Raffinierter Funktionalismus

Das Bauwerk, das die meisten Pragkenner mit dem Stadtteil Troja (Prag 7) im Norden Prags verbinden, dürfte wohl das barocke Schloss sein (wir berichteten hier). Wer sich aber ein wenig umherschaut, wird hier aber auch bei der Suche noch avantgardistischer moderner Architektur fündig. Die Villa Diviš (Divišova vila) in der Trojská 224/134 muss dabei an erster Stelle genannt werden.

Die gehört zu den bemerkenswertesten Beispielen für die funktionalistische Villenarchitektur der Zeit der Ersten Republik zwischen Weltkriegen. Das will etwas heißen, denn Prag ist schon so etwas wie eine Hochburg dieses Stil (Beispiele nannten wir u.a. hierhier und hier). Die Villa Diviš wurde in den Jahren 1928/29 nach den Plänen des Architekten Adolf Benš erbaut. Der war als Baumeister privater funktionalistischer Villen in seiner Zeit allgemein berühmt und nachgefragt (Beispiel hier), erreichte aber auch für eine stattliche Zahl öffentlicher Gebäude hohe Bekanntheit, etwa der 1937 erbauten Eincheckhalle des internationalen Flughafens Prag-Ruzyně, des Gebäudes der Prager Elekrizitätswerke (1935) oder der Wirtschaftshochschule in Mladá Boleslav von 1928. Kurzum: Ein damaliger Star seiner Branche.

Die Villa Diviš baute er für den Straßenbau-Unternehmer Václav Diviš in einem heute noch sehr idyllisch anmutenden Teil Troja. Seine Nachfahren bewohnen das Haus immer noch. Heute ist das Areal unterhalb der Villa dichter bebaut als zur Zeit er Errichtung. Damals dürfte man auf allen Stockwerken eine ungehinderte Sicht auf die nahe Moldau gehabt haben, was bei den oberen Stockwerken immer noch der Fall sein dürfte. Die Villa ist nämlich an einen steilen Hang mit satten 25 Meter Gefälle gebaut (weshalb sie zwei Kelleretagen hat). Umgeben ist das Gebäude von einem üppig bewachsenen Terrassengarten (man befindet sich in der Nähe großer Weinberge). Durch die Anhöhung ist das Haus auch klar von der vorbeilaufenden Straße isoliert.

An dem Gebäude kann man erkennen, welche architektonischen Ideen Benš geprägt haben. Als Schüler eines der Pioniere der modernen tschechischen Architektur, dem Kubisten Josef Gočár, ließ er sich später stark von von dem bekannten Meisterarchitekten Le Corbusier inspirieren. Das kann man bei der Villa Diviš – eine damals hochmoderne Stahlbetonskelett-Konstruktion – deutlich erkennen. Die technizistische Ästhetik des ausrechteckigen Kuben bestehenden Gebäudes spricht hier für sich.

Und man kann sich kaum ein Haus vorstellen, an dem sich die Bedeutung des Begriff Funktionalismus besser erklären lässt. Durch die Nord-Süd-Ausrichtung konnte Benš den natürlichen Wechsel der Tageszeiten in die Funktionen einbeziehen. An der sonnigen Südseite befanden sich hauptsächlich die Wohnräume. Die große Fensterfront sorgte dafür, dass das Wohnzimmer von Licht durchflutet war. Die wirtschaftlichen Räume (Küche, Waschküche etc.) lagen hingegen hinten. Die Schlafräume wurden nach ganz oben platziert, was als „familienorientiert“ galt. Wirtschaftlichkeit und Ästhetik sollten zu einer Einheit verschmolzen werden. Zur Wahrung der ästhetischen Dimension hat Benš hier als einer der ersten eine raffinierte technische Neuerung eingeführt: Die Regenrinnen sind nicht, wie zuvor meist üblich, an der Außenwand befestigt, sondern in den Wänden optisch „verschwunden“, was den meisten Betrachtern wohl erst dann als eine echte Bereicherung auffällt, wenn sie es gesagt bekommen. (DD)

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