- Hans Weber
- November 1, 2024
Schleuse und Elektrizitätswerk in Miřejovice
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert wurde die bis dato unberechenbare und wegen ihrer Untiefen fast unbeschiffbare Moldau durch Schleusen reguliert und gebändigt. Schrittweise wurden etliche der Stauwerke bald auch für die Stromerzeugung genutzt. Es entstanden dabei nicht nur kleine technische Meisterwerke, denn meist vernachlässigte man die ästhetische Seite nicht völlig. Ein hübsches Beispiel dafür ist die rund 25 Kilometer nördlich von Prag gelegene, im Spätjugendstil gestaltete Schleuse von Miřejovice (Zdymadlo Miřejovice) mit ihrem recht einzigartigen kubistischen Elekrizitätswerk.
Es war dies nicht der erste Versuch, die Moldau an dieser Stelle zu zähmen. Die Anlage befindet sich direkt bei dem barocken Schloss und Landschaftspark Veltrusy (wir berichteten hier). Die Besitzerfamilie, das Adelsgeschlecht Chotek, ließ hier (auch zum Schutz des Parks) im Jahre 1755 eine Brücke mit einem Holzwehr erbauen. Die wurde jedoch beim großen Hochwasser von 1784 restlos zerstört. Aufgebaut wurden danach weder das Stauwehr noch die Brücke. Stattdessen verkehrte hier eine kleine Fähre, die Veltrusy mit dem gegenüber am westlichen Ufer liegenden Ort Nelahozeves (das erwähnten wir hier), zu dem Miřejovice gehört, verband. Ende des 19. Jahrhunderts war klar, das das nicht so bleiben würde. 1896 wurde die staatliche Commision für die Canalisierung des Moldau- und Elbe-Flusses in Böhmen (Komise pro kanalisování Vltavy a Labe v Čechách) ins Leben gerufen, die ein Gesamtprojekt der Schiffbarmachung und Bändungung des Flusses erarbeite, mit dessen Umsetzung man umgehend begann.
Und so wurde in den Jahren 1900 bis 1903 bei Miřejovice (genauer: Moldau-Kilometer 18) nach den Plänen des Architekten und Ingenieurs František Sander ein neues Schleusenwehr erbaut, das an Größe und technischem Standard seinen Vorgänger bei weite übertraf. Mit der Durchführung wurde die Maschinenfabrik Breitfeld-Daněk beauftragt, die später mit dem heute noch existierenden Maschinenbauer ČKD zusammenging. 288 Meter ist das Wehr breit. Es gibt zwei Schleusenkammern, die größere ist 133,4 Meter lang und 20 Meter breit und die kleinere Kammer ist 73 Meter lang und 11 Meter breit. Der Höhenunterschied des Wasserspiegel beträgt 3,45 Meter. Auch wenn heute meist nur Paddler und Kanuten den Fluss hier passieren und keine Frachtschiffe, ist das Ganze also für etwas größere Schiffe ausgelegt. Zudem dient das Wehr auch der Wasserregulierung.
Der eigentliche Clou war jedoch die Brücke, die über die ganze Länge des Stauwehrs führte. Sie ist ganze 7 Meter breit und war damals für den Fahrzeugverkehr (erst Pferdefuhrwerke, später Autos) geöffnet. Erst 1974 wurde sie in eine reine Fußgänger- und Fahrradbrücke umgewandelt. Kleine Barrieren versperren den Autos nun den Weg. Die Pläne für die Brücke stammten von dem Ingenieur Professor Jan Záhorský, der es später – im Jahre 1920 – sogar zum Parlamentsabgeordneten bringen sollte. Es handelt sich um eine Stahlgitterkonstruktion, die damals modernsten technischen Ansprüchen genügte. Die luftige Gitterstruktur, die die Fahrbahn fast wie ein Dach überspannt,erlaubt dem den Fluss querenden Pasanten eine schöne Aussicht auf die umliegende Landschaft. Eine ähnliche Brücke baute Záhorský später auch in Česká Lípa (die Poklopový most)
Die Brücke ist als Wehr-Brücke nicht freitragend. Vielmehr ruht sie statisch auf fünf großen Türmen, die zugleich auch als Pfeiler dienen. Sie haben zur Fahrbahn hin je 3,5 Meter Breite. Vom Wasserspiegel bis zum Dachgiebel beträgt die Höhe 12 Meter, wobei die beiden äußeren Türme etwas niedriger sind als die drei mittleren.
Sie erfüllen dabei nicht nur eine Trage- und Stützfunktion für die Brücken-Fahrbahn. Innen befinden sich nämlich (und mag der Grund sein, warum überhaupt Türme gebaut wurden) hydrauliche Mechanismen für Zylinder, die die Höhe des Stauwehr in fünf Abschnitten verändern können. Auch das neueste Technik vom Feinsten! Befugte Mitarbeiter (aber wohl nur die) können die Türme von der Fahrbahn aus über ein Gittertörchen betreten, um die Technik in Ordnung zu halten.
Die Türme geben der Anlage trotz aller Modernität (die bei späteren Renovierungen noch verstärkt wurden) ein fast schon an Burganlagen aus dem Mittelalter erinnerndes archaisch-historisierendes Aussehen. Optisch gehört die ganze Anlage dadurch jedenfalls zu den imposantesten unter den Stauwehren und Schleusen an der Moldau.
Was thematisch zu der ästhetischen Dimension des Stauwehrs und der Brücke führt: Die Brückenauffahrten (insbesondere die auf dem östlichen Ufer bei Veltrusy), auf denen vor allem die Stahlbrücke seitlich aufgehängt ist, sind natürlich ganz traditionell aus solidem Stein gebaut.
Während die Brücke selbst nur stählernes Material und Funktionalität für sich sprechen ließ, wurde hier 1903 auf skulpturale Ausgestaltung geachtet. Die zierenden Pfeiler an den Fahrbahnrändern sind im späten Jugendstil gehalten, dem sogenannten geometrischen Jugendstil, der im Gegensatz zu frühern Stilformen auf florale Ornamentik verzichtet. Jedenfalls wird hier mit sehr abstrakten und strengen Formen operiert, die dadurch wiederum mit der technischen Grundidee korrespondieren. Es sieht so aus, als ob hier aus Stein Maschinenteile nachgebildet worden wären.
Ein wenig deutet das vielleicht darauf hin, dass damals der Jugendstil schon aus der Mode zu fallen schien. Schon kurze Zeit später wurde er von dem noch experimentelleren und abstrakteren Kubismus verdrängt, mit dem das Ganze schon gewissen Ähnlichkeiten aufweist.
Der hatte dann seinen großen Auftritt als in den Jahren 1928 bis 1930 einige Meter unterhalb auf dem westlichen Ufer (als bei Miřejovice) ein Wasserkraftwerk für Stromgewinnung erbaut wurde. Architektonisch und in der Ausführung war für das Gebäude die Baufirma Kapsa und Müller zuständig. Insbesondere Mitgründer Lumír Kapsa hatte an etlichen kubistischen Gebäuden mitgewirkt, wetwa bei der Masaryk-Brücke (Masarykův most) in Pilsen. Und als er das Elektrizitätswerk hier in Miřejovice baute, war gerade der sogenannte Rondokubismus en vogue, eine originär tschechische Variante des Kubismus, die den eigentlich abstrakten, auf geometrischen Formen basierenden Stil so umformte, dass sich eine pseudo-flokloristische oder -klassische Formensprache ergab (Beispiele stellten wir bereits u.a. hier, hier und hier vor). Man betrachtete das damals eine eine Art modernen und zugleich traditionalistischen Nationalstil für die Tschechoslowakei.
Und so sieht man es auch hier. Ob die an Burgenarchitektur erinnernden „Schießscharte“ oder die klassizistisch anmutenden Halbbogenfenster am Bauwerk selbst oder die schwungvoll gestalteten Beleuchtungen draußen – alles ist sehr konsequent rondokubistisch designt. Obwohl durchaus modern, käme man auf den ersten Blick nicht darauf, dahinterein funktionales Gebäude wie ein Elektrizitätswerk zu erwarten.
Und das ist es ja natürlich auch: Das eigentliche Kraftwerk in dem rechteckigen Gebäude wurde durch die Firma von František Křižík entworfen. Der war Pionier der Elektrifizierung im Lande und ein Erfindergeist von solchen Ausmaßen, dass man ihn als den „tschechischen Thomas Edison“ in Erinnerung hat. Das Kraftwerk ist mit fünf sogeannnten Francis-Turbinen ausgerüstet. Die Wasserrinne, die die die Turbinen betreibt, ist rund 700 Meter lang. Die Gesamtleistung betrug satte 3,57 Megawatt. Allerdings befinden sich nicht mehr nur die alten Originalausrüstungen (was angesichts der Bedeutung von Křižík natürlich reizvoll wäre), denn das Kraftwerk wurde immer wieder renoviert, insbesondere Anfang der 1990er Jahre nach dem Ende des Kommunismus. Immerhin kann man noch auf einem Vorplatz einen Teil einer alten Turbine bewundern.
Nach Abschluss der Renovierung 1992 begann man über eine Privatisierung der als Kleines Wasser-Elektrizitätswerk (Malá vodní elektrárna, MVE) eingestufte Anlage nachzudenken. Seit dem Jahr 2006 gehört das Elektrizitätswerk dem Stromkonzern Energo-Pro, der zahlreiche kleine und große Wasserkraftwerke an der Moldau betreibt, etwa das bei der weiter flussaufwärts befindlichen Talsperre Slapy.
Mit Hilfe von EU-Fördergeldern renovierte die Firma in den Jahren 2009 bis 2012 die Anlagen noch einmal (mittlerweile produziert sie 4,8 Megawatt) gründlich und besserte sie auch technisch auf. Es leistet dadurch einen wichtigen Beitrag für die Stromversorgung des Prag umgebenden Mittelböhmischen Kreises (Středočeský kraj).
Und obendrein ist das Gebäude auch äußerlich in allerbestem Zustand und sieht wie gelackt aus. Das rondokubistische Design kommt nun voll zum Tragen. Insbesondere der Eckturm, der harmonisch zum Design der Türme am Stauwehr passt, sieht todschick aus. Das wird auch dem Status als ein schützenswertes Denkmal gerecht, den Schleuse und Elektrizitätswerk schon seit 1958 (also kommunistischen Zeiten) innehaben, und der 2010 noch einmal bekräftigt und verstärkt wurde. Die Anlage gehört zuden kleinen Attraktionen der Umgebung (von denen natürlich das nahegelegene Schloss Veltrusy das kulturhistorische bedeutendste ist), die von Ausflüglern bewundert werden kann und auch wird. Dazu trägt auch der gut ausgebaute, grenzübergreifende Moldau- und Elbe-Radweg bei, der hier vorbeiführt.
Im Jahre 1984 hatte übrigens der schon 1960 gegründete Kanuverein der nahen kleinen Stadt Kralupy Grund zum Jubeln. Damals wurde im östlichen Ablaufkanal eine 600 Meter lange Slalomstrecke für Kanuten aufgebaut, die vom Verein betreut wird, aber auch für andere Nutzer offen ist. Zwischen 9 und 12 Kubikmeter pro Sekunde fliesst hier das Wasser, was hinreichend für ein schönes und spannendes Wassersporterlebnis ist. In der Tat beschränkt sich der Flussverkehr in diesem Abschnitt der Moldau trotz der großen Schleuse hauptsächlich auf Kanuten und Paddler. Die bekommen hier allerdings viel geboten. (DD)
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