- Hans Weber
- December 18, 2024
Monumentaler Regierungssitz
Auch wenn das monumental große Gebäude am Edvard-Beneš-Ufer (Nábřeží Edvarda Beneše 128/4) immer noch Straka Akademie (Strakova akademie) genannt wird, befindet sich darinnen trotzdem keine Bildungseinrichtung mehr, sondern der Sitz der tschechischen Regierung. Das deutet auf eine recht abwechslungsreiche Geschichte hin.
Die begann mit einem Testament. Im Jahre 1710, zehn Jahre vor seinem Tod, legte Johann Peter Graf Straka fest, dass ein großes Stück seines riesigen Vermögens nach seinem Ableben einer Stiftung zukommen solle. Die sollte sich um Söhne verarmter Adelsfamilien kümmern und ihnen eine angemessene Unterkunft in Kombination mit strenger Erziehung zukommen lassen. Seine Erben beeilten sich nicht mit der Umsetzung des Wunsches, der zudem anscheinend auch noch von bürokratischen Vorgaben der Regierung in Wien erschwert wurde. Auch nachdem der letzte Nachkomme 1769 gestorben war, passierte nichts. Immerhin wurde 1814 formal eine Stiftung gegründet. Das war zumindest ein Anfang. Aber erst 1891 krempelt man die Ärmel hoch und begann mit dem Bau der Straka’schen Akademie.
Dazu hatte man sich schon 1879 ein großes Stück Land am Moldauufer beim Ortsteil Klarov auf der Kleinseite erworben. Auf dem Areal (17.000 Quadratmeter, immerhin!) hatte man im 15. Jahrhundert eine später anscheinend verschwundene Heilquelle genutzt, und um 1600 bekamen es die Jesuiten von der Adelsfamilie Pernštejn geschenkt, die dort einen großen Garten anlegten und eine barocke St. Michaels Kirche (Kostel svatého Michala) bauten. Aber die Jesuiten wurden vom Papst 1773 verboten und mit den Kirchenreformen von Kaiser Joseph II. kam endgültig 1785 die Säkularisierung. Ein gewisser Bertoni kaufte die Kirche und verwandelte sie in einen profanen Tanzsaal. Schom im Jahre 1786 wurde sie dann endgültig abgerissen.
Und so konnten Architekt Václav Roštlapil und der von ihm beauftragte Bauunternehmer Quido Bělský aus dem vollen schöpfen und 1896 stand am Ende hier ein dreistöckiger und 160 Meter langer neobarocker Bau, der 4000 Quadratmeter abdeckte. Die Bauarbeiten wurden ein wenig erschwert, weil man die alte Heilquelle unter der Erde wiederentdeckte, die den Boden weicher und instabiler machte. Bei dem Gebäude, das zur Flussseite mit zwei Risaliten an den Seiten und einem in der Mitte ausgestattet ist, wurde auch bei der skulpturalen Gestaltung nicht gegeizt. Das beginnt schon bei den Stuckornamenten über dem hinteren und dem vorderen Eingang, bei denen man das Wappen der Familie Straka, ein aufsteigender Hahn, erkennen kann (Bild links, zur Straßenseite). Das war eine Hommage an den Stifter der Akademie, obwohl dessen Adelsfamilie zu diesem Zeitpunkt ja schon lange nicht mehr existierte. Eine putzige Fußnote: Der name Straka bedeutet auf Deutsch „Elster“ und man fragt sich dann doch, warum die Elsters einen Hühnervogel zum Wappentier wählten.
Optisch dominiert wird das Gebäude aber von den beiden großen Statuen über dem Mittelrisaliten. Frömmigkeit und Patriotismus sollen die Allegorien darstellen – wohl die Tugenden, die Straka damals von verarmten, aber wieder aufstrebenden jungen Adligen erwartete. Die Frömmigkeit (Bild rechts) betet und trägt das Kreuz Jesu, der Patriotismus (Bild unterhalb links) ist behelmt, trägt die wehende Fahne des Vaterlandes und schaut mit dem Schwert in der Hand entschlossen in die Ferne. Gestaltet wurde die tugendhafte Gruppe in Stein von dem akademischen Bildhauer Josef Mauder, der – obwohl mit modernen Kollegen wie Auguste Rodin befreundet – zeitlebens einem recht konventionell historistischen Stil frönte, was man bei den beiden barock inspirierten Statuen auch gut erkennen kann.
Als ersten Direktor der Anstalt setzte die Stiftung Josef Trakal ein, der ein bekannter Jurist, Pädagoge, Philosoph und zeitweiser Direktor des Nationaltheaters war. Kurz: Er war für die Aufgabe umfassend intellektuell gewappnet. Für die veramten Adelssprösslinge bot das Gebäude viel Komfort. Es war das erste Gebäude in der Stadt mit Zentralheizung. Den Adligen standen große Zimmer zur Verfügung. Tanzsaal, Festräumne, Saunen, Bäder, Sporthallen, Krankenhaus und vieles mehr stand zur Verfügung. Allerdings: Auch eine Arrestzelle, wenn sich jemand daneben benahm. Denn Trakal wollte zwar, dass den jungen Menschen der standesgemäße Lebensstandard geboten wurde, aber den mussten sie sich verdienen, weil sie schließlich so erzogen werden mussten, dass der soziale Aufstieg wieder gelang. Das sollte durch Förderung gelingen. So bezuschusste die Akademie wertvolle Kulturfreizeitaktivitäten wie klassische Konzerte, Oper oder auch körperliche Ertüchtigung.
Man bekam hochwertigen Unterricht geboten – grundsätzlich in Deutsch und Tschechisch plus andere Fremdsprachen. Die Lehrmittelausstattung war vorbildlich (1920 umfasste die Bibliothek 73.000 Bücher und 1600 Zeitschriften). Aber: Man war auch strenger Disziplin unterworfen. Hinter den Gittern (rechts sieht man durch sie die Moldau) herrschte ein Erziehungskodex, der dem des Militärs nachempfunden war. Auch abendliches Ausgehen (wozu man in Prag sich gerne verführen lässt) ohne erzieherliche Begleitung war untersagt. Trotzdem war die Anstalt gefragt. Irgendwann wurde sogar eine Anzahl bürgerlicher Studenten aufgenommen.
Das mit der Adelsschule lief nach dem Ende des Habsburgerreichs sowieso nicht mehr. Die neue Erste Tschechoslowakische Republik schaffte die Adelstitel ab. Erst jetzt, als sie im Prinzip allen Universitätstudenten offen war, setzte sich für das Stiftungshaus die Bezeichnung Akademie durch. Diese Art der Nutzung war einem Schrumpfungsprozess ausgesetzt, denn immer mehr Behörden, darunter das Verteidigungsminsterium und des Versorgunsamt, richteten hier in Teilen des Gebäudes ihre Büros ein. 1934 kam das Statistische Amt dazu. Die Büroleute fanden die Studenten, die noch verblieben waren, meist störend und lärmig. Das Ende der Bildungseinrichtung im Straka’schen Sinne nahte. 1939 marschierten deutsche Truppen ein, die Nazis etablierten das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren. tschechische Universitäten wurden geschlossen, womit auch die letzten Reste der alten Bildungseinrichtung verschwanden. Die Nazis nutzten das Gebäude für ihre Regimezwecke, hauptsächlich als Gerichtssitz. Um 1942 wurde nach Plänen des Architekten Ladislav Machoň (frühere Beiträge u.a. hier und hier) das Gebäude innen im Sinne der neuen Nutzung modifiziert.
Der Naziterror endete gottlob im Mai 1945. Das intakte Gebäude wurde erst einmal provisorisch das Präsidiumsgebäude der neuen Regierung der Nationalen Front der Tschechoslowakei, eines Allparteienbündnisses unter Einschluss der Kommunisten, die sie nur als Vehikel zur völligen Machtübernahmen betrachteten (die dann 1948 erfolgte). Unter Zdeněk Fierlinger, einem sozialdemokratischen Renegaten, der später zu den Kommunisten wechselte und deren Machtübernahme betrieb, und der 1945 der erste Nachkriegs-Ministerpräsident der Tschechoslowakei wurde, übernahm das Gebäude die Aufgabe der Amtssitz des Regierungschefs zu sein. Das blieb auch nach dem Ende des Kommunismus 1993 – bis sich am 1. Januar 1993 die Tschechoslowakei auflöste. Die Tschechische Republik nutzte es fortan wieder als Sitz des Präsidiums bzw. Amtes der Regierung und tut dies noch immer.
Der Amt des Ministerpräsidenten, die Villa Kramář (Kramářova vila) befindet sich seit 1998 in Sichtweite oberhalb auf der Letná Höhe. Aber wenn er wichtige Regierungsgeschäfte mit den Kabinettsmitgliedern durchzuführen hat, amtiert der Ministerpräsident weiterhin in der Straka Akademie. Angeblich soll sich sein dortiges Büro im dritten Stock hinter dem vierten Fenster links vom Mittelrisaliten befinden (wo im Bild links der rote Pfeil hindeutet), was ich aber noch nicht verifizieren konnte. So sagte es jedenfalls ein freundlicher Führer, der die Gartenanlage enthusiastisch und faktenreich vorstellt, wenn sie samstags im Sommer für die Öffentlichkeit zugänglich ist (das Gebäude ist natürlich aus Sicherheitsgründen geschlossen).
Womit wir beim Garten sind. Der wurde urspünglich durch den bekannten Landschaftsgärtner František Thomayer (wir erwähnten ihn u.a. hier und hier) angelegt, hat aber seither einige Modernisierungen erfahre. Im Kern blieb er aber im Einklang mit dem neobarocken Gebäude ein formaler Barockgarten. Er wurde auch von Anfang an skulptural ausgestaltet. Nahe des Eingangs auf der Zentralachse befinden sich zwei streng klassizistische Marmorstatuen mit antiken Motiven von unbekannter Hand, eine lebensgroße Kleopatra (Bild rechts) und eine ebenso lebensgroße Lybische Sibylle. Das kam dem ursprünglichen klassischen Bildungszweck der Straka’schen Anstalt ästhetisch sehr entgegen.
Auch eine modernere Skultur kann man bewundern. Löwe mit Wölfin (Lev s vlčicí) heißt die Gruppe aus Bronze, die der Bildhauer Adam Fejfar 2019 als Geschenk der italienischen Regierung anfertigte, um das 10. Jahresjubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Italien und Tschechien zu feiern (offenbar hatten die Italiener die Repräsentanz nicht sehr schnell von Tschechoslowakei auf Tschechien umgestellt). Aber irgendwie kriegte man das mit der Aufstellung auch nicht schnell hin, sodass erst 2021 der damalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš und der italienische Botschafter Francesco Nisio die Statue einweihen konnten. Die beiden Figueren symbolisieren das tschechische Wappentier, den Böhmischen Löwen, und die sagenumwobene Wölfin, die dereinst die Gründer Roms, Romulus und Remus, säugte. In näherer Zukunft will sich Tschechien revanchieren und eine neue Statue des großen böhmischen Pädagogen Johann Amos Comenius (wir berichteten u.a. hier).
Ja, der Regierungssitz Tschechiens kann sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen, was seine Monumentalität angeht, aber auch in Bezug auf seine kulturelle und historische Dimension. Auch wenn der gute alte Graf Straka es einem anderen Zweck zugedacht hatte, erfüllt es die neue Aufgabe doch mit Würde. Und die Erbauer aus dem späten 19. Jahrhundert haben es anscheinend schon damals erahnt, und hoch oben über dem Turmaufsatz es Mittelrisaliten das Staatsymbol des zweischwänzigen Böhmischen Löwen in Sandstein einmeißelt lassen – wie man es über einem Regierungssitz auch erwarten kann. (DD)
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