- Hans Weber
- November 1, 2024
Rebellen mit Gitarre
Heute vor 30 Jahren, am 3. März 1994, starb Karel Kryl, der wohl bedeutendste Folk- und Protestsänger des Landes. Eine aus Granit angefertigte Gedenktafel mit graviertem Portrait an einem Haus in der Milady Horákové 382/75 im Stadtteil Holešovice (Prag 7) erinnert an das Wirken des unangepassten und mutigen Sängers in Prag.
In Tschechien ist er als der Musiker bekannt, der neben Marta Kubišová am deutlichsten für den Protest von Künstlern gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 stand. Er war gerade aus dem heimischen Kroměříž nach Prag gezogen, um sich der Dichtung und der Musik zu widmen. Schon im selben Jahr hatte er mit seiner Band The Bluesmen seinen ersten Song aufgenommen, das poetische Lied Nevidomá dívka (Blindes Mädchen). Schon das hörte sich nicht nicht so an, als ob es stilistisch mit der vorgebenen Parteilinie in Sachen Kultur in Einklang stand. Aber sein Folk-Stil brachte ihm bald den Titel „der Dichter mit der Gitarre“ ein. Dann kam das Lied, das ihn berühmt machte: Bratříčku, zavírej vrátka (Brüderchen, schließ die Tore) – spontan komponiert in der Nacht als die Panzer durch die Stadt zu rollen begannen. Offen stellte er damit das ganze System und die Okkupation in Frage: „Der Wolf wollte das Lamm, kleiner Bruder! Hast du das Tor geschlossen? Weine nicht, kleiner Bruder. Sie sind keine Mistkerle. Du bist schon groß. Sie sind nur Soldaten… Weine nicht, kleiner Bruder. Verschwende deine Tränen nicht. Schlucke die Schimpfwörter herunter und schone deine Kraft. Du kannst mir keine Vorwürfe machen, wenn wir es nicht schaffen“, hieß es da.
Das Lied wurde bei Demonstrationen zu einer der meistgesungenen Hymnen des Protest. Das Album mit dem Song schoss sofort die Hitparaden hinauf, nur um umgehend von den Behörden verbannt zu werden. Eine Weile versuchte er durchzuhalten, dann war die Repression zu schwer. Er nutzte im September 1969 eine Einladung in die Bundesrepublik zum alljährlichen Burg-Waldeck-Festival, dem damaligen Treffpunkt von Protestsängern aus Ost und West, um sich in den Westen abzusetzen.So erschien sein nächstes Album, Rakovina (Krebs), 1969 in Deutschland. In der Tschechoslowakei verboten, wurden unzählige Kopien – meist in einem Cover für klassische Musik – auf dem dortigen Schwarzmarkt geschmuggelt und verkauft. Um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern, arbeitet er zunächst als Kommentator bei Radio Free Europe – Radio Liberty (auch hier) in München, einem großen Sender, der Programme in den jeweiligen Sprachen in die Länder des Ostblock sendete, die alles enthielten, was man dort nicht hören durfte. 1983 wurde er sogar fest angestellt. Als 1989 die Samtene Revolution die kommunistische Herrschaft zu Fall brachte, war er zunächst begeistert. Bei einer der großen Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz im November gegen das Regime sang er sogar mit dem Schlagersänger Karel Gott (den behandelten wir auführlicher hier) im Duett die Nationalhymne – ein eher seltsames Duo, hatte sich Gott während des Kommunismus doch meist eher recht „unrebellisch“, wenn nicht gar angepasst verhalten.
Kryl war bald schon desillusioniert vom Ergebnis der Samtenen Revolution. Er hatte sich eine perfektere Demokratie gewünscht als die, die man nun bekam. Seinem Frust verlieh er 1993 mit dem Song Demokracie (Demokratie) Ausdruck. „Wer jahrelang gestohlen hat, stiehlt heute doppelt so viel. Die uns jahrelang gefoltert haben, werfen uns in die Arbeitslosigkeit. Und heute haben sie diejenigen, die die Wahrheit sangen, zu Verrätern gemacht“, hieß es da. Er fand, dass dass Angepasste oder gar dubiose Vertreter des kommunistischen Regimes oft problemlos und schneller Karriere machten als die damaligen tapferen Regimekritiker. Der Wechsel durch die Samtene Revolution war ihm nicht weit genug gegangen. Auch die Trennung von Tschechien und der Slowakei am 1. Januar 1993 setzte ihm zu und entfremdete ihn von Politik des Landes. Fortan lebte er hauptsächlich wieder in München. Dort starb er auch heute vor 30 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Obwohl als tapferer Dissident hoch verehrt, hatte er sich zum Schluss von vielen seiner früheren Mitstreiter entfremdet. Als er (nunmehr doch in Prag) zu Grabe gelegt wurde, bedauerten viele Freunde, dass sich Präsident Václav Havel – selbst ein ehemaliger Dissident und Freund vieler Musiker – bei der Beerdigung auf dem Friedhof von Břevnov (Prag 6) nicht selbst erschien, sondern nur einen hochrangigen Mitarbeiter des Präsidialamtes schickte.
Das mag andere und plausible Gründe gehabt haben, als Kryls Freunde damals annahmen. Havel hatte Kryl schon 1995 die Verdienstmedaille (Medaile za zásluhy) verliehen. Dem folgten unzählige andere Ehrungen, darunter noch 1994 – also unmittelbar nach seinem Tod – die silberne Gedenkmedaille der Karlsuniversität. Und noch 2014 zeichnete ihn Präsident Miloš Zeman anlässlich des 20. Todestages postum mit dem Tomáš-Garrigue-Masaryk-Orden (Řád Tomáše Garrigua Masaryka) aus, eine der höchsten Auszeichnungen des Landes. Nicht nur in Prag gibt es Straßen, die nach ihm benannt sind, sondern in unzähligen anderen Städten. An seinem Geburtshaus in Kroměříž und zahlreichen Orten, an dene ner wirkte, wurde eine Gedenktafel eingeweiht. Die Gedenktafel hier in Prag Holešovice wurde am 21. Mai 2012 neben der Tür des Hauses angebracht. Der Text auf der Tafel unter dem Portrait lautet: „Básník s kytarou Karel Kryl *12.4.1944 †3.3.1994. Stál na straně svobody slova. S úctou přátelé“ (Der Dichter mit der Gitarre Karel Kryl *12.4.1944 †3.3.1994. Er stand auf der Seite der Freiheit des Wortes. Mit Hochachtung von den Freunden).
Initiiert und gespendet wurde die Tafel tatsächlich von alten Freunden und Mitstreiten, vor allem von dem Sänger und Songwriter Ivan Hlas, einem langjähriger Bewunderer Kryls. Die Wahl des Hauses war eher zufällig. Kryl war ja immer nur kurz und zum Teil unwillig in Prag und hatte nie so etwas wie eine dauerhafte feste Adresse – oder zumindest keine, an der man eine Gedenkplakette anbringen konnte. Normalerweise bringt man solche Tafeln ja nur an Häusern an, in denen der Betreffende geboren wurde, wohnte oder starb. Also, wo sollte die nun hin? Schließlich brachte man sie hier in Holešovice an, weil dort der Folk- und Countrysänger-Kollege Wabi Daněk (eigentlich Stanislav Daněk), der Kryl und Hlas als Sangeskollegen gut kannte, mit seiner Familie wohnte. Daněk war auch ein regimekritischer Musiker gewesen und hatte 1974 mit dem Song Rosa na kolejích (Tau auf den Schienen) so etwas wie die Hymne der Tramper-Bewegung komponiert und gesungen. Die Tramper waren eine schon in den Zeiten der Ersten Republik entstandene subkulturelle Bewegung von Aussteigern, die sich – ernüchtert von der Politik – lieber in die freie Natur zurückzogen, und die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 unter systemverdrossenen Jugendlichen einen enormen Aufschwung nahm.
Daněk war begeistert von der Idee der Anbringung einer Tafel für Kryl und gab die Erlaubnis – allerdings unter der Bedingung, dass man nach seinem Tode auch für ihn eine Tafel anbringen solle. Das versprach man und hielt sich auch daran als Daněk 2017 starb. Und so sieht man heute rechts neben dem Eingang eine große und etwas ausgeschmückte Tafel für Karel Kryl und links daneben eine kleinere für Wabi Daněk. Zusammen ist es auf deise Weise eine regelrechte Gedenkstätte für alle jene tapferen Rebellen mit Gitarre, die mit Poesie dem kommunistischen Regime die Stirn boten. (DD)
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