Sie passt irgendwie in ihre Umgebung, diese Steinblume (Kamenný květ). Die Häuser, die an drei Seiten die kleine Grünanlage umgeben, auf der sich die Skulptur befindet, sind meist recht einfallslose Plattenblöcke aus Beton. Und die Blume wirkt auch ein wie aus Beton gegossen. Ist sie aber nicht. Bei dem Material handelt es sich um Trachyt, ein recht grobkörniger Stein, den Bildhauer gut bearbeiten können, aber auch ein wenig wie Beton aussehen kann.
Die Bildhauerin Zdena Fibichová stand im Jahre 1971 mit ihrer Steinblume vor Herausforderungen, die sie gut meisterte. In den Jahren 1967 bis 1971 schlugen die Prager Stadtplaner nämlich eine tiefe Bresche in Form einer mehrspurigen Verkehrsachse durch den Prager Bezirk 6. Die heutige Evropská (also Europastraße, die allerdings bis 1991 noch nach Lenin benannt war) schuf eine verkehrsplanerisch durchaus sinnvolle Ost-West-Achse, die die Ortesteile Dejvice und Ruzyně verband und damit die Verbindung von Innenstadt und Flughafen schneller und effizienter gestaltete. Schöner wäre da noch eine zusätzliche Linie der Metro oder wenigstens eine durchgängige Straßenbahnverbindung gewesen, aber auf die warten wir noch heute.
Wie dem auch sei: Es entstand (außer dort, wo sie ältere Straßen mit älterem Hausbestand einbezog) eine riesige real-sozialistische Umgestaltung des architektonischen Umfelds der Verkehrsachse. Möglicherweise, so sage ich mal vorsichtig, ist das nicht der allerschönste Teil Prags. Siehe Bild rechts. Dessen war man sich wohl auch damals schon bewusst. Deshalb versuchte man, die Riesenfahrbahn am Wegesrand mit rund sieben Skulpturen zu schmücken (von denen heute einige nicht mehr am Ort stehen). Einige davon waren bereits bekannte Werke, die etwas die kleine Skulpturengruppe Treffen am Brunnen (Setkání u studny) , die schon 1932 von Bedřich Stefan erarbeitet worden war. Die meisten davon wurden aber extra für das Projekt erstellt, darunter eben auch die Steinblume von Zdena Fibichová.
Weder die sieben Skulpturen noch die winzige und ansonsten schmucklose Kleinstgrünanlage an der Evropská, Ecke Vlastina im Ortsteil Liboc, so die Steinblume blüht, haben wohl das Gesamtbild der über sieben Kilometer langen Großallee entscheidend verändert. Aber das mindert ja nicht ihren intrinsischen Wert. Womit wir bei Zdena Fibichová und der Steinblume sind. Die senkrecht gestellte und sehr abstrakt gehaltene Blüte (möglicherweise so etwas wie ein Veilchen) ist 2,10 Meter hoch und 2,50 Meter breit. Sie ist in der Mitte geteilt und die beiden Hälften stehen gerade versetzt zueinander. Der Blütenboden ist ausgekerbt und sieht wie ein Loch aus. Es ist optisch ganz clever und stilistisch ans Umfeld geschickt angepasst.
Zdena Fibichová gehört zu den ganz wenigen Frauen der Bildhauerzunft in der damaligen Zeit. Sie war Urenkelin des berühmten Komponisten und Smetana-Zeitgenossen Zdeněk Fibich. Das Bildhauerhandwerk lernte sie auf höchstem Niveau unter anderen an der Prager Akademie für Kunst, Architektur und Design (Vysoká škola umělecko-průmyslová) bei Josef Wagner (wir erwähnten ihn u.a. hier). Die Kombination von Abstraktheit und Emotion sei ihre Spezialität gewesen, insbesondere bei zoomorphen Darstellungen. Aber auch die Steinblume kommt bei genauerem Hinsehen recht witzig und abstrakt daher. War sie ein ironisches Statement gegenüber dem Umfeld und der Großstraße? Wer weiß? Die Ironie an der Lage ist, dass zwar auf der Seite der Evropská, auch der die Skulptur steht, ein wenig Einöde herrscht, aber man von der gegenüber liegenden Seite in das wunderschöne und schluchtenreiche Naturschutzgebiet der Wilden Šarka (wir berichteten hier) hinabsteigen kann. Von der Steinblume angelockt, kann man also hier in die Natur ausschwärmen. (DD)