Ort der Märtyrer

Der Tag der Verbrennung von Magister Jan Hus (Den upálení mistra Jana Husa) ist in Tschechien ist jeden Juli ein arbeitsfreier Staatsfeiertag. Besonders heftig wird der Tag allerdings begangen, wenn sich ein Jahrhunderts-Jahrestag nähert. Vor allem 1915 überschlug man sich geradezu in der Huldigung des Frühreformators.

Das war kein Zufall, denn 1915 tobte bereits der Erste Weltkrieg. Das Habsburgerreich, dem Böhmen untergeordnet war, begann zu bröckeln. Ernsthafte Unabhängigkeits- bestrebungen brachen sich in der Politik Bahn. Jan Hus war im Kollektivgedächtnis vieler Tschechen weniger der Frühreformator, der die Verweltlichung der Kirche beklagte, sondern eher eine nationale Identifikationsfigur. Der deutsche König Sigismund hatte ihm freies Geleit versprochen, als er auf dem Konzil von Konstanz seine Thesen rechtfertigen sollte, nur um das Versprechen zu brechen und die Hinrichtung als Ketzer auf dem Scheiterhaufen 1415 zu billigen. Ein Märtyrer, der von einem Deutschen verraten wurde und obendrein noch volkstümlich auf Tschechisch predigte – das war der Stoff, aus dem man später einen tschechischen Nationalhelden machen konnte.

Das berühmteste Denkmal, das man zum 500 Jahrestag 1915 in Prag errichtete, war natürlich das von dem symbolistischen Bildhauer Ladislav Šaloun geschaffene monumentale Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring. Aber auch in kleineren Dimensionen wurde der Jahrestag fast überall im Lande begangen. So auch im südöstlichen Stadtteil Záběhlice (Prag 10). Den dortigen Hus-Stein (Husův kámen) muss man aber sorgfältig suchen, denn er ist bei weitem nicht so prominent platziert wie das Denkmal auf dem Altstädter Ring und vor allem viel bescheidener in seinen Dimensionen. Aber sicher mit Liebe gemacht. Heute muss man an einer überaus lauten Straße (der Záběhlická) abbiegen, um einen kleinen Wald und Grünstreifen von ca. 50 bis 100 Meter Breite steil hinauszusteigen. Ist man erst einmal im Grünen, sieht das Ganze nett aus, aber man ist von Lärm umgeben. Links befindet sich ein riesiger Rangierbahnhof. Rechts befindet sich erst einmal eine andere Bahnstrecke und dann noch in unmittelbarer Nähe eine laute Autobahn. Kennt man nur die Photos des Stein, sieht das ganze erheblich idyllischer aus.

Um die heutzutage recht seltsam anmutende Ortswahl für einen Gedenkort für Hus zu verstehen, muss man zurück ins Jahr 1915. Da gab es die Autobahn nicht und allenfalls eine kleine Bahnstrecke führte rechts vorbei. Die Strecke, die man heute hochwandert, war ein paralleler Gehweg zu einer kleinen (heute inexistenten) Straße, die von Záběhlice zum nahen Ort Strašnice führte. Der Weg war, wie Poller am Wegesrande zeigen, damals (und noch einige Zeit danach) besser ausgebaut und sicher wesentlich mehr genutzt als heute, wo er lärmbedingt ein tristes Schattendasein fristet. Ansonsten weiß man herzlich wenig über den recht hübschen Hus-Stein. Klar ist, dass er 1915 zum 500. Jahrestag des Todes von Hus errichtet wurde.

Wer der Künstler war, der ihn gestaltete, weiß man nicht mehr. Ortshistoriker bringen ihn manchmal mit der Kaserne in Verbindung, die es in Záběhlice gab, aber worin die bestand, erschließt sich nicht so recht. Je mehr der damalige Weg nach Strašnice außer Gebrauch geriet, umso mehr geriet das Denkmal in Vergessenkeit. Es überwucherte bis es sich den Blicken entzog und langsam verfiel. Einige Zeit vor dem nächsten Jahrhundertstag nahm sich der bekannte Schauspieler Jan Vlasák, der sogar schon in einem Bühnenstück über Hus mitgewirkt hatte und öfters Lesungen aus dessen Werken hält, des Denkmals an. Er sorgte in Eigeninitiative dafür, dass es wieder freigelegt und das kaputte Fundament ersetzt wurde. Eine Lichtung wurde freigeschlagen und von zwei schönen Treppen wurde das Denkmal nun eingerahmt und leichter erreichbar gemacht. Ende Juni 2015 (kurz vor dem 600. Gedenktag) hielt die Hussitische Kirche hier einen Open-Air-Gedenkgottesdienst ab. Das nunmehr farbig gefasste und vergoldete Denkmal (für das man die ursprüngliche Beschriftung 1415-1915 um das Jahr 2015 ergänzt hat) wurde pünktlich zum Jahrestag feierlich eingeweiht.

Auf dem Denkmal sieht man kein Portrait von Hus, vielmehr das eigentliche Symbol des Hussitentums, den Kelch. Der hatte etwas mit dem Verständnis des Abendmahls zu tun. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Abendmahl beider Gestalt. Während in der katholischen Kirche traditonell die für Brot stehende Hostie (Oblate), aber kein Wein (der blieb dem Priester vorbehalten) der Gemeinde gereicht wird, wurde bei den Hussiten (und den nachfolgenden protestantischen Kirchen der Gemeinde zugleich Brot (Leib Christi) und Wein (Blut Christi) gereicht. Von der katholischen Kirche wurde das lange as pure Ketzerei betrachtet. Umgekehrt kämpften die Hussiten mit dem Abbild des Kelches auf Bannern und Schilden während der Hussitenkriege als ihr zentrales Symbol. Und auch heute noch ist der Kelch in allen reformierten Kirchen in Tschechien allgegenwärtig, wenngleich man sich gottlob über die Frage des Laienkelches nicht mehr in blutige Kriege hineinziehen lassen will. Für ein Hus-Denkmal wie dem in Záběhlice war letztlich die einfache Darstellung des Kelches (statt eines Portraits von Hus) völlig hinreichend.

An dem Ort, an dem man seit 1915 des Glaubensmärtyrers Hus gedenkt, fand viel später auch ein Märtyrer im Kampf gegen die Nazi sein Ende. Seit 2020 erinnert ein kleiner Gedenkstein mit Tafel daran, dass an diesem symbolhaften Ort am 17. Juni 1942 sich der 18-jährige Student Jan Milič Zelenka mit einer Zyanidkapsel das Leben nahm. Er war zusammen mit seiner Familie Mitglied einer Widerstandsgruppe gewesen. Nach dem Attentat auf den Nazischergen und stellvertretenden“Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich führte die Gestapo eine Razzia in der Wohnung durch. Sein Vater konnte sich noch durch Zyanid den nun drohenden Verhören entziehen. Seine Mutter wurde verhaftet und kurz darauf hingerichtet.

Zelenka war an dem Abend nicht zu Hause gewesen, erfuhr aber durch Freunde von den Ereignissen. Da er über viele Informationen zu den Attentätern, ihren Aufenthaltsorten und ihren Sympathisanten verfügte, hatte er Angst, dass die Nazis ihn fassen könnten und er in den brutalen Verhören Mitwiderstandskämpfer verraten würde. Im Walde, ein wenig oberhalb des Hus-Denkmals setzte er seinem Leben ein Ende, um seine Freude zu schützen. An der Stelle direkt neben dem Hus-Denkmal steht nun das seine. Die kleine Lichtung im kleinen Waldstreifen bei Záběhlice ist zu einem Ort der Märtyrer geworden. (DD)

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