Sparkasse: Pompös und tschechisch national

Bahnt man sich vom Wenzelsplatz aus den Weg durch die Touristenmassen hinein in die Altstadt, kann man gar nicht anders, als dieses geradezu überschwänglich pompöse Gebäude zu bewundern. Keine Frage, die alte Städtische Sparkasse Prag (Městská spořitelna pražská) in der Rytířská 536/29 (Ecke Melantrichova) dominiert geradezu seine Umgebung.

Dieses Bauwerk mit seiner Prachtfassade im Stil der Neorenaissance sollte nicht zuletzt eine Botschaft aussenden, eine Botschaft des erwachenden tschechischen Nationalbewusstseins. Die Idee des Sparkassenwesens erwachte im den damals zum Habsburgerreich gehörenden Ländern der böhmischen Krone 1825 zum Leben. Von Honoratioren des Landes wurde damals die Böhmische Sparkasse mit ihrem Direktor Leopold von Lämel ins Leben gerufen, um der breiten Bevölkerung sichere Kreditmöglichkeiten einzuräumen und die Wirtschaft zu fördern. Auf Tschechisch übersetzte man das Česká spořitelna, aber mit dem „česka“ meinte man nicht „tschechisch“ im Sinne des Nationalismus der Tschehen im Lande, sondern immer noch das über den Landesnationen stehende „böhmisch“. Als die Sparkasse für Prag – eben die Městská spořitelna pražská – im Jahre 1875 gegründet wurde, hatte sich das bereits deutlich geändert. Die neue Kasse wurde ausschließlich von Wirtschaftsführern, Honoratioren und Kommunalpolitikern tschechischer Nationalität gegründet. Das war nicht das erste nationalistische Bankprojekt, dass das immer selbstbewusstere tschechische Bürgertum lancierte, wie man am Beispiel der Živnostenská banka (Gewerbebank) sah, die schon 1868 gegründet worden war (erwähnten wir bereits hier).

Zum ersten Anleger der neuen Sparkasse wurde – sorgfältig und werbewirksam inszeniert – der damals überaus populäe tschechische Nationalhistoriker František Palacký (erwähnten wir u.a. hier und hier), der in diesen Zeiten schon fast so etwas wie die Personifizierung des tschechischen Nationalismus war. Das von der Stadtregierung initiierte Projekt passte in den Modernisierungsgedanken, der für den tschechischen Nationalismus des aufstrebeneden Bürgertums (auch in Abgrenzung zu dem als altmodisch empfundenen Habsburgertum) charakteristisch war. Gerade in Prag legte die Stadtregierung unter dem damaligen Bürgermeister Josef Huleš einen besonderen Eifer an den Tag, die städtische Infrastruktur wirtschaftsfördernd auszubauen, wozu die neue Sparkasse eine willkommene Ergänzung war. Das hübsch vergoldete Prager Stadtwappen in Stuck verziert nicht umsonst das obere Stockwerk der Fassade des Sparkassengebäudes auf allen Seiten.

Anfänglich residierte die Sparkasse nicht an diesem Ort. Sie hatte ihre ersten Büros nämlich im Gebäude des Altstädter Rathauses, das – obwohl es damals noch einen heute nicht mehr existierenden Anbau gab – schon bald zu klein für die Bedürfnisse der Sparkasse war. 1886 zog sie in größere Räumlichkeiten im Haus Stará Rychta, einem klassizistischen Stadtpalais in der Na můstku 404/2, um (Bild links). Das war aber nur ein Provisorium, denn die boomende Sparkasse in der boomenden Stadt Prag plante sogleich ein eigenen, auf sie zurechtgeschnittenes Mega-Gebäude, das dem tschechischen Prestige und der Wirtschaftskraft gerecht werden sollte. ein erster Architekten-Wettbewerb wurde 1890 ausgeschrieben, der aber noch keine klaren Vorgaben zum Grundstück machte. Ihn und das damit verbundene Preisgeld von 1000 Gulden gewann der Architekt Antonín Wiehl. Der war ein Spezialist für Neo-Renaissance, über den wir u.a. schon hierhierhier und hier berichteten – ein Stil, der damals als besonders „national“ empfunden wurde.

1891 gab es einen zweiten Wettbewerb, bei dem man nunmehr den Grundriss vorgab, was nunmehr eine realistische Planung ermöglichte. Den ersten Preis gewann nunmehr der Architekt Friedrich Schachner (erwähnten wir hier), aber bei näherem Hinsehen fand man ihn zwar immer noch schön, aber technisch nicht realisierbar. Also bekam Wiehl mit einem überarbeiteten Entwurf den Zuschlag, wobei ihm der aufstrebende Architekt Osvald Polívka (wir berichteten über ihn u.a. hierhierhierhier und hier) an die Seite gestellt wurde, der später als einer der großen Vertreter des Prager Jugendstils bekannt wurde, aber damals – wie Wiehl – noch dem Historismus frönte. Das Gebäude wurde nun in den Jahren 1892 bis 1894 im Stil der italienischen Renaissance errichtet, wobei es ab und an zu Unterbrechungen kam, weil man im geschichtsträchtigen Areal der Altstadt immer wieder auf neue archäologische Fundstellen (unter anderem ein Münzschatz aus der Zeit Kaiser Sigismunds) stieß. Früher hätte man sich darüber hinweggesetzt und weitergebaut, aber jetzt war im Sinne eines neu erwachsenden nationalen Geschichtsbewusstseins der Denkmalschutzgedanke immer stärker ins Bewusstsein der Prager Bürger geraten. Und gerade Wiehl, der sich besonders für die Gründung des stadtgeschichtlichen Museums der Hauptstadt Prag (Muzeum Hlavního Mesta Prahy) eingesetzt hatte, ließ die Archäologen walten. Trotz der Verzögerungen wurde der Bau durch den Bauunternehmer Quido Bělský in kurzer Zeit fertiggestellt.

Und weder bei den Dimensionen, noch bei der Aussstattung wurde gespart bei der Sparkasse. Während die meisten Neorenaissance-Gebäude der Zeit etwa die Rustizierungen im Erdgeschoss mit Stuck nachempfanden, wurde hier solider Sandstein aus der Umgebung verwendet. Das lässt das Gebäude und seine Fassade noch kolossaler aussehen. Natürlich kostete so etwas auch ein wenig mehr als ein Stuckimitat – zumal das Ganze noch mit grotesken Skulpturen von Maskaronen garniert wurde, wie man im Bild rechts erkennen kann. Dorische Säulen, die die Eingänge schmücken, und die die Fassade strukturierenden Pilaster in den oberen Stockwerken tun das Übrige, um diesen Eindruck von Massivität zu unterstreichen.

Drinnen wurden für die Innenausstattung die bedeutendsten Künstler der Zeit verpflichtet, etwa der Historienmaler Mikoláš Aleš (frühere Beiträge u.a. hierhier und hier), die Maler  Karel Vitězlav Mašek (mehr u.a hier und hier) und František Ženíšek oder der Bildhauer Antonín Popp (siehe u.a. hier und hier). Ein gemeinsamer Nenner war bei ihnen, dass sie tschechisch-national dachten und der „nationalen“ Neorenaissance Vorrang gaben. Kern des Ganzen war das gigantische Treppenhaus, das unten von weiblichen Statuen gerahmt ist, die das Werk Antonín Popps sind. Das überall Marmor verwendet wurde, sollte gleichermaßen die finanzielle Potenz der Sparkasse, als auch ihre Solidität unterstreichen.

Das Treppenhaus mündet in die große Bankhalle, die zwei Stockwerke hoch ist, und das Schmuckstück und das Herz des Gebäudes ist. Ein schmuckvolles Glasdach sorgt tagsüber für eine optimale Beleuchtung – eine Grundvoraussetzung für solide Geschaftspraxis. Die Fenster sind von großen Karyatiden umrahmt, möglicherweise das Werk des bekannten Bildhauers Čeněk Vosmík (den erwähnten wir bereits u.a. hierhier und hier). Unter der Decke befiden sich in Nischen allegorisch gestaltete Lünetten. Die zierlichen Fresko-Malereien wurden vom dem Maler Jaroslav Věšín nach den Entwürfen von Mikoláš Aleš angefertigt. Eine von ihnen kann man oben im Bild links erkennen.

Selbstverständlich ließ man sich auch außen ebenfalls nicht lumpen. Die riesige Fassade ist, neben der Rustizierung im Erdgeschoss, vor allem im ersten Stock geradezu überschwänglich dekorativ ausgestattet. 14 kleine kreisförmig gefasste Medaillons mit klassischen Allegorien ziehen sich rund um das Gebäude – allesamt Werke bekannter Bildhauer, unter ihnen etwa Bohuslav Schnirch (wir berichteten über ihn u.a. hierhierhierhier und hier), der damals führende Vertreter der Neorenaissance in Prag. Der künstlerische Höhepunkt der Fassade sind jedoch die acht paarweise angeordneten Skulpturen, die sich in Nischen jeweils neben den Fenstern befinden. Sie zeigen allegorische Figuren, die alle einen Bezug zu Wirtschaft, Sparsamkeit und Tugend haben – war natürlich letztlich ganz im Sinne der Botschaft des Sparkassengedankens ist. Wieder wurden für Entwurf und Ausfertigung einige der bedeutendsten Künstler der Zeit beauftragt. Wir zeigen sie hier im einzelnen:

Im Bild links sehen wir (v.l.n.r.) die Allegorie Sparsamkeit des bekannten Bildhauers Stanislav Sucharda (wir berichteten bereits u.a. hier und hier), rechts den Fleiß von František Stránský. Im Bild rechts sieht man die durch eine weibliche Figur verkörperte Industrie von František Hošek und den Wohlstand von Gustav Zoula (auch hier und hier).

Oberhalb sehen wir hier die Allegorie auf den Ackerbau von Ludvik Wurzel und die der Mäßigung von Antonín Procházka. Im Bild rechts daneben sind es die Volkswirtschaftslehre von Bernard Otto Seeling (erwähnten wir hier) und die Behutsamkeit von František Hergesel (auch hier). Zieht man in Betracht, dass bei allegorischen Darstellungen meist weibliche Personifizierungen gewählt werden, ist es übrigens bemerkenswert, dass es hier einen 50:50 Anteil von je weiblichen und männlichen Allegorien gibt. Und das ohne vorgeschriebene Frauenquote…

Selbst dieses Kolossalgebäude reichte irgendwann nicht mehr. Im Jahre 1926 vertiefte man den Keller auf zwei Stockwerke. 1931 setzte Wiehls Ko-Architekt Osvald Polívka noch ein Stockwerk obendrauf (was das Gebäude noch pompöser machte) und schuf eine bedachte Brücke zu einem Nachbargebäude, das nun ebenfalls von der Sparkasse genutzt wurde (Bild links). Die Sparkasse entwickelte sich weiterhin prächtig. Bis zum Jahre 1948, in dem die Kommunisten die Macht ergriffen. Die Sparkasse wurde verstaatlicht und musste das Gebäude räumen. Als 1953 der erste kommunistische Präsident, Klement Gottwald, starb, kam man auf die Idee, hier ein Museum zu seinem Gedenken einzurichten, das Muzeum Klementa Gottwalda. Nicht nur, dass man diesen ehemaligen Tempel soliden kapitalistischen Wirtschaftens nun einem stalinistischen Schandtäter widmete, sondern man richtete auch bei der dadurch für notwendig erachteten Umgestaltung des Gebäudes verheerende Schäden an.

Insbesondere in den kleineren Räumen ging ein beträchtlicher Teil der Neorenaissance-Inneneinrichtung unwiderbringlich verloren. Als die Samtene Revolution 1989 dem Kommunismus sein verdientes Ende bereitete, verschwand dieses Museum der Schande unverzüglich. Im Jahr darauf zog die nunmehr entschädigte Česká spořitelna hier wieder ein, um zunächst einmal bis 1993 das Gebäude zu renovieren. In den Jahren 2005 bis 2008 erfolgte noch einmal eine vertiefte Restauration, bei der viele übertünchte und demolierte Kunstwerke wiederhergestellt wurden, soweit das möglich war. Seither lohnt es sich auf jeden Fall, beim Vorbeigehen in der Altstadt wenigsten einen kleinen Blick hineinzuwerfen, und durch das bereits recht ansehnliche Vestibül mit den beiden Statuen von Knaben mit Hunden des Bildhauers Josef Mauder (auch ein bekannter Künstler der Zeit, den wir u.a. hier und hier schon erwähnten) hindurch, wenigstens zum Treppenhaus zu gehen.

Für das Gebäude in seiner Gesamtheit kann man sich aber auch ein wenig mehr Zeit nehmen. Die Sparkasse nutzt nicht das ganze Gebäude für ihre Geschäftstätigkeit. Deshalb betreibt sie seit dem Jahre 2009 nebenbei noch im ersten Stock noch die Galerie der Tschechischen Sparkasse (Galerie České spořitelny), Eingang Rytířská 536/29, die nicht nur über die Geschichte der Sparkasse informiert, sondern auch Kunstausstellungen organisiert. Das Erdgeschoss wurde auch noch von einigen Geschäften im Luxussegment angemietet, für die dieses Gebäude gerade das richtige Ambiente bildet. Und wer nichts Luxuriöses kaufen möchte, kann noch ein Museum im Gebäude besuchen.

Nachdem es 2018 erst einmal in einem Provisorium untergebracht war, befindet sich nämlich seit 2022 das Illusion Art Museum Prague (Muzeum Iluzivního umění), Eingang Melantrichova 536/2, im Gebäude. Das sit ein sehr unterhaltsames Museum mit Bildern voller optischer Tricks und Installationen, die immer wieder überraschen.

Als Beispiel mag der ungeordnete Haufen von scheinbar belanglosen Krempel dienen, der sich aus der richtigen Perspektive als ein Portrait des tschechischen Nationalkomponisten Bedřich Smetana erweist (siehe oberhalb). Begabte und renommierte Künstler aus Tschechien und darüber hinaus, wie Patrick HughesPatrik ProškoIvana Štenclová oder Ladislav Vlna haben dafür gesorgt, dass sich hier Entertainment für die Familie mit künstlerischen Niveau verbindet.

Und wenn man gerade schon einmal hier ist, sollte man nicht nur auf die neue Illusionskunst achten, sondern auch auf die sorgfältig restaurierten Originalmalereien zum Gebäude, die es irgendwie geschaftt haben, Gottwald und die Kommunismus zu überleben. Rechts sieht man die Darstellung der mittelalterlichen Legende über den Helden Bivoj, der das Herz der holden Kazi gewinnt, weil er es geschafft hatte, ein menschenmordendes Wildschwein zu töten, das die Gegend terrorisiert hatte und als unbesiegbar galt. Über diese Geschichte haben wir hier ausführlicher berichtet.

Das über einem Türsturz befindliche Gemälde ist wahrscheinlich das Werk von Mikoláš Aleš. Ein anderes Gemälde über einem Türsturz zeigt die beiden Slawenaposteln Kyrill und Method (auch hier). Sie durften ja auch kaum fehlen, denn gerade diese beiden Heiligen, die im 9. Jahrhundert Mitteleuropa missionierten, spielten in der Nationalmythologie des späten 19. Jahrhunderts eine überragende Rolle. Und das war ja auch der Geist, der hinter dieser rein tschechischen Sparkasse steckte. Die Darstellung der beiden Heiligen stammt möglicherwesie von dem zuvor erwähnten Maler Karel Vitězlav Mašek. Selten hat es ein Sparkassengebäude geschafft, zu solch einer Kulturattraktion zu werden. Seit 1992 ist es nationales Kulturdenkmal. Selbstverständlich! (DD)

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