den Heiligen Wenzel auf, aber nur selten Statuen von Nepomuk. Deshalb gibt es vergleichsweise nur wenige nicht-barocke Statuen. Nepomuk fiel bald danach ein wenig aus der Mode. Aber einige neuere Nepomuks gibt es natürlich doch. Eine wirklich moderne Skulptur ist die Statue im Stadtteil Dolní Počernice an einer kleinen Brücke, die über den kleinen Moldau-Nebenfluss Rokytka führt. Die aus geometrischen Versatzstücken aus Flächen konstruierte Statue ist zwar in der Tat modern, ja, sie erinnert ein wenig an Skulpturen des Kubismus aus dem frühen 20. Jahrhundert, aber sie enthält trotzdem erkennbar die klassischen Heiligenattribute, die zum künstlerischen Kanon der Heiligendarstellung Nepomuks gehören: Das Kreuz in der Hand, ein Birett als geistliche Kopfbedeckung, der fünfsternige Strahlenkranz. Eher abstrakt, aber passend und würdig.
Die Statue steht hier seit 2004. Warum stellte man sie auf, obwohl der Nepomukkult doch seinen Zenit längst überschritten hatte. Nun, die moderne Statue war der Ersatz für eine alte Statue im – man kann es sich denken – Barockstil, die Anfang des 18. Jahrhunderts an dieser Stelle aufgestellt wurde. Die stand hier bis 1918. In diesem Jahr endete die Habsburgerherrschaft und die Erste Republik kam. Unter den Bürgern von Dolní Počernice gab es anscheinend etliche radikale Anhänger der Republik oder schlichtweg Antiklerikale, dass man anscheinend meinte, der von den Habsburgern verehrte (wofür er ja nichts konnte) Heilige gehöre nicht mehr an so prominenter Stelle in den öffentlichen Raum. Er wurde abmontiert und vor der nahen Kirche auf deren Grundstück aufgestellt.
Dort nagte der Zahn der Zeit an ihr. Ab und an vergingen sich auch Vandalen an ihr. Am Ende sah sie so aus. Ende des Jahrtausend wurde sie, um weiteren Verfall zu vermeiden, ins Depot der Stadt gestellt und verschwand aus dem Blick der Öffentlichkeit. Aber die Habsburger sind schon so lange weg und verursachen auch keine Empörung mehr (im gegenteil: Es gibt leichte Anzeichen einer Nostalgie für diue „gute alte Zeit“) und so fanden Bürgermeister Zbyněk Richter und die Mehrheit der Ratsmitglieder, dass Nepomuk rehabilitiert und an die Brück gestellt gehöre. Man dachte zunächst an eine Restauration oder Nachbildung der alten Statue, aber entschloss sich dann für neue Wege. Und so bekam die Dichterin und Bildhauerin Ellen Jilemnická den Auftrag, die neue, völlig andersartige und moderne Statue des braven Heiligen zu erstellen, die dann 2004 aufgestellt wurde.
Jilemnická ist eine profilierte und weltweit anerkannte akademische Künstlerin, die in den Zeiten des Kommunismus unter schweren Benachteiligungen leiden musste. Sie kam aus einer für ihre Gegnerschaft zum Regime bekannten Familie und ihre Kunst fügte sich nicht in die politisch vorgegebenen Muster ein. Der damalige Rektor der Akademie der Bildenden Künste in Prag, der dem Sozialistischen Realismus verpflichtete Professor Jan Hána, behinderte aktiv ihre Karriere dort und bezeichnete einige ihrer Werke als dekadenten „Americanism“, weil sie ihn an westliche Pop Art erinnerten (was nicht ganz falsch war, Beispiel hier). Erst nach dem Ende des Kommunismus 1989 (zugleich das Ende von Hánas Rektorat) konnte sie eine internationale Karriere einschlagen. Sie wurde zwar nicht von einer Brücke geworfen und getötet, aber das Leid unter dem Kommunismus dürfte vielleicht dazu beigetragen haben, dass sie dem Märtyrer Nepomuk soviel Empathie entgegenbringen konnte, dass dieses moderne und schlichte, aber doch sehr anrührende Darstellung dabei rauskam (DD)
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