- Hans Weber
- November 1, 2024
Stiladaption in Neorenaissance
Obwohl sich der einst etwas heruntergekommene Stadtteil Nusle (Prag 4) in letzter Zeit stark gentrifiziert hat, gibt es leider immer noch viele Gebäude, die ein wenig frische Farbe und mehr vertragen könnten. So etwa das dreistöckige Wohn- und Mietshaus in der Křesomyslova 293/16.
Das hat schon einmal bessere Zeiten gesehen, wenn man sich die architektonischen und ornamentalen Details näher anschaut, die man damals darauf verwendete. Inzwischen liegt es an einer lauten und äußerst befahrenen Hauptstraße in unattraktiver Lage. Das war wohl nicht immer so. Das Haus wurde 1896 nach den Plänen des Architekten und Bauunternehmers Hynek Sýkora erbaut, und zwar für sich selbst und Františka Sýkorová, die wohl – wie man annehmen muss – seine Ehefrau war. Das Haus folgte dem damals herrschenden Trend der Neorenaissance, und lehnte sich dabei an Vorbilder der böhmischen Renaissance an.
Die Neorenaissance war damals einer der meist verbreitesten Architekturstile, und Sýkora war hier eher ein Epigone, der sich ganz klar an den großen Vorbildern der Neorenaissance in Böhmen orientierte. Das dürften im wesentlichen die Architekten Jan Zeyer (den erwähnten wir u.a. hier und hier) und Antonín Wiehl (Beispiele zeigten wir u.a. hier und hier) gewesen sein. Aber gewiss handelt es sich bei Sýkoras Haus um ein sehr prachtollen und künstlerisch sehr aufwendig gestaltetes Beispiel dieses Stil, das in der Ausfertigung den Vergleich mit den Werken Zeyers und Wiehl nicht zu fürchten braucht. Der zentral aufgehängte zweistöckige Erker, die Rustizierung des Erdgeschossen, die drei Giebel samt dem recht auffälligen Dachreiter (Bild rechts) lassen es schon als ein recht imposantes Werk dieses Stils erscheinen.
Das Auffälligste, das das Haus von den Nachbarhäusern abhebt, ist jedoch die malerische Ausgestaltung, wozu nicht nur die allgegenwärtigen schwarz-weißen Sgraffito gehören, die gerade in der böhmischen Neorenaissance stark verbreitet waren, sondern vorallem die vier Genremalereien auf Höhe des dritten Stocks man sieht sie oberhalb und im großen Bild oben).
Es handelt sich um idealisierte Szenen des böhmischen Landlebens – ein damals beliebtes Motiv (Beispiele etwa hier und hier). Sie sind im Stile des bedeutenden und sehr volkstümlichen Historienmalers Mikoláš Aleš, dem wir gehalten, dem wir heute u.a. hier, hier und hier Beiträge widmeten. Es war eine Art „Hausmaler“ der Architekten Wiehl und Zeyer, die ja Sýkora inspiriert hatten. Es nimmt kein Wunder, dass auch bei der Dekoration eine ähnliche Gestaltung – eben im Stile von Aleš – gewählt wurde. Aleš wohnt übrigens später ganz in der Nähe in einer Wohnung in der Straße Bělehradská (wir berichteten hier), aber das ist wohl reiner Zufall. Bei Sýkoras Haus handelt es sich jedenfalls um eine ausgefeilte Stiladaption, die eigentlich ein besseren Umfeld und ein wenig Farbaufrischung verdient hätte. (DD)
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