Publizist am Waldrand

Dort, wo man einen Staatsmann und Publizisten dieses historischen Formats nicht erwartet, steht er plötzlich vor einem, nicht real, aber als Büste auf einem Sockel: Julius Grégr.

Am Rande des Naturschutzgebietes Máslovická stráň, dort wo die kleine Fähre von Libčice keine fünf Kilometer nördlich der Prager Stadtgrenze am Ostufer der Moldau landet, steht er im Grünen am Wegesrand. Nun, bevor wir klären, warum er hier so mitten in Natur und Landschaft unterhalb der kleinen Ortschaft Máslovice steht, muss man vielleicht erst einmal erklären, wer denn Julius Grégr überhaupt war. Grégr gehörte 1874 zu den Gründern der Partei der Jungtschechen (Mladočeši), die auch Freisinnige Nationalpartei (Národní strana svobodomyslná) genannt wurde. Die setzte sich im Sinne eines liberalen Nationalismus für mehr Selbstbestimmung der Tschechen innerhalb des Habsburgerreichs ein. Mehrfach saß er für die Partei im Böhmischen Landtag und im Kaiserlichen Rat, wo er mit den damaligen Autoritäten ständig aneckte. Der angriffige und oft antiklerikale Standpunkt, den Grégr formulierte, brachte den Jungtschechen bei der Landtagswahl 1889 die dominierende Position ein.

Das schaffte Grégr vor allem, weil er im Lande eine publizistische Meinungsmacht innehatte, die damals ihresgleichen suchte. Schon 1861 hatte er die Tageszeitung Národní listy (Volksblätter) gegründet, die bald zum politischen Sprachrohr aller progressiven Tschechen wurde. Nirgendwo sonst im Habsburgerreich wurde so offen publizistisch für die demokratischen und bürgerlichen Rechte der Gekämpft. Mit der Fusion mit der Zeitung Hlas (Die Stimme), die noch aus der Zeit der Revolution von 1848 stammte (auf die sich Grégr gerne berief), verstärkte Národní listy noch einmal ihr Gewicht als einflussreichste Zeitung in Böhmen. Seine Rolle als Publizist wird hier in Máslovice übrigens noch einmal direkt neben der Büste durch die Holzschnitzereien auf einer Sitzbank gefeiert.

Hier an diesem Ort Julius Grégr mit der Büste, der Bank und einer Infotafel (Bild links) zu zelebrieren war die Idee von Máslovices Bürgermeisterin Vladimíra Sýkorová im Jahre 2015. Besonders die Sache mit der Büste war nicht leicht. Eine ebensolche befand sich im Besitz von Nachfahren Grégrs in dessen altem Haus in Prag Smíchov. Es wurde die Bildhauerin Radana Čablová angeheuert, um eine Kopie herzustellen. Die nicht unerheblichen Kosten, die Skulptur in das Studio der Bildhauerin hin und zurück zu transportieren, übernahm dann die Gemeinde Máslovice. Im März 2019 war es soweit und die feierlich Einweihung konnte mit viel Prominenz, Nachfahren Grégrs und Bürgern Máslovices stattfinden.

So begrüßt einen Grégr heute freundlich auf dem Weg durch das Naturschutzgebiet, möglicherweise Richtung der etwas oberhalb gelegenen Ortschaft Máslovice, wo man ein Buttermuseum besuchen kann, worüber wir bereits berichteten. Aber warum hier am Ufer der Moldau bei der Fähre nach Máslovice? Natürlich, weil er mit dem Ort eng verbunden war.

Im Jahr 1893 hatte Grégr hier eine alte Mühle gekauft und zu einer Villa umgebaut, in der er sich zurückziehen konnte. Seine Gesundheit hatte abgenommen – er starb 1896 – und auch politisch war er zunehmend isoliert. Die radikale Oppositionspolitik gegen das Habsburgregime hatte in eine Sackgasse geführt. Jüngere Politiker wie Václav Škarda hatten 1894 bei einem Treffen die Jungtschechen mit der Resolution von Nymburk einen Kurs der Mäßigung eingeschlagen. Das erbrachte sichtbare Folgen, etwa als der Jungtscheche Josef Kaizl 1898 Finanzminister wurde (was vor ihm keine Tscheche geschafft hatte). Ein Zeichen, dass neue Zeiten angebrochen waren, war schon 1893 als Grégr mit dem jungen Tomáš Masaryk brach, der bald die Realistische Partei gründen sollte und 1918 das Land als Präsident in die Unabhängigkeit führte.

Und so führte der gesundheitlich angeschlagene Grégr auch aus politischen Gründen hier im grünen Máslovice ein zurückgezogenes Leben. Seine Zeitung bestand noch bis 1941 (lange nach seinem Tod), als sie von den Nazis verboten wurde. Die Villa, in der Grégr wohnte, hat in den 1970er Jahren einen etwas unschönen Anbau bekommen und dient heute als Forschungsinstitut für Bienenzucht (Výzkumný ústav včelařský). Sieht man den kleinen Weinberg vor der alten VIlla, kann man nachvollziehen, warum sich Grégr diesen Ort für den Ruhestand aussuchte. (DD)

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